Freitext: Katja Oskamp: "Von sona schönen Frau lass ick ma jerne quälen"

 
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30.10.2018
 
 
 
 
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"Von sona schönen Frau lass ick ma jerne quälen"
 
Im Fußpflegesalon in Marzahn hat unsere Autorin nicht nur mit krummen Zehennägeln zu tun. Rentner wie Fritz, der ehemalige Plastikschmelzer, erzählen ihr aus ihrem Leben.
VON KATJA OSKAMP

 
Blick von unten auf den Skywalk in Marzahn © Paul Zinken/dpa
 

In der Berliner Plattenbausiedlung Marzahn gibt es eine Attraktion, die jährlich um die 1.500 Besucher anzieht: den Skywalk, eine Spezialkonstruktion aus Metall.
 
Man fährt mit dem Fahrstuhl vom Erdgeschoss bis in die oberste, die 21., Etage des Doppelhochhauses in der Raoul-Wallenberg-Straße 40/42, steigt Stufen hinauf, verlässt den gewaltigen Turm, um über weitere nun frei schwebende Gitterstufen windige Höhen zu erklimmen und an den eigenen Füßen vorbei in die Tiefe zu schauen. Schwindelfreiheit ist von Vorteil. Ganz oben auf dem Dach angekommen, erreicht man eine Aussichtsplattform. Aus 70 Metern Höhe hat man einen grandiosen Blick über die Marzahner Promenade, über von Baumkronen durchschäumte Hochhausketten, über die ganze Stadt bis zum Fernsehturm, bis zum Müggelsee, bis zum Flughafen Schönefeld. Unter dem Himmel rasen die Wolken, erstrecken sich die Brandenburger Weiten. Ich war schon einmal dort oben auf dem Skywalk, in der Raoul-Wallenberg-Straße 40/42, und ließ mir den Wind um die Nase wehen.
 
In jenem Hochhaus, auf dessen Dach man über den Skywalk spazieren kann, wohnt Fritz. 
 
Als Fritz unser Studio zum ersten Mal betrat, war er 65 Jahre alt und seit Kurzem Rentner. Ich war 45 Jahre alt und hatte vor einigen Monaten begonnen, als Fußpflegerin zu arbeiten. Fritz kam, weil seine Frau ihn geschickt hatte. Er trug Jeans und Turnschuhe, sah jünger aus, keinesfalls wie ein Rentner. Er war schüchtern und er war charmant, er roch gut und er entschuldigte sich ausdrücklich und ernsthaft für seine Füße. Fritz dachte, sie seien eine Zumutung. Er rechnete damit, ihretwegen umgehend wieder nach Hause geschickt zu werden. Ich verliebte mich sofort in sie.
 
Fritz' Füße sind ebenmäßig geformt, von beinahe antiker Schönheit: die Fesseln stabil, die Fersen rund und fest, die Längsgewölbe klassisch geschwungen. Unter der Haut, die auch im Winter leicht gebräunt bleibt, fächern die Sehnen des Mittelfußes über den breiten Vorfuß hinein in muskulöse Zehen. Füße, auf denen einer sicheren Tritt hat. Füße, in denen eine Kraft schlummert. Intakte, ansehnliche Füße.

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