Die Richterin als Pädagogin Ein notorischer Schwarzfahrer wird vor dem Jugendgericht dazu
verdonnert, sich selbst ein Fahrrad zu bauen. Zwei Jugendliche basteln sich zwecks Dombummel einen falschen Fünfziger – und werden
mit einem Aufsatz über Falschgeld und Inflation bestraft, statt (in echt!) zahlen zu müssen.
Ist das gerecht? Jugendrichterin
Monika Schorn sagt: Hauptsache, es hilft. Gerecht könne sie nur urteilen, wenn sie beachte, aus welchen Lebensumständen ein junger Mensch komme und wohin er sich entwickele. In Hamburg steht sie mit dieser Haltung nicht allein da
: Deutlich häufiger als etwa in ostdeutschen Bundesländern wenden Richter bei uns das Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden an, die manchmal auch älter sind als 18 Jahre. Argument: Der Mensch kann sich noch bessern, das Urteil soll dabei helfen.
»Im Jugendstrafrecht geht es um Erziehung, nicht in erster Linie um Strafzwecke«, sagt Monika Schorn. Die Richterin als Pädagogin – vielen Menschen stößt dieser Gedanke sauer auf. Zu milde, zu gutgläubig seien die Urteile im Jugendstrafrecht, heißt es dann. Dass erwachsene Menschen bisweilen in den vermeintlichen Genuss eines Prozesses nach Jugendstrafrecht kommen, stößt auf umso mehr Unverständnis. Nur:
Hilft es uns als Gesellschaft wirklich weiter, wenn der Staat die eiserne Knute schwingt und junge Menschen aus konfliktbeladenen Milieus in den Knast entsorgt? Wieso soziale Verarmung vor Gericht immer mehr zum Thema wird und wo sie in ihren Bemühungen um ein gerechtes Urteil an Grenzen stößt, erklärt
Hamburgs dienstälteste Jugendrichterin im Interview mit der ZEIT:Hamburg – nachzulesen in der neuen Printausgabe oder
digital hier.
Wie kann Wasser wieder »zum öffentlichen Raum« werden? »Komm, wir gehen schwimmen – in Hammerbrook!«, sagen Hamburger ungefähr nie. Der bei alliierten Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg nahezu völlig zerstörte Stadtteil ist heute geprägt von Industrie und Gewerbe, wirkt grau und ungemütlich. Doch es gibt auch Platz für Visionen: Bei den
»HALLO: Festspielen« wandelt sich das stillgelegte
Kraftwerk Bille zum vierten Mal in eine Spielwiese für Künstler und Stadtplaner. Dieses Jahr dreht sich das Programm ums Wasser – und die Frage, wie es wieder zum »öffentlichen Raum« werden kann. Koordinatorin
Dorothee Halbrock erklärt, warum.
Elbvertiefung: Wasser soll wieder »öffentlich« werden, sagen Sie – stehen die Hamburger Flüsse und Kanäle nicht allen offen?Dorothee Halbrock: Eigentlich schon, laut Gesetz sind Elbe, Alster oder Bille öffentlich. Doch entlang der Bille gibt es nur 1,5 öffentliche Zugänge zum Fluss. An und auf Elbe und Alster gibt es zwar öffentliche Flächen, doch deren Nutzung ist meistens mit Geld verbunden: Man leiht sich ein Boot aus, bucht eine Fahrt auf dem Alsterdampfer, trinkt oder isst in den Cafés am Ufer. Wir finden, das Wasser sollte mehr als gemeinschaftlich genutzter Raum verstanden werden, der der Stadtgesellschaft gehört. Und dabei sollten nicht nur die Bedarfe von Hafenindustrie und Gastronomie mitgedacht werden.
EV: Was sollte sich konkret ändern – am Beispiel der Bille? Halbrock: Die Bille wird zwar schon genutzt, es gibt einen Ruderclub, ein paar Hausboote, Wassersport. Aber es gibt eben kaum Zugang zum Fluss, das stört die Menschen, die dort leben oder arbeiten. Das haben Studierende der HafenCity Universität herausgefunden, die die Bille-Landschaft für ein Forschungsprojekt kartografiert und die Anrainer befragt haben. Viele wünschen sich demnach mehr Bootsanleger und Badestellen, sodass man auch in der Mittagspause mal schwimmen gehen kann.
EV: … das könnte man bedenkenlos?Halbrock: Na klar! Die Wasserqualität ist heute sehr gut, das haben städtische Untersuchungen ergeben. Man sollte nur keinen beherzten Köpper machen, dafür ist der Fluss an vielen Stellen nicht tief genug, und was auf dem Grund liegt, nicht immer absehbar.
EV: Klingt gut. Hat die Bille das Zeug zur neuen Alster?Halbrock: Nein, der Vergleich passt gar nicht! Gerade die Alster ist zu weiten Teilen von Gastronomie und Villen umgeben, viele Uferflächen sind privatisiert und exklusiv. Gerade solch ein Modell lehnen wir ab, zumal viele Unternehmen und Büros hier ihren Platz haben. Die wollen wir nicht verdrängen, uns schwebt eine Mischnutzung vor: Industrie und Kultur haben ihren Platz am Wasser, beide können nebeneinander existieren.
EV: Was sagt die Stadt dazu? Mit dem Entwicklungsprogramm »Stromaufwärts an Elbe und Bille«, das Tausende Neubauwohnungen im Hamburger Osten vorsieht, soll auch die Bille aufgewertet werden …Halbrock: Ja, doch es gibt kaum konkrete Vorschläge wie. Meistens geht es darum, vom Land aufs Wasser zu gucken; so ist am Billebecken eine Art Promenade zum Flanieren vorgesehen. Uns geht es eher darum, Verbindungen zwischen Wasser und Land zu schaffen. Statt das Gelände zu planieren und eine Wassernutzung für Jahre festzuschreiben, schweben uns reversible Maßnahmen vor – wie der temporäre Anleger, den wir gerade aus alten Containern zusammengeschweißt haben. Der liegt jetzt hinter dem Kraftwerk Bille, lässt sich aber nach Bedarf verschieben. Wir sind optimistisch, dass unsere Ideen ernst genommen werden. Unser Kontakt zur Stadt ist gut, wir werden finanziell gefördert von der Kulturbehörde und der Bezirksversammlung.
EV: Bei den »HALLO: Festspielen« wollen Sie zeigen, wie das Wasser kulturell bespielt werden kann. Wie denn zum Beispiel?Halbrock: Ein Wassertaxi bringt Festivalgäste von der S-Bahn Hammerbrook bis zu unserem Anleger, wer mag, kann die Bille auch selbst mit Booten erkunden. Wir bauen große, fahrbare Papierboote, die Rudervereinigung Bille bietet eine Lichterfahrt mit beleuchteten Kanus, Kajaks und Ruderbooten an. In einem selbst gebauten Amphitheater am Ufer finden Konzerte statt, DJs legen auf, und auf dem Anleger diskutieren Stadtplaner, Architekten und Künstler, wie ein »Recht auf Bille« aussehen könnte.
Die »HALLO: Festspiele« finden von Freitag, 3. August, bis Sonntag, 5. August, im Kraftwerk Bille statt. Weitere Infos zum Programm hier