Fünf vor 8:00: Auf dem Kriegspfad - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
09.10.2018
 
 
 
   
 
Auf dem Kriegspfad
 
Die USA haben China den Kalten Krieg erklärt. Wenn zwei Mächte um globalen Einfluss kämpfen, muss das nicht militärisch enden. Historisch war es aber oft so.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   

In den Geschichtsbüchern wird das Gezerre um die Ernennung des US-Verfassungsrichters Brett Kavanaugh, das die Vereinigten Staaten in diesen Tagen bewegt, wahrscheinlich nur eine Fußnote abbekommen. Das weltgeschichtlich weit bedeutsamere Ereignis ist ein anderes: In den vergangenen Tagen haben die USA der Volksrepublik China den Kalten Krieg erklärt. Wie es aussieht, ist die Regierung Trump voll in die Thukydides-Falle getappt.
 
Der Harvard-Politologe Graham Allison hat vor drei Jahren aus dem Peloponnesischen Krieg des griechischen Historikers Thukydides die auch nach 2.400 Jahren höchst aktuellen Betrachtungen über die kriegsträchtige Dynamik einer Situation ausgegraben, in der eine aufsteigende Macht die Herrschaft der bisherigen Vormacht bedroht. Der Kernsatz: "Es waren der Aufstieg Athens und die Befürchtungen, die er in Sparta auslöste, die den Krieg unausweichlich machten." Besorgt fragte Allison: Könnten der Aufstieg Chinas und die Befürchtungen, die er in Amerika weckt, denselben unheilvollen Effekt haben?
 
Seine Antwort war niederdrückend: "In 12 von 16 Fällen in den vergangenen 500 Jahren, in denen es eine rasche Machtverschiebung zwischen einer aufsteigenden und einer vorherrschenden Nation gab, war Krieg das Resultat." Als Beispiele nannte er die Rivalität zwischen England und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg und die japanische Herausforderung der Vereinigten Staaten vor Pearl Harbor. Zwar glaubt der Harvard-Gelehrte nicht an die Unvermeidlichkeit eines chinesisch-amerikanischen Krieges. In 4 der 16 Fälle vermieden Vernunft, Zurückhaltung und strategische Geduld den Konflikt. Gleichwohl gab er dem Buch, in dem er seine These ausarbeitete, den Titel: Destined for War, "zum Kriege bestimmt".
 
Die Zuspitzung im chinesisch-amerikanischen Verhältnis hat sich schon einige Zeit vor Donald Trump abgezeichnet. Robert Zoellick, damals stellvertretender US-Außenminister, hielt 2005 eine Rede, in der er viele Probleme ansprach, die Amerika schon damals Sorgen machten: dass China in Asien eine Vormachtstellung anstrebe; dass es sein Militär rapide modernisiere; dass es Marktbeherrschung statt Marktöffnung anstrebe. Zoellick prangerte den Diebstahl intellektuellen Eigentums und die Produktpiraterie an, die ans Herz von Amerikas Wissensindustrie gingen. Konkret kritisierte er bereits auch den chinesischen Handelsüberschuss, damals erst 162 Milliarden Dollar im Jahr, heute 375 Milliarden. "Welches andere Land würde das hinnehmen?", fragte er. Eindringlich forderte er China auf, ein repsonsible stakeholder zu sein – ein Verantwortungsträger im internationalen System.
 
Obama ging weiter. Mit seinem Pivot to Asia, der Achsendrehung nach Asien, machte er 2011 klar, dass er die US-Dominanz im Pazifik nicht werde unterminieren lassen (er unternahm aber so gut wie nichts, als China die Inselwelt des Südchinesischen Meeres annektierte und zu militarisieren begann). Doch warnte er Peking: "Wenn China weiterhin friedlich aufsteigt, dann haben wir einen stärker werdenden Partner (…). Wenn es sich dem Nationalismus ergibt und die Welt nur noch aufgeteilt in Einflusssphären zu sehen vermag, dann sehe ich mögliche Konflikte voraus."

Unter Donald Trump sind die Konflikte näher gerückt. Zunächst in der Handelspolitik. "China ist nicht unser Freund", schrieb er 2011. "Es stiehlt unsere Arbeitsplätze; es treibt eine Abrissbirne durch unsere Industrie und kupfert in Überschallgeschwindigkeit unsere Technologie und unsere militärischen Fähigkeiten ab." Seit er ins Weiße Haus einzog, liebäugelt er mit einem wirtschaftlichen Showdown. Seine Freundschaft mit Chinas Staatschef Xi Jinping, inzwischen erkaltet, hielt ihn nicht davon ab, einen Zollstreit zu beginnen, der inzwischen die Hälfte der Einfuhren aus China betrifft.
 
Doch war ihm dies nicht genug. Im Wirtschaftsdialog mit Peking verlangten die amerikanischen Unterhändler im Frühjahr nichts Geringeres, als dass China sein ehrgeiziges Industrieförderprogramm "Made in China 2025" aufgibt. Dies lief im Effekt auf die Forderung hinaus, dass Peking nicht nur die auch von den Europäern beklagten Missstände wie zwangsweisen Technologietransfer und ungebremsten Ideenklau abstellt, sondern ganz auf Modernisierung verzichtet. Womit sich der Eindruck verstärkte, dass da zwei Großmächte nicht bloß um Zollsätze stritten, sondern dass sie um die Anwartschaft auf technologische Führung und weltpolitische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert kämpfen. Aus dem Zollstreit ist ein Handelskrieg geworden. Hinter dem Handelskrieg aber wird die Thukydides-Falle sichtbar: das konfliktträchtige Ringen der Vormacht mit dem Aufsteiger.
 
