Fünf vor 8:00: Wale retten statt Wahlen gewinnen? - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
18.10.2018
 
 
 
   
 
Wale retten statt Wahlen gewinnen?
 
Eine frische Kampagne wird Union und SPD nicht retten. Dennoch können sich Volksparteien von NGOs einiges abschauen: die Leidenschaft zum Beispiel.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Wer die Misere der großen Parteien verstehen will, sollte dem neuen Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus, zuhören. Der hat kurz nach seiner überraschenden Wahl gefordert, seine Partei müsse mehr wie NGOs arbeiten. Also so wie Greenpeace und Co. Am vergangenen Wochenende konnte Brinkhaus sich dann gleich zweimal eindrucksvoll bestätigt fühlen: Erstens durch die Wahl in Bayern, die für die großen Volksparteien katastrophal schlecht ausging. Also werden sie tatsächlich so einiges ändern müssen. Jedenfalls wenn ihr Schrumpfen aufhören soll. Und zweitens durch die Demo in Berlin: Da brachten NGOs über 250.000 Leute auf die Straße und veranstalteten rund um die Siegessäule ein Fest, von dem Parteien nur träumen können. Sie überzeugten jede Menge junge Leute davon, zum ersten Mal in ihrem Leben zu demonstrieren. Für etwas Positives: für Mitmenschlichkeit, für Solidarität, für ein offenes, freundliches Deutschland.
 
Kein Wunder, dass Brinkhaus auf so etwas neidisch ist. Nur hat er und haben auch die anderen Chefs von CDU, CSU und SPD den Kern ihrer Probleme noch nicht erkannt. Klar können sie von den NGOs etwas lernen. Aber sie liegen falsch, wenn sie vor allem, wie Brinkhaus es auch gesagt hat, die Kampagnenfähigkeit und die Organisationsform der außerparlamentarischen Konkurrenz kopieren wollen. Denn damit reduzieren sie ihr Problem auf die Form. Es liegt aber viel tiefer: am fehlenden Inhalt.
 
Politiker schieben Probleme in Kommissionen – wo bleibt die Leidenschaft?
 
Greenpeace und andere Organisationen unterscheidet von den Volksparteien nicht nur der hippe Auftritt oder die Fähigkeit mal auf einen Schornstein zu steigen. Sie stehen für etwas, beispielsweise für konsequenten Umweltschutz. Man mag einzelne Aktionen für übertrieben halten oder für zu extrem. Aber die Organisationen bewegen Leute, weil sie etwas durchsetzen wollen. Deswegen brachten Umweltgruppen vor ein paar Tagen zehntausende Menschen in den Hambacher Wald, um gegen RWE und die Braunkohle zu protestieren. Deswegen bekam das noPAG-Bündnis für einen Protest gegen das bayrische Polizeigesetz mehr Menschen auf den Marienplatz als der FC Bayern München zur Meisterfeier. Die NGOs befriedigen offensichtlich den Wunsch nach Veränderung.

Die Parteien der großen Koalition hingegen scheinen nichts mehr zu fürchten als den Wandel. Es ist schon viel geschrieben worden über die Müdigkeit dieser Regierung und ihre Unfähigkeit, die vielen Probleme dieses Landes zu lösen. Deswegen seien nur zur Erinnerung noch mal (willkürlich) fünf ausgewählt: Wohnungsnot, Klimawandel, Dieselskandal, Insektensterben, Lehrermangel! Für alle diese Themen gibt es in Berlin Programme, Kommissionen und sogar Gesetze. Aber nie hat man den Eindruck, dass da rund ums Kanzleramt wirklich jemand etwas will und zwar schnell und vor allem mit Leidenschaft. Dass da jemand auf der Höhe der Zeit ist und die Dringlichkeit spürt. Denn auch das unterscheidet die NGOs von den Parteien. Sie brennen leidenschaftlich, weil sie ein Problem sehen und jetzt lösen wollen. Sie verlagern nichts in Kommissionen.
 
Die SPD hat sich an der Verwalter-Mentalität orientiert
 
Lange war eines der Markenzeichen Deutschland die Kontinuität, die langsame Veränderung, das Festhalten im Bewährten und, ja auch, das gute Verwalten. Deutsche haben deswegen so oft die CDU gewählt, dass sogar die SPD irgendwann glaubte, das beste Rezept für die Wahlsieg sei die Mäßigung, die Langeweile, ein gutes Management. Nur, das stimmte für die SPD im Bund noch nie, sie hat dort immer nur gesiegt, wenn sie überzeugend für Veränderung stand. (Einst mit Willi Brandt und später dann mit Rot-Grün.) Doch auch für die CDU stimmt das einstige Erfolgsrezept immer weniger.
 
Beide große Parteien werden ihr Schrumpfen auch in Zukunft nicht stoppen, wenn sie nur an der B-Note arbeiten, wenn sie ihre müden Programme nur mit anderen Strukturen verwalten und Kampagnen aufhübschen. Es wäre im Gegenteil ziemlich lächerlich, sollte die Bundeskanzlerin künftig auf Schornsteige steigen oder Wale vom Beiboot aus retten, aber beim Diesel oder bei Klimaschutz so weiter versagen wie bisher.
 
Aber etwas anderes können die Volksparteien sehr wohl von den NGOs lernen: Dass man sich leidenschaftlich für etwas einsetzen muss. Dass man klare Ideen braucht, welche Problem man lösen will und wie. Wer das nicht kann oder nicht will, der sollte sich aus der Politik verabschieden.

 
   
 
   
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