Fields Medaille | Einsamkeit im US-Kongress | Gastkommentar Florian Dobmeier: Ein Netzwerk des Scheiterns | 1968 vs. Frauenwahlrecht

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
auch schonmal an einem Stipendium gescheitert? Das kann an einem nagen und Zweifel säen. Der Tübinger Masterstudent Florian Dobmeier hat einen Vorschlag, wie man diese Verunsicherung in eine zweite Chance ummünzen könnte – seinen Plan für ein Netzwerk des Scheiterns erklärt er im Gastkommentar. Und Anna-Lena Scholz würde gerne endlich mal über anderes reden als 1968 (worüber, das steht in der Fußnote).

Ansonsten legt sich allerorten ein Hitzeschleier auf Körper und Gemüt. Wie gut, dass sich auch in der Welt der Wissenschaft und Forschung gerade alles etwas entschleunigt. Wir gehen daher – Achtung, liebe, treue Leserschaft! ­– in unsere übliche Sommerpause und erscheinen in den nächsten Wochen nur donnerstags. Die gesparte Lesezeit können Sie nutzen, um mit einem kühlen Drink auf Peter Scholze anzustoßen.
   
 
 
 
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Fields Medaille 2018
Allzu überraschend ist diese Nachricht nicht – aber deswegen keineswegs unspektakulär! Der Bonner Mathematiker Peter Scholze erhält die Fields Medaille, die bedeutendste Auszeichnung des Faches weltweit. Sie wird nur alle vier Jahre vergeben und ist daher, Sie gestatten diese Rechnung, zumindest symbolisch mindestens viermal so viel Wert wie ein Nobelpreis. Der 30-jährige Scholze wird schon seit langem als eine Art Wunderkind und Fields-Kandidat gehandelt; er ist Professor für Arithmetische Algebraische Geometrie an der Universität Bonn und Direktor am Max Planck-Institut für Mathematik. Unser Kollege Christoph Drösser führt sie im WISSEN-Ressort der aktuellen Ausgabe der ZEIT in die intellektuellen Regionen Scholzes, in denen nur wenige Menschen sich auskennen. (Eine Kostprobe gibt es hier, in seiner Antrittsvorlesung auf YouTube.) Übrigens ist Deutschland insgesamt ein attraktiver Ort für Zahlenmenschen: Der Weltverband der mathematischen Gesellschaften, die International Mathematical Union (IMU) – sie ist es auch, die die Fields Medal verleiht –, hat einen neuen Wohnsitz, nämlich Berlin. Das wurde soeben auf der Generalversammlung in Sao Paulo beschlossen. Die IMU-Mitglieder wählten außerdem den Präsidenten der FU Berlin, Günter Ziegler (ZEIT) in das Exekutivkomitee des Weltverbands. 
  
 
 
AfD treibt Humboldt-Uni vor sich her
Die Humboldt-Universität zeigt mal wieder, dass sie zu unglücklichen Verwicklungen neigt. Folgendes ist passiert: Der Berliner AfD-Politiker Martin Trefzer, der im Abgeordnetenhaus auch Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung ist, hat bereits im Januar eine Kleine Anfrage zum Thema „Studentenvertretungen an Berliner Hochschulen“ gestellt; darin werden u.a. die Vor- und Nachnamen des Referent_innenrates der HU erfragt. Das „RefRat“ aber wollte selbige nicht herausgeben; es beruft sich auf die Autonomie der studentischen Selbstverwaltung und argumentiert, man wolle „nicht namentlich bekannt sein, bei denjenigen, deren politische Feind_innen wir sind und die uns  verunglimpfen wollen“. HU-Präsidentin Sabine Kunst reagierte mit einem formaljuristischen Schritt – sie hat, so berichtet die taz, gegen das RefRat „Klage auf Auskunft“ eingereicht. Kunst sagte der taz, die Öffentlichkeit habe „Anspruch, zu erfahren, wer ihre Interessen vertritt“, daher müsse die Liste „ohne Diskussion um Datenschutzfragen vorgelegt werden“. Die Causa ist symptomatisch für die verhärteten Fronten zwischen HU-Präsidium und HU-Asta (Tagesspiegel). Ins Fäustchen lacht sich derweil die AfD. 
  