Sie hatte sich zum ersten Mal in der im Dezember 2017 veröffentlichten National Security Strategy abgezeichnet. Darin wurde China als "revisionistische Macht" bezeichnet, die darauf aus sei, "eine Welt zu schaffen, die den Werten und Interessen der USA entgegensteht". In der indo-pazifischen Region, hieß es weiter, "ist ein geopolitischer Konkurrenzkampf zwischen freien und unterdrückerischen Weltordnungsvorstellungen im Gang". Die chinesischen Medien schossen zurück: Wer Chinas Aufstieg aufhalten wolle, werde es mit großer Wahrscheinlichkeit in eine militärische Auseinandersetzung hineinstoßen.
 
Die Amerikaner spielten die neue Sicherheitsdoktrin nicht hoch, solange sie noch auf einen handelspolitischen Ausgleich hofften. Aber als sich die Aussichten darauf immer mehr verflüchtigten, ließen sie alle Rücksicht fallen. In einer konzertierten Aktion erklärten sie China den Kalten Krieg.
 
"Damit ist Schluss, wir machen das nicht mehr mit"
 
Donald Trump hielt sich am 25. September in der UN-Vollversammlung noch ganz an sein Lieblingsthema, die chinesischen Handelsüberschüsse: "Damit ist Schluss, wir machen das nicht mehr mit." Auch beschuldigte er die Chinesen der Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf.
 
Dann ergriff am 29. September Matt Pottinger, der Asien-Referent im Nationalen Sicherheitsrat, in Chinas Washingtoner Botschaft das Wort. Auf Chinesisch zitierte er Konfuzius in dem Sinne, dass man es ernst nehmen müsse, wenn Amerika die Volksrepublik als Konkurrenten bezeichnet. Zusammenarbeit schloss er nicht aus. Doch der Kern seiner Aussage war ein anderer: "Wir in der Regierung Trump haben unsere China-Politik aktualisiert, um das Konzept der Konkurrenz in den Vordergrund zu rücken."
 
Es war Vizepräsident Mike Pence, der in brutaler Direktheit deutlich machte, was dieses neue Konzept besagt: nicht bloß Konkurrenz, sondern strategische Gegnerschaft. Die übliche Litanei über Chinas inakzeptable Wirtschaftspolitik verzierte er mit lachhaften Behauptungen wie "Wir haben China im Laufe der vergangenen 25 Jahre aufgebaut" (dass China durch den Kauf von US-Staatspapieren in Höhe von 1,2 Billionen Dollar den amerikanischen Staat flüssig gehalten hat, erwähnte er nicht). Aber dann kam Pence zur Geopolitik.
 
China gebe mehr als das gesamte übrige Asien für sein Militär aus (was laut dem International Institute for Strategic Studies nicht stimmt, abgesehen davon, dass Amerikas Wehrhaushalt noch immer über ein Viertel des chinesischen ausmacht). Es setze seine Macht ein wie nie zuvor, patrouilliere rings um die japanisch verwalteten Senkaku-Inseln, militarisiere die Inselwelt des Südchinesischen Meeres, obwohl Xi Jinping 2015 im Rosengarten des Weißen Hauses beteuert habe, China habe keinerlei derartigen Absichten. Peking suche seinen Einfluss auf die ganze Welt auszuweiten, auch mit seiner "Schuldendiplomatie". Und China wolle "einen anderen Präsidenten". Es mische sich auf eine Weise in Amerikas Demokratie ein, im Vergleich zu der alles verblasse, was die Russen veranstalten.
 
"Unsere Botschaft an China lautet", schloss Pence, "dieser Präsident wird nicht klein beigeben. Das amerikanische Volk wird sich nicht beeinflussen lassen (…). Die Regierung wird weiterhin entschieden handeln, um Amerikas Interessen, die amerikanischen Arbeitsplätze und die amerikanische Sicherheit zu schützen." Der Zusatz "Konkurrenz heißt nicht immer Feindschaft, muss es auch nicht", lässt freilich auf beunruhigende Weise offen, dass Graham Allison doch recht behalten könnte.
 
China und die Vereinigten Staaten sind beide Großmächte: Wirtschaftsgiganten, Militär- und Rüstungsriesen mit Atomwaffenarsenal und Staaten mit Weltgestaltungsambition. So wichtig wie ihr Verhältnis zueinander wird im 21. Jahrhundert kein anderes sein. Einen Krieg können beide nicht wollen. Aber sie sind nicht dagegen gefeit, blindlings in die Thukydides-Falle zu tappen.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

WASHINGTON POST The Trump administration just 'reset' the U.S.-China relationship
ECONOMIST Dealing with China, America goes for Confucian honesty
NEW YORK TIMES Pence's China Speech Seen as Portent of 'New Cold War'
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.