US-Steuerreform bedroht Wissenschaft | Autoren im Clinch | 3 ½ Fragen an Olaf Kaltenborn | Dr. acad. Sommer erklärt, wie Forscher Medienexperten werden

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.
 
 
   
 
 
 
 
 
 
 
 
   
   
Liebe Leserinnen und Leser,
an diesem Wochenende haben wir Kerzen angezündet. Es ist Advent, klar, aber das allein war es nicht. Die Wissenschaft in den USA braucht dringend Support. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, bringt Donald Trump mit den Republikanern bis Weihnachten eine Steuerreform durch, die die US-Wissenschaft nachhaltig schwächt. In unserem Fragebogen erinnert Olaf Kaltenborn an die Bedeutung des wissenschaftlichen Diskurses, und Dr. acad. Sommer erklärt, wie Wissenschaftler in die Medien kommen.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Trumps Steuerreform, ein Debakel für die Wissenschaft
Die von US-Präsident Donald Trump geplante Steuerreform (Entwurf als PDF) steht kurz vor ihrem Abschluss. Das heißt für die Wissenschaft: Alarmstufe rot! In der Nacht zum Samstag stimmte eine hauchdünne Mehrheit im US-Senat nach einem Verhandlungskrimi doch noch für das umstrittene 1,3-Billionen-Euro-Paket (ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau). Davon profitieren in erster Linie Unternehmen und Reiche. Die Wissenschaft gehört zu den großen Verlierern. Die Steuerschraube wird nicht nur angezogen bei den besonders reichen, stiftungsfinanzierten US-Eliteunis (Chronicle, InsideHigherEd, Open Secrets). Besteuert werden künftig auch Nachlässe bei Studiengebühren-Rückzahlungen (npr). Und Doktoranden und Postdocs, die an Hochschulen forschen und lehren, müssen deutlich mehr zahlen (Crimson). Der international renommierte Hochschulexperte Philip Altbach warnt seit längerem schon vor der Reform. Sie sei “deeply worrying” und “indicative of the general anti-higher education views of the Republicans and the Trump administration” (THE).  Besonders lesenswerte Kommentare zur aktuellen Lage und ihren Hintergründen finden sich hier: Washington Post, The Conversation, Chronicle.
  
 
 
Weniger Studienabbrecher in Ingenieurwissenschaften
Aufatmen bei den Ingenieurwissenschaften. Nach einer Studie (PDF) von Acatech und TU 9 brechen weniger junge Menschen ihr Ingenieurstudium ab als bisher angenommen. Von der Uni die Nase voll haben demnach aktuell nur noch 23 Prozent, weitere 18 Prozent wechseln das Fach oder die Hochschule. Bislang war von einer Abbrecherquote von knapp 50 Prozent die Rede (Tagesspiegel). Die Studie lehrt: Politik und Hochschulen können dem Studienausstieg sehr wohl entgegenwirken, wenn sie es denn wollen. Eine Übersicht konkreter Projekte in den Ingenieurwissenschaften ist zusammen mit der Studie erschienen.
  
 
 
Europa erhöht Forschungsetat
Es war eine Zitterpartie, aber nun die Sache beschlossen: Rund 11,2 Milliarden Euro fließen nächstes Jahr über das europaweite Förderprogramm Horizon 2020 in Forschung und Innovation. Das sind rund 110 Millionen Euro mehr als die Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag geplant hatte. Etwa 30 Millionen Euro davon gehen in den European Research Council und in Marie Skłodowska-Curie Actions. Die Entscheidung fiel vergangenen Freitag im Straßburger Europaparlament und wurde noch am gleichen Tag in Deutschland freundlich quittiert: „Nach Jahren des Roststifts scheint sich jetzt die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, wie wichtig Bildung, Forschung und Innovation sind“, lobte HRK-Präsident Horst Hippler in einer Pressemitteilung, nicht ohne zugleich den Zeigefinger zu heben. Forschung und Innovation wären im Gesamtetat der EU immer noch „kleine Posten“, was „ihrer Bedeutung für die Zukunft Europas nicht gerecht“ werde.
  
