| | Nach den rechtsradikalen Krawallen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 © Jan Bauer/dpa |
Vor ein paar Wochen bekam ich eine Anfrage für ein Input-Referat auf der Eröffnungsveranstaltung der Konferenz "30 Jahre Ost-Antifa", die Anfang Dezember in Potsdam stattfand. Es ging um die Entstehung der Antifa, um DDR-Geschichte, um Jugendkulturen und um den Überfall von Neonazis auf die Ostberliner Zionskirche am 17. Oktober 1987 als Fanal für linke Oppositionelle, eine Antifa jenseits des Staates zu organisieren. Denn mit dessen Hilfe war, wie man sah, im Ernstfall nicht zu rechnen.
Ich erinnerte mich wieder an diesen 17. Oktober 1987. Ich war mit einer Freundin verabredet. Wir wollten zu einem Konzert gehen. Ja genau, in die Zionskirche. Ich ging sonst nie auf Konzerte, da waren mir zu viele Menschen. Das war einfach nicht mein Ding. Aber an dem Tag war ich nicht so abgeneigt. Immerhin sollte vor der Ostband auch Element Of Crime spielen, die wir mochten.
Jetzt, 30 Jahre später, saß ich neben den Antifa-Jungs von damals auf einem Podium. Dabei war ich gar nicht Antifa, nicht mal Opposition. Ich hatte etwas anderes zu berichten. Von DDR-Rassismus. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines vietnamesischen Vaters hatte ich seit meinem ersten Schultag 1968 in Ostberlin Ausgrenzung und psychischen und physischen Terror als alltäglichen Stress im Klassenzimmer, auf Schulhöfen, in der Aula, in FDGB-Heimen, öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Straßen und auf Sportfesten, in Ferienlagern und auf meinem heimischen grünen Innenhof in Alt-Hohenschönhausen erlebt. Eben überall da, wo Menschen zusammenkamen.
Wie ein perverser Sonnenaufgang
Aus dem Publikum fragte mich eine Frau, ob ich Kontakt zur Ost-Antifa gehabt habe, ob ich mir da Unterstützung geholt hätte. Ich hätte sie treffen sollen, damals schon, aber ich wusste nichts von ihnen.
Ich bewegte mich in ganz anderen Kreisen, studierte Filmdramaturgie, ging 1986 zum DEFA-Spielfilmstudio, regte mich über die herrschende Filmpolitik auf und über die vielen mittelmäßigen DEFA-Filme jener Zeit. Aber ich war eben doch Teil dieser noch gut beheizten, noch gut verwalteten Agonie, ohne mich politisch wirklich nach draußen in die rauen Gefilde der Opposition zu begeben, wo die Leute wirklich was riskierten: ihre Lehrstelle, ihren Arbeitsplatz, ihre familiären Bindungen.
Ab Ende der siebziger Jahre sah ich immer öfter Glatzen auf den Straßen Ostberlins, denen ich schleunigst auswich. Als DDR-Jugendliche begannen, eine Neonazi-Bewegung zu werden, war meine kindliche Sozialisation mit täglichem Rassismus längst abgeschlossen. Jetzt begann etwas, das für mich mit dieser Vergangenheit jedoch untrennbar zusammenhing: Meine Ängste waren nicht länger privat. Jetzt wurde es öffentlich. Die Nazis gingen in Stellung. Ich hatte Angst um die jüdischen Menschen, Angst um all die Vertragsarbeiter*innen, die man auf den Straßen sofort erkannte. In meiner hypersensiblen Vorstellung sah ich einen neuen Faschismus heraufziehen, wie einen perversen Sonnenaufgang. So schrieb ich es jedenfalls in meine Deutsch-Hausarbeit "Darstellung meiner Entwicklung" in der 11. Klasse.
Meine Wut blieb frisch
Heute muss ich erklären, woher mein vietnamesischer Name kommt. Jetzt, wo viel mehr Menschen mit nichtweißem Aussehen überall zu sehen sind, wirke ich vergleichsweise einheimisch. Ich bin nicht mehr allein.
Der Rassismus meiner Kindheit wäre mir vielleicht im Nachhinein nur noch wie ein böser Traum vorgekommen, hätte ich nicht selbst Kinder bekommen. So aber sah ich Schulen wieder von innen. Meine Tochter erlebte 25 Jahre später ähnliche rassistische Angriffe in ihrer Ost-Schule, lange nach dem Ende der DDR, und ich stürmte wie einst meine Mutter in die Schule, um die Angreifer zur Rede zu stellen. Diese Kinder, dachte ich dabei, sind die Kinder der Kinder von damals.
Judenfeindliche Beschimpfungen
Meine Aufmerksamkeit blieb geschärft, mein Mitgefühl immens, mein Schmerz lebendig, meine Wut frisch. Über die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen und die Toten von Mölln und Solingen Anfang der neunziger Jahre ebenso wie mehr als zehn Jahre später über die ungestrafte Verbrennung von Oury Jalloh in der Dessauer Polizeizelle Nummer fünf oder Björn Höckes letztlich tolerierte Äußerungen über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, über die aktuelle Abschiebung afghanischer Geflüchteter in ein höchst unsicheres Land, über die judenfeindlichen Beschimpfungen auf deutschen Schulhöfen.
Er verstehe gar nicht, warum die Leute den Einzug der AfD in den Bundestag so entsetzlich und verwunderlich finden, schrieb mir neulich ein Freund, Kind vietnamesischer Boatpeople. Dass es diese Leute gibt, habe er schon in seiner Schulzeit im Westen mitbekommen. Auch er. Auch dort. Fast fühle er so etwas wie grimmige Freude, weil die Leute jetzt zugeben müssten, dass seine Erinnerungen nicht übertrieben sind.
"Juden raus aus deutschen Kirchen!", riefen die Neonazis damals in der Zionskirche und schlugen einem Kirchenmitarbeiter, der mit erhobenen Armen auf sie zuging, mit der