CSD: »Genderwahn« umdeuten Bunt und frivol, aber mit ernstem Anliegen zogen
200.000 Menschen am Wochenende beim Christopher Street Day durch Hamburg, »noch wesentlich mehr als im vergangenen Jahr«, wie uns Veranstalter
Stefan Mielchen sagte. Vorne liefen Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, sowie die Zweite Bürgermeisterin
Katharina Fegebank mit. Zieht Politik derzeit eben mehr als Party? Schließlich war
der CSD-Umzug diesmal keine Parade, sondern eine Demonstration. Das Motto:
»Freie Bahn für Genderwahn« – womit die Organisatoren ein Schmähwort aufgriffen, mit dem Rechtspopulisten Stimmung gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt machen. Allerdings kam diese Wortwahl in der Pride-Bewegung nicht bei allen gut an. »Einige sagten:
Ihr macht damit einen rechten Kampfbegriff salonfähig«, so Mielchen. »Das war aber nun gar nicht unsere Intention. Wir nehmen diesen Begriff auf, um
ihn mit unserer eigenen Bedeutung zu füllen.« Das hat tatsächlich schon einmal funktioniert, als Homosexuelle das diffamierende Wort »schwul« ab Mitte des 20. Jahrhunderts kaperten und neu prägten. Ob dieses Prinzip auch beim »Genderwahn« greift?
Die
AfD, die das Wort öffentlichkeitswirksam im Munde führt, äußerte sich zum CSD-Motto bislang nicht, stattdessen geriert sich die Fraktion als
Hüterin der Freiheitsrechte: Als einzige Partei benenne sie, wer angeblich Schuld sei an der Gewalt gegen Homo-, Inter- und Transsexuelle – nämlich »fanatische Muslime«. »Völliger Blödsinn«, erwidert Stefan Mielchen.
»Statistisch lässt sich diese These gar nicht belegen.« Die Polizei gibt ihm recht: Die Kriminalstatistik in Hamburg unterscheide bei Gewalttaten nicht nach sexueller oder geschlechtlicher Orientierung. Laut Mielchen instrumentalisiere die AfD die Pride-Bewegung zur Hetze gegen Geflüchtete und Einwanderer, setze sich aber mit der
Diskriminierung von LGBTI-Menschen überhaupt nicht auseinander.
Zu viel NS-Opferrente für Ludwig Baumann? Olaf Scholz und
Ludwig Baumann verbindet ein besonderer Moment. Gemeinsam eröffneten die beiden Hamburger im November 2015 das
Deserteursdenkmal auf dem Stephansplatz. Der Mann, der damals neben dem Bürgermeister stand, war ein Held: Ludwig Baumann desertierte 1942 aus der Wehrmacht, wurde zum Tode verurteilt, nach zehn Monaten zu KZ-Haft »begnadigt«, überlebte knapp und widmete sein Leben fortan dem
Einsatz für Frieden. 2017 starb Baumann im Alter von 96 Jahren in Bremen. Nun bekommt Olaf Scholz es trotzdem noch einmal mit ihm zu tun – diesmal geht es um Geld. Baumanns Sohn
André soll 4100 Euro NS-Opferrente zurückzahlen, die sein Vater zu Unrecht bezogen habe – weil er zuletzt im Pflegeheim lebte. Statt der vollen monatlichen Opferrente von 660,15 Euro sollte er
nur noch ein »Heimtaschengeld« von 352 Euro erhalten, ab dem Moment seines Einzugs in die Einrichtung. Da der Umzug dem Finanzministerium zu spät mitgeteilt wurde, soll der Sohn nun nachzahlen.
»Das ist ein Unding«, sagt André Baumann. Doch, so viel sei zu Scholz’ Entlastung gesagt: Die rechtliche Grundlage für die verringerte Rente stammt von 2014. Damals war noch
Wolfgang Schäuble Finanzminister. Allerdings will Scholz die Praxis offenbar beibehalten. »Eine Änderung ist nicht vorgesehen«, teilte sein Sprecher mit. Die Linksfraktion im Bundestag will das nicht akzeptieren, der Abgeordnete
Jan Korte wirbt um Mitstreiter. Bei der Opferrente handele es sich, so stehe es auch in der
gesetzlichen Regelung um einen Ausgleich für erlittenes Unrecht, so Korte.
»Dieses Unrecht wird nicht geringer, wenn der Betroffene ins Pflegeheim gehen muss.«