 
 
Autoren im Clinch
Wer im Team forscht und publiziert, rangelt früher oder später mit seinen Kollegen um die Autorschaft. Karrieren entscheiden sich danach, wer an welcher Stelle genannt wird. Das führt nicht nur in Deutschland zu Konflikten, wo aktuell etwa jede fünfte Anfrage an den Ombudsman für die Wissenschaft aus Autorschaftsstreitigkeiten resultiert (Jahresbericht 2016). Wie eine THE-Umfrage zeigt, liegen Wissenschaftler in der ganzen Welt miteinander im Clinch. Zwei Drittel der rund 360 befragten Forscher gaben an, sich schon einmal von einem erfahreneren Wissenschaftler bei der Autorschaft ungerecht behandelt gefühlt zu haben. Ein Drittel räumte ein, bereits eine Autorschaft ohne entsprechende Leistung angeboten bekommen zu haben. Lösungsideen gibt es bereits: 77 Prozent der Befragten wünschen sich die exakte Benennung der jeweils erbrachten Forschungsleistung.
  
 
 
Verwaltungsrichter kippen Anwesenheitspflicht
Ist die Universität eine Veranstaltung für Erwachsene oder nicht? Seit einer gefühlten Ewigkeit diskutieren Politiker, Hochschulen und Studierende über die Anwesenheitspflicht. Jetzt hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ein Urteil gefällt, das bundesweite Aufmerksamkeit verdient. Die Richter erklärten die Präsenzpflicht für Bachelorstudierende der Politikwissenschaften an der Uni Mannheim für unzulässig. Die Begründung: Die Regeln seien nicht eindeutig genug gewesen, sie  müssten für Studierende klar erkennbar sein (SWR, Spiegel Online).
  
 
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
1254

Universitätsprofessuren waren im Jahr 2015 ausgeschrieben, fast 600 Stellen weniger als 2009. Der Wettbewerb um die Professuren hat sich im gleichen Zeitraum verschärft. Nach Angaben des Deutschen Hochschulverbands konkurrieren mittlerweile sieben qualifizierte Bewerber um eine Stelle, 2009 waren es nur vier.
 
Quelle: DHV
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Olaf Kaltenborn

Leiter der Abteilung Marketing und Kommunikation an der Goethe-Universität Frankfurt/Main
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Stichwort "Meinungsfreiheit auf dem Campus": Universitäten und Hochschulen laufen heute Gefahr, immer mehr zu Kampfplätzen gesellschaftlich und politisch unausgetragener Spannungen zu werden und riskieren, dabei selbst beschädigt zu werden. Je distanzloser und aggressiver im öffentlichen und politischen Meinungsraum kommuniziert wird, umso mehr stehen die Unis in der Pflicht, dieser Distanzlosigkeit etwas entgegenzusetzen. Sie müssen daran erinnern, dass sie keine Orte beliebiger Kommunikation und absoluter Meinungsfreiheit sind, sondern Orte des wissenschaftlichen Diskurses. Das heißt, jede Meinung oder Haltung, die sich auf dem Campus artikulieren will, muss sich gefallen lassen, wissenschaftlich hinterfragt zu werden.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Langatmige und unproduktive Meetings sowie Abstimmungsprozesse.

Lektüre muss sein. Welche?
"Intrige" von Robert Harris, ein mit packender Intensität erzählter Roman über den vorsätzlich herbeigeführten "Justizirrtum" im Fall Dreyfus, den man bis zur letzten Zeile nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Und sonst so?
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht" (Václav Havel, 1936-2011).
   
   
 
 
   
   
   
Anzeige
 
   
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Dr. acad. Sommer
 
 
   
   
Lieber Dr. acad. Sommer,
Ich arbeite an einem Forschungsthema, dem momentan viel gesellschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Für mich wäre das eigentlich eine perfekte Gelegenheit, um mich stärker in den öffentlichen Dialog einzubringen, denn ich glaube, ich kann hier viel beitragen – nur habe ich kaum Erfahrung damit. Wie kann ich mich als Expertin etablieren und Medien auf mich aufmerksam machen?