 
 
Einsamkeit im US-Kongress
„How does it feel to be the only scientist in Congress?“ – „Lonely.“ So beginnt ein Interview, das der Scientific American mit Bill Foster geführt hat. Er ist derzeit der einzige US-Kongressabgeordnete mit einem dezidiert wissenschaftlichen Background – Foster ist promovierter Physiker und hat mehr als zwanzig Jahre in einem Forschungsinstitut gearbeitet. Lesenswert!
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
  
Deutscher Studienpreis 2018
Die Preisträgerinnen und Preisträger des von der Körber-Stiftung verliehenen Deutschen Studienpreises 2018 stehen fest. Mit dem ersten Preis ausgezeichnet werden die Arbeiten von Silke Braselmann (Universität Gießen),  Johannes Wandt (TU München) und Anne Christine Holtmann (European University Institute).

Cress im Vorstand der Telekom-Stiftung
Die Deutsche Telekom-Stiftung hat ein neues Mitglied im Vorstand: Ulrike Cress. Sie ist Direktorin des Leibniz-Instituts für Wissensmedien und Professorin an der Universität Tübingen. In das Amt als stellvertretende Vorstandsvorsitzende wurde sie zum 1. Juli dieses Jahres berufen, für fünf Jahre.

Bolay kommuniziert für BBAW
Ann-Christin Bolay ist neue Pressesprecherin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bolay hat zuletzt für den Berliner Verlag Matthes & Seitz kommuniziert; sie übernimmt das Amt von Gisela Lerch, die den PR-Bereich der BBAW 15 Jahre leitete und sich neuen Aufgaben zuwenden will, wie es heißt.

Job: Unileitungen hier und dort
Ein Blick in den Stellenmarkt. Oha, da geht was in den Rektoraten und Präsidien! Führungskräfte werden gesucht für die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, für die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und für die Montan Universität. Das Rennen ist hiermit eröffnet!
  
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
von Florian Dobmeier
   
 
   
Scheitern am Stipendium. Ein Verbesserungsvorschlag 
Viele Studierende mit exzellenten Noten sowie gesellschaftlichem Engagement werden jährlich für Förderprogramme vorgeschlagen. Nur ein Bruchteil davon wird auch genommen. Die Gründe sind nicht immer erfindlich und zweizeilige Absagen als Feedback selten „pädagogisch wertvoll“.
Natürlich: Es geht um Bestenauslese. Anderseits aber wissen wir aus der Elite-Forschung, dass situationsspezifische Besonderheiten einen erheblichen Einfluss haben. In eine vermeintlich nur auf fachliche Leistung und Engagement zielende Eignungsdiagnostik fließen entsprechend nicht nur die ausgeflaggten „harten“ Kriterien ein. „Softe“ Faktoren wie schlechte Tagesform, eindimensionale Gesprächsdynamiken bis hin zu habituell tief verankerten Antipathien bedingen erheblich den Auswahlprozess – im ungünstigsten Fall konterkarieren diese in der Auswahlsituation alles, was bislang über längere Zeit hin geleistet wurde. Selbst im Falle einer in bester Tagesform erbrachten „gelungenen“ Selbstdarstellung können implizite und subtil exkludierende Kriterien (etwa die soziokulturelle Passung von Aspirant_in zu den Vorlieben des Gutachtenden) die Entscheidung besiegeln.
Das bedeutet: Es existiert eine gewisse Anzahl an vielversprechenden, aber abgelehnten Stipendienaspirant_innen. Es findet ein systematisches „Cooling Out“ statt – Studierende verlieren das Interesse an weiteren (oft ebenso aufwendigen wie intrasparenten) Bewerbungsverfahren und Anstrengungen. Hier verpuffen Potenzial und Motivation.
Ein ebenso praktikables wie günstiges Instrument, um dem entgegenzuwirken, wäre: die Gründung eines Netzwerks für jene Gescheiterten. Studierende, die das „hidden curriculum“ akademischer Selektions- und Spielregeln zu spüren bekamen, wären genau an dieser Stelle zu unterstützen, an der sich entscheidet, ob ihre Aspirationen gebrochen werden und sie sich selbst exkludieren („Ich glaub‘, das ist nichts für mich…“).
Wie sähe ein solches Netzwerk aus? Es bräuchte, einerseits, von Dozierenden, Externen oder fortgeschrittenen Studierenden betreute Formate: Seminare, die für die akademischen Eigenheiten und habituellen Passungen sensibilisieren; Workshops zu gesellschaftlichen Themen; fachliche Mentoring-Beziehungen. Andererseits wären informelle Veranstaltungen wie regelmäßige Stammtische sinnvoll, um den Studierenden ein Format zum Austausch zu bieten. Parallel würde ein geschlossenes und auf Wunsch auch anonym nutzbares Forum online gehen.
Ressourcensparend wäre es, das Netzwerk stiftungsübergreifend aufzuspannen. Man könnte etwa bestehende staatliche Zentralstrukturen der Studienstiftung oder des Deutschlandstipendiums anfragen, ob ein Interesse an der Zusammenarbeit besteht, oder einen Verein als Netzwerkträger gründen. Egal von welcher der zahlreichen Stiftungen eine Absage erfolgte – ein zweites Schreiben läge in dem Umschlag, das ins Netzwerk der Abgelehnten einlüde. Die Finanzierung könnte beim Bund oder bei engagierten Drittmittelgebern liegen – die ich hiermit herzlich und explizit adressieren und gewinnen möchte.
Freilich liegen Exklusionsprobleme auf struktureller und nicht rein individueller Ebene. Ein Netzwerk der Gescheiterten wäre ein Möglichkeitsraum, in dem latente Ausschlussmechanismen problematisiert werden. Und es würde zu einer Adresse für diverse Förderer_innen, die angesichts der kontingenten Korrelation von Eignung und Stipendienerhalt zweite Chancen schaffen wollen. Und sei es nur solange, bis es mit einem Vollstipendium klappt.

Florian Dobmeier, M.A . arbeitet an Fragen im Schnittfeld von Allgemeiner Pädagogik und Biographieforschung an der Universität Tübingen und durfte mit dem Stipendienwesen im Positiven wie Negativen bereits eigene Erfahrungen machen.
   
 
   
 
 
   
 
 
 
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Kann das gut gehen? Patchworkfamilien führen ein Leben zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Ein Spagat, der Eltern und Kindern alles abverlangt

Der Schein trügt Vermissen, verletzen, verzweifeln: An dieser Stelle reden vier Menschen über Dinge, die sie in ihren Familien nur schwer aussprechen können. Deshalb bleiben sie hier anonym »Wir belügen uns selbst« Wie können Eltern und Kinder heute gut zusammenleben? Nicht in der Kleinfamilie, findet der Schweizer Kinderarzt Remo Largo. Ein Gespräch über seine Idee künftiger Lebensgemeinschaften

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
 
 
 
Fußnote
 
 
   
 
   
Fünfzig Jahre 1968, die Zeitungen sind voll davon, Sie werden es bemerkt haben. Viele Deutungen dieses Jubiläums fand ich lesenswert, einiges hat mich gelangweilt. Insgesamt ist es zu viel vom selben. Auch zu viel geschlechterblinde Männergeschichte. Ein anderes Jubiläum bleibt derweil auffällig unbesungen: 100 Jahre Frauenwahlrecht. Am 12. November 1918 wurde es schriftlich festgehalten; am 19. Januar 1919 durften Frauen erstmals an die Wahlurne. Diese Revolution – die sich ja übrigens zeitgleich zum Kampf der Frauen, an den Universitäten als Studentin, Doktorandin, Professorin zugelassen zu werden, ereignete – hat eine gesellschaftspolitisch noch stärkere Wucht entfaltet als das Schlaglichtjahr 1968. Stichwort Agendasetting: Es wäre schön, wenn all das akademische Wissen über dieses Jubiläumsereignis so sichtbar aus den Universitäten herausquellen würde, dass kein Medium und kein Verlag sich den Deutungen dieses Ereignisses verweigern kann.
Anna-Lena Scholz
   
 
   
 
 
   
Über revolutionäre Geister freut sich 

Ihr CHANCEN-Team


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