Pinkwashing im Valley Gern schreiben sich Facebook, Google und andere Techfirmen ihre Toleranz und LGBTI-Freundlichkeit auf die Fahnen. Ist das alles nur eine Strategie? VON ANJA KÜMMEL |
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| | Vor der Kontrastfolie Trump kann sich das Silicon Valley als nötiger Gegenspieler gerieren. © Ash Edmonds/unsplash.com |
Eines Abends im vergangenen Herbst saß eine Gruppe junger, queerer Expats bei mir auf dem Sofa – Arbeitskolleg*innen meines damaligen Dates, die in einem Berliner Start-up irgendwelchen Tech- und Marketingjobs nachgingen. Alles war entspannt, bis ich meinen Laptop aufklappte und meinen Standardbrowser Firefox öffnen wollte. Im Chor schrien sie so entsetzt auf, als hätte ich gerade etwas Hochgiftiges in den Mund gesteckt: "Weißt du denn nicht, dass der Mozilla-Chef ein konservativer Homohasser ist und Trump unterstützt?"
Google dagegen sei unglaublich cool und queerfreundlich und hätte maßgeblich Hillary Clintons Wahlkampf finanziert. Irritiert hielt ich inne. Bislang hatte ich Mozilla für eine relativ harmlose gemeinnützige Organisation gehalten. Aber offenbar hatte ich mich gründlich getäuscht. Panikartig installierte ich Google Chrome, die queeren Techies nickten zufrieden, und schon wurden wir in die schöne, bunte Welt von Netflix gesaugt.
Ich hätte am nächsten oder übernächsten Tag recherchieren können. Tat ich aber nicht. Die einhellige Empörung der so offenkundig hippen und weltoffenen Millennials, die kaum etwas anderes taten als sich durch diverse Newsfeeds zu scrollen – und sicherlich besser auf dem Laufenden waren als ich –, hatte mich überzeugt.
Erst als sich in meiner Nachbarschaft Proteste gegen den in Berlin-Kreuzberg geplanten Google-Campus zu regen begannen, kamen mir Zweifel. Ganz abgesehen vom Gentrifizierungsschub, den ein solcher Techcampus auslösen würde, wurde mir klar, dass Google weitaus mehr ist als die meist benutzte Suchmaschine. Durch seinen Mutterkonzern Alphabet Inc. ist das Unternehmen auch in fast allen anderen Hightechforschungsgebieten führend: im Bereich Stadtplanung (Sidewalk Labs), Künstliche Intelligenz (DeepMind), selbstfahrende Autos (Waymo), Transhumanismus (Calico) oder Smart Homes (Nest).
Endlich recherchierte ich
Automatisierung, Totalvernetzung, 24-Stunden-Überwachung – war das die Welt, in der ich zukünftig leben wollte? Die queeren Techies schienen dazu keine eindeutige Meinung zu haben. Vielmehr sahen sie die kommende Vorherrschaft von KI als eine gegebene Sache an, auf die es sich bestmöglich vorzubereiten galt. Die Frage, ob sie ebenso widerstandslos mitlaufen würden, wenn Donald Trump – oder sagen wir Hillary Clinton – beschlossen hätte, Abhörgeräte in ihren Wohnungen zu installieren, brannte mir auf der Zunge. Ich stellte sie nicht. Denn eines hatte ich inzwischen gelernt: Wann immer ich es wagte, auch nur die leiseste Kritik an jenen Technologien zu äußern, die ihr Privat- und Arbeitsleben bestimmten, schlugen mir Wellen der Verachtung entgegen: Ob ich etwa das Rad der Geschichte zurückdrehen wollte? Hatte ich noch nie etwas von Googles Legalize-Love-Kampagne gehört? Oder davon, dass Facebook und Netflix ihren Arbeitgeber*innen geschlechtsangleichende Operationen bezahlen? Kurz: Dass Technologie die Welt, gerade für Menschen wie uns, zu einem besseren Ort gemacht hatte, war unbestreitbar!
Ich hielt also den Mund, kehrte aber klammheimlich zu meinem alten Browser zurück. Und recherchierte endlich. Mit dem "Firefox-Chef" konnte eigentlich nur Brendan Eich gemeint gewesen sein, der im Jahr 2014 von seinem Posten als Mozilla-CEO zurückgetreten war, nachdem herausgekommen war, dass er sechs Jahre zuvor einer kalifornischen Kampagne gegen die Homo-Ehe 1.000 Dollar gespendet hatte. Ob der auch Trump unterstützt hatte, konnte ich nicht verifizieren. Dass aber die jungen, dynamischen Techies, für die normalerweise ein zwei Stunden alter Post schon Schnee von gestern war, einhellig ein vier Jahre zurückliegendes Ereignis als unverbrüchliche Wahrheit hochhielten, verwunderte mich einigermaßen. Ebenso, wie ihnen entgangen sein konnte, dass Google nicht nur als Hauptgeldgeber der Mozilla Foundation fungierte, sondern selbst 285.000 Dollar für Trumps Antrittsfeier gespendet hatte.
Als wenig später der Fall Cambridge Analytica durch die Medien ging, versuchte ich es noch einmal mit sanfter Kritik. Müsse man nicht langsam einsehen, dass das werbefinanzierte Geschäftsmodell von Facebook & Co. gerade rassistischer, sexistischer und homophober Agitation die perfekte Plattform bietet? Keineswegs, empörten sich die queeren Techies. Ein "ärgerlicher Betriebsunfall", weiter nichts. Zuckerberg habe sich schließlich entschuldigt und Besserung gelobt.
Gigantische Imagepflegemaschine
Unwillkürlich kam mir der legendäre Drei-Wetter-Taft-Werbespot aus den späten Achtzigern in den Sinn: NSA-Skandal? Das Image sitzt! Cambridge Analytica? Der Slogan hält! Ausbeutungsverhältnisse weltweit? "Do the right thing!" bietet perfekten Schutz.
Zu denken gab mir nicht nur der skurrile Umstand, dass ausgerechnet ein gepiercter, offen schwul lebender Veganer als Chefdatenanalyst von Cambridge Analytica das "psychologische Kriegswerkzeug" mit entwickelte, das später zur Manipulation von Millionen Facebook-Nutzern während Donald Trumps Wahlkampf eingesetzt wurde. Vor allem machten mich die Worte der Hauptinvestorin Rebekah Mercer und des Firmengründers Steve Bannon stutzig: "Wir brauchen mehr von deiner Sorte auf unserer Seite." Wenn sogar Trumps Wahlkampfberater die Strategie beherzigen "Wenn wir die Queers an Bord holen, wird der Rest schon folgen" – was sagt die ostentative LGBTI-Freundlichkeit von Google, Facebook & Co. dann noch über die politische Haltung dieser Unternehmen aus?
Da es sich mit meinem Date ohnehin erledigt hatte (so gut funktioniert OkCupids Matchingfunktion dann doch nicht), beschloss ich zu guter Letzt, die queeren Techies auf die eklatanten Widersprüche zwischen der Diversitypolitik des Silicon Valley und deren realen Praktiken anzusprechen: auf der einen Seite das nach maximaler Diversität gecastete Verkaufspersonal im Apple-Store in Stanford, auf der anderen Seite, keine fünfzig Kilometer entfernt, die Verdrängung lateinamerikanischer und afroamerikanischer Bevölkerungsteile sowie LGBTIs aus der Innenstadt von San Francisco. Auf der einen Seite die lautstarke Empörung gegen Trumps Antieinwanderungspolitik, auf der anderen jene "Contentmoderatoren" in Manila, die für einen Dollar pro Tag Facebook und Youtube von Kinderpornografie und Enthauptungsvideos "reinigen".
Immerhin einige Sekunden lang wurden irritierte Blicke getauscht. Dann jedoch kam, wie aus einem Mund, das schlagende Gegenargument: Wenn ich so "radikal technologiekritisch" sei, könnte ich ja gleich "rechts" sein!
Der Tenor dieser Aussage machte mich sprachlos. War hier wirklich nur eine gigantische Imagepflegemaschine am Werk?
Ein paar Wochen später hörte ich in einer arte-Reportage den 25-jährigen Bitcoin-Investor Jeremy Gardner darüber sprechen, wie verantwortungslos große Social-Media-Plattformen mit ihren Nutzerdaten umgehen. Er schloss mit den Worten: "Trotzdem vertraue ich meine Daten lieber Mark Zuckerberg an als Donald Trump!"
Langsam dämmerte mir, dass aus der kruden Polarisierung zwischen liberalem Techutopismus vs. reaktionärem Rechtspopulismus vor allem eines spricht: die nackte Angst vor der "falschen" Art der Disruption. Ja, KI und Big Data sind unheimlich. Noch viel unheimlicher ist allerdings ein unberechenbarer Egomane als Lenker der Weltgeschicke. Auf welche Seite man sich angesichts dieser Alternativen als queerer, kosmopolitischer Mensch zu schlagen hat, so der Tenor, ist klar.
Konsensaktivismus im Silicon Valley
Allerdings muss man keine Echokammern oder russische Geheimdienste bemühen, um zu begreifen, wie sehr diese vermeintlichen Antagonismen einander letztlich bedingen. Man braucht sich nur Googles Legalize-Love-Kampagne aus dem Jahr 2012 etwas genauer anzuschauen. "Homosexualität entkriminalisieren und Homophobie weltweit abschaffen" klingt erst einmal nach einem löblichen Ansinnen. Google konnte sich ziemlich sicher sein, mit dieser Art des Konsensaktivismus nicht nur bei Queers, sondern bei allen, die sich als liberal und progressiv verstehen, auf breite Zustimmung zu stoßen. Allerdings bekommt die Kampagne einen unguten Beigeschmack, wenn man sich die nonchalante Selbstverständlichkeit vor Augen führt, mit der sich hier ein (definitiv nicht demokratisch gewähltes) Privatunternehmen anmaßt, Staatspolitik zu betreiben. So versuchte Google beispielsweise auf die Regierung von Singapur Druck auszuüben, sich den liberalen westlichen Werten anzupassen, um in der Businesswelt mithalten zu können.
Solange es Instanzen gibt, in deren Aufgabenbereich derartige Verhandlungen normalerweise fallen würden, lassen sich solche privatwirtschaftlichen Machtdemonstrationen recht einfach kritisieren. Mittlerweile herrscht aber ein eklatanter Mangel an demokratisch gewählten linken Kräften. Und dieses politische Vakuum – in Verbindung mit einer inkompetenten rechten Hassfigur an der Weltspitze – bietet der Techelite in gewisser Weise die optimalen Voraussetzungen, um die eigene Macht auszubauen. Wer kann jetzt noch die Welt retten? Wenn niemand sonst mehr für Offenheit, Toleranz und Inklusion einsteht? In den Worten Mark Zuckerbergs: "We can fix this!"
Mit Hillary Clinton an der Macht wäre das Silicon Valley höchstwahrscheinlich bloßer Stichwortgeber geblieben (wie etwa der Alphabet-Chairman Eric Schmidt während der Ära Obama). Mit Trump als Kontrastfolie hingegen kann es sich als bitter nötiges Gegengewicht zum irrationalen Populismus einer rechtskonservativen Führung gerieren.
Angesichts dieser Verschiebung der Machtverhältnisse liegt die Vermutung nahe, Mark Zuckerberg könnte Ambitionen hegen, 2020 für die US-Präsidentschaft zu kandidieren.
Er selbst dementiert derartige Bestrebungen. Sich einer demokratischen Wahl und damit auch einer moralischen Verantwortung zu stellen, dürfte allerdings nicht im Interesse des Techmilliardärs liegen. Was sich derzeit abzeichnet, ist vielmehr eine schleichende Kybernetisierung der Politik: Echtzeitanalysen statt Wahlen, die algorithmische Regulation sämtlicher Strukturen, kurz: "democracy as data" liegt nicht mehr außerhalb des Denkbaren. Vermutlich werden wir uns in ein paar Jahren also nicht zwischen Trump und Zuckerberg, sondern viel umfassender zwischen "ineffizienter" analoger Demokratie und technokratischer Vernunft (sprich: der algorithmischen Steuerung durch profitorientierte Unternehmen) entscheiden müssen. Wo dann die queeren Techies ihre Kreuzchen setzen, ist nicht schwer zu erraten.
Anja Kümmel studierte Gender Studies und Spanisch in Los Angeles, Madrid und Hamburg. Seit 2011 lebt sie als freie Autorin und Journalistin in Berlin. Im April 2016 erschien ihr dystopischer Zukunftsroman "V oder die Vierte Wand" im Hablizel Verlag. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". |
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Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen. |
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