 
Liebe X,  im ersten Schritt sollten Sie sich diese Frage stellen: Mit welchem Thema möchten Sie in welchen Medien präsent sein? Ihre Kommunikationsabteilung kann Ihnen dann erste Medienkontakte vermitteln  oder Anfragen gezielt an Sie weiterleiten. Der beste Zeitpunkt hierfür ist ein aktueller Anlass im Tagesgeschehen, auf den Sie schnell reagieren sollten. Nächster Schritt: Machen Sie es den Leuten leicht, Sie zu finden. Ihre eigene Webseite sollte ansprechend, informativ und aktuell sein, mit Foto, Forschungsprofil und Kontaktdaten. Auch Stichwörter sind sehr wichtig: Beim Thema Diabetes wird im Netz nach „Professur für Diabetesforschung“ gesucht, nicht nach „Signaltransduktion bei Stoffwechselerkrankungen“.  Äußern Sie sich aktiv: Social Media – insbesondere Twitter – sind sehr nützlich, um sich regelmäßig  zu bestimmten Themen zu Wort zu melden. Wissenschaftler nutzen diesen Kanal zwar kaum, Journalisten aber umso mehr, und Sie werden erstaunt sein über die Resonanz mancher Tweets. Falls Sie kein „Digital Native“ sind, erhalten sie im Netz hervorragende Twitter-Anleitungen für Einsteiger. Nur Mut!
 
Wenn Sie dann irgendwann Ihre erste Medienanfrage bekommen, sollten Sie gut vorbereitet sein:
Ganz wichtig: Wer die Kunst der Reduktion nicht beherrscht, geht unter! Verzetteln Sie sich nicht in wissenschaftlichen Details. Viele Wissenschaftler haben Angst, dass ihr Ruf in der Community leidet, wenn sie Zusammenhänge vereinfacht darstellen; diese Sorge ist jedoch unbegründet.
Wenn Sie beim Erzählen nicht auf den Punkt kommen, verzeihen Ihnen das vielleicht Ihre Studenten – aber niemals die Zuhörer einer Radiosendung. Überlassen Sie Ihren Auftritt also nicht dem Zufall, sondern lassen Sie sich von Profis vorbereiten. Ein Medientraining lohnt sich immer.

Eine Warnung vorweg: Selbstvermarktung in der Wissenschaft funktioniert am besten, wenn Sie wenige Themen intensiv bespielen. Wenn Sie also einmal zur Expertin zum Thema XY erhoben werden, bekommen Sie wahrscheinlich immer wieder dieselben Fragen und sollen immer wieder ähnliche Antworten geben. Seien Sie deshalb nicht enttäuscht. Oberstes Ziel ist nicht, dass Sie möglichst viel Wissen präsentieren, sondern dass Sie eloquent und fundiert über ein Thema sprechen,  das die Menschen interessiert, so dass Ihre Gesprächspartner hinterher zu dem Schluss kommen:  „Wow, die sollten wir beim nächsten Mal wieder einladen!“
 
Dr. Uli Rockenbauch ist Persönlicher Referent der Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft und berät die Scientific Community im ZEIT CHANCEN Brief als "Dr. acad. Sommer".
 
 
   
   
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an chancen-brief@zeit.de, twittern Sie unter #ChancenBrief – oder hinterlassen Sie uns in diesem Kontaktformular anonym Ihre Frage!
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Es ist wieder da! Vor 100 Jahren hielt Max Weber seine berühmte Rede. Für ihn waren Wissenschaftler Helden. Heute wollen sie vor allem Chef werden. Versponnene Gelehrte und zerstreute Käuze gibt es immer weniger. Muss der Heroismus wiederauferstehen? von Christoph Möllers
 
Blick ins Digital Oje! Für die Schulen sind neue Medien noch immer Neuland.  Zwei Studien zeigen, wie sich das ändern kann Was kann Afrika retten? Eine Studie zeigt, dass Bildung die beste Hilfe ist No sex, please! Vor zwei Wochen fragten wir: Wie klärt man Kinder am besten auf? Der ZEIT-Redakteur Patrik Schwarz sagt: Wem am Sex gelegen ist, sollte ihn vor Verschulung bewahren. Eine Verteidigung der Intimität in Zeiten der Dauererotik

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Lassen Sie sich nicht kleinkriegen!

Ihr CHANCEN-Team

PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
   
Anzeige
Jobs im ZEIT Stellenmarkt
Jetzt Branche auswählen und Suche starten: