Eines muss man Bosnien-Herzegowina lassen: Während in Europa die Volksparteien ansonsten taumeln oder ganz verschwinden, hat das südosteuropäische Land ein relativ stabiles Parteiensystem. Wenn die Bürger von Bosnien-Herzegowina am kommenden Sonntag wählen, dann haben sie die Wahl zwischen denselben großen nationalen Blöcken, die schon in den neunziger Jahren zur Wahl standen. Säuberlich aufgeteilt auf mehrheitlich muslimische Bosnier, christliche Kroaten und Serben.
Hier sieht man gleich das Prinzip, das ganz Südosteuropa seit dem Ende des Kalten Kriegs prägt: der ethnisch grundierte Nationalismus, der alles Heil in der Trennung der Völker und Volksgruppen sucht. Er konkurriert mit dem Versuch, sich in Bündnisse jenseits ethnisch-nationaler Grenzen zu integrieren. Dafür sollte das vielfältige Bosnien eigentlich einmal stehen. Der Beitritt zur EU ist der zweite große Versuch, aus den engen Grenzen auszubrechen. Die EU hat in den letzten Jahren einiges, aber noch zu wenig getan, um diese Perspektive glaubwürdig zu machen. Denn in den Westbalkan-Staaten gibt es auch viele, die davon gar nichts halten. Nationalisten gegen Integrationisten – das ist der Kampf in der ganzen Region.
Das Abkommen von Dayton 1995 für Bosnien-Herzegowina bot wenigstens die dürre Hoffnung, dass sich das ethnisch-nationale Prinzip mit der Zeit überwinden ließe. Das galt umso mehr, als sich muslimische Bosniaken und christliche Kroaten in einer Föderation zusammenschlossen. Aber die serbische Führung wollte sich nicht einbinden lassen und baute die staatlichen Strukturen ihrer Republika Srpska stetig aus. Sie errichtete Monumente und Themenparks, führte Feiertage und Rituale ein, die sie von Bosniaken und Kroaten weit entfernen sollten.
Das Muster ließ sich auch in Mazedonien beobachten
Für diese Politik steht der Serbenführer Milorad Dodik. Er torpediert seit langem die gesamtstaatlichen Institutionen und will sich jetzt in das dreiköpfige Staatspräsidium wählen lassen. Ganz sicher nicht, um die Einheit Bosniens voranzutreiben. Auch tut er alles, um eine Annäherung an die EU zu blockieren. Der Antrag Bosniens auf Beitritt ist seit 2016 – auch wegen ihm - kaum vorangekommen. Von einem Nato-Beitritt will Dodik schon gar nichts wissen. Er weiß dabei die Mehrheit der bosnischen Serben hinter sich, manchmal leisten ihm aber auch die bosniakischen und kroatischen Nationalisten Schützenhilfe.
Wie sehr dieses Muster die ganze Region durchzieht, sah man auch am vergangenen Sonntag weiter südlich in Skopje. Die Mazedonier waren aufgerufen, in einem Referendum über ein historisches Abkommen abzustimmen. Der mazedonische Premierminister Zoran Zaev hat sich mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras geeinigt, den Staatsnamen in Nordmazedonien abzuändern, wofür Griechenland seine jahrzehntelange Blockade des mazedonischen Beitritts zur EU und Nato aufgeben würde. Ein Deal mit Signalwirkung für ganz Südosteuropa: für Öffnung, Integration, friedliche Konfliktbeilegung, gute Nachbarschaft, wirtschaftlichen Aufschwung. Nicht im Programm: Ruhm, Siegesparaden und Monumente.
Das alles gefiel den Nationalisten in Skopje so gar nicht. Sie riefen zum Boykott der Abstimmung auf. Und sie hatten Erfolg, es gingen zu wenige zur Wahl. Die, die wählen gegangen waren, hatten mit überwältigender Mehrheit für das Abkommen gestimmt. Nun will Premier Zaev den Vertrag mit einer großen Mehrheit im Parlament durchbringen, die er leider noch nicht hat. Auch hier hat er wieder die Nationalisten gegen sich.
Russland unterstützt den Nationalismus
Diese erhalten dabei tatkräftige Unterstützung von einem alten Bekannten: Wladimir Putin. Russland unterstützt in der ganzen Region die Nationalisten, um zu verhindern, dass weitere Länder der Nato oder der EU beitreten. Ob Südosteuropa friedlich bleibt oder nicht, ist für Putin nachrangig. Der bosnische Serbenführer Dodik trifft sich regelmäßig mit dem russischen Präsidenten, seine Partei reist zu Kongressen der Putin-Partei Einheitliches Russland nach Moskau.
Auch in Skopje und Griechenland stützen russische Politiker die Nationalisten. In Griechenland agitieren Mittelsmänner in der nordgriechischen Region Makedonien, zetteln Demos und Proteste an. Die griechisch-russischen Beziehungen sind deshalb gerade so schlecht wie nie, die Regierung unter Tsipras hat russische Diplomaten ausgewiesen.
Die EU war bislang vornehmer als Russland in ihrer Einflussnahme. Während Putin die Agenten arbeiten lässt, beschränkte sich die EU auf konkrete Angebote und Aufrufe. Die Deutschen haben diese mit dem "Berliner Prozess" für Reformen und Zusammenarbeit verstärkt. Europa appelliert an den Verstand und die wirtschaftlichen Bedürfnisse. Russland bedient den Bauch und die nationalistischen Reflexe. In Bosnien und Mazedonien wird man sehen, was stärker ist.