Fünf vor 8:00: Wiesen statt Straßen - Die Morgenkolumne heute von Petra Pinzler

 
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FÜNF VOR 8:00
09.08.2018
 
 
 
   
 
Wiesen statt Straßen
 
Gut möglich, dass dieser heiße Sommer etwas verändert. Denn er zeigt: Wir müssen schnell und im großen Stil gegen Wetterextreme vorsorgen.
VON PETRA PINZLER
 
   
 
 
   
 
   

Resilienz! An dieses Wort werden wir uns wohl gewöhnen müssen. Resiliente Menschen können besser mit Krisen umgehen, resiliente Unternehmen oder Länder auch – weil sie sich frühzeitig wappnen und nicht völlig aus der Bahn geworfen werden. Und genau das wird, so zeigt es dieser Sommer, in dieser Welt in großem Stil nötig werden: Eine bessere Vorsorge gegen Wetterextreme.
 
Wer das bei 35 Grad liest (bei den Temperaturen wurde die Kolumne geschrieben), könnte es für eine Binse halten. Tatsächlich ist die Idee nicht neu. Schon in der Bibel wird die Geschichte von Joseph erzählt, der nach einem Traum dem Pharao rät, in den sieben ertragreichen Jahren einen Teil der Ernte zu sparen. Um dann genug für die sieben schlechten Jahre zu haben.
 
Die derzeitige Dürre zeigt leider, dass Politik, Teile der Wirtschaft und vor allem die Landwirtschaft die Warnungen nicht wirklich ernst genommen haben – obwohl es davon genug gab. Dass die Sommer heißer werden, sagen Klimaforscher, die modernen Nachfolger von Joseph, ja seit Langem. Die meisten von ihnen haben prognostiziert, dass wir mit extremen Wetterlagen rechnen müssen und frühzeitig etwas gegen den Klimawandel tun müssen.

Warum Letzteres nicht passiert ist, liegt auf der Hand. Zwar glauben nur ein paar versprengte Wirrköpfe immer noch, dass sich das Klima gar nicht wandelt, nur das Wetter ein bisschen verrücktspielt, und wir deswegen munter weiter Klimagase in die Atmosphäre entlassen dürfen. Die Mehrheit der Menschen und auch der verantwortlichen Politiker sieht das Problem aber – will jedoch die eigene Bequemlichkeit nicht aufgeben. Viele Leute wollen weiter dicke Autos fahren, die viele Abgase in die Luft pusten: Gerade explodiert die Zahl der Neuzulassungen. Andere wollen billig fliegen: Die Zahl der Passagiere war nie so hoch. Oder billiges Rindfleisch essen, am besten jeden Tag. Und das, obwohl so ein Diätplan nur durch eine Landwirtschaft bedient werden kann, die den Klimawandel beschleunigt. Durch das Düngen und die viel Gülle entstehen zu viele Klimagase.
 
All das führt dann in der Summe zu einem fatalen Druck auf die Politiker: Die trauen sich bisher weder, endlich den Grund für die Hitze, den Klimawandel, ernsthaft zu bekämpfen. Noch planen sie den klugen Umgang mit dessen Folgen – weil das ja einem Eingeständnis der eigenen Untätigkeit gleichkäme.
 
Gut möglich, dass dieser Sommer in manchen Köpfen etwas verändert. Konkrete Vorschläge haben aber bisher nur die Grünen: Sie haben vor ein paar Tagen ein Anpassungsprogramm vorgestellt, mit allerlei klugen Ideen. Berichtet wurde leider oft nur über die horrende Summe von zwei Milliarden Euro, die die Partei für die Beseitigung der schlimmsten Klimaschäden veranschlagt hat, und dann noch mit dem Tenor: Die übertreiben mal wieder, die Grünen, und wollen Geld rauswerfen.
 
Zwei Milliarden Euro werden kaum reichen, um das Land umzubauen
 
Wahrscheinlich übertreiben sie nicht, denn wenn das Wetter weiter so verrücktspielt, dann werden zwei Milliarden Euro leider kaum reichen, um das Land klug umzubauen – jedenfalls nicht, wenn die Opfer nicht den größten Teil der Last allein tragen sollen.
 
Nötig wäre nicht nur ein Umbau der Landwirtschaftssubventionen, der die Bauern weg von den extrem anfälligen Monokulturen und von der Hochleistungswirtschaft hin zu mehr Vielfalt und einem besseren Umgang mit der Natur lenkt. Damit Menschen die wochenlangen Hitzewellen in den Städten künftig gesund ertragen können, müssen mehr Grünflächen her und begrünte Fassaden. Denn die kühlen. Im Moment passiert jedoch genau das Gegenteil. In Berlin, München oder Hamburg werden die letzten Baulücken geschlossen und in den Vorstädten wachsen die Neubaugebiete. Dort ersetzen dann Steingärten die Wiesen und Wälder. Gerne mal mit einem Insektenhotel, nur ohne Insekten, weil nirgends mehr Blumen wachsen. Fehlen die Grünflächen, schwächt das nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Arbeitsfähigkeit der Menschen.
 
Es gibt noch viele weitere Baustellen: Das Verkehrsministerium müsste seine Planung für den Bau von Straßen stoppen und komplett neu überdenken. Das Wirtschaftsministerium müsste die Energiewende beschleunigen, statt sie auszubremsen. Wir brauchen mehr Windräder. Denn gerade erleben wir, dass Kohlekraftwerke in heißen Tagen die sowieso schon überhitzten Flüsse noch mehr aufheizen – weil sie Kühlwasser brauchen. Und so die Fische sterben. Für die in letzter Zeit wieder häufiger als Klimaschützer beworbenen Atomkraftwerke gilt übrigens dasselbe. Auch sie brauchen in heißen Zeiten viel zu viel knappes Kühlwasser.
 
Heimatminister Horst Seehofer sollte endlich seinen Job ernst nehmen und mal darüber nachdenken, welche wirklichen Gefahren die Heimat in diesen heißen Zeiten zerstören. Bauminister ist der Mann übrigens auch noch.
 
Ach ja, es gäbe noch eine andere Möglichkeit als die Anpassung: Den beherzten Kampf gegen den Klimawandel, damit es nicht noch heißer wird. Aber den hat die Bundesregierung ja vertagt. Weder kämpft sie mit aller Kraft um weltweite Verbündete – damit alle Regierungen gemeinsam rasch umsteuern. Noch steuert sie das eigene Land um. Sie macht Urlaub. Und genießt die Hitze.

 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS

DIE GRÜNEN Aktionsplan zur Klimafolgen-Anpassung und zur Eindämmung der Klimakrise
NEW YORK TIMES MAGAZINE Losing Earth: The Decade We Almost Stopped Climate Change
ZEIT ONLINE THEMENSEITE Ist der Klimawandel noch zu begrenzen?

 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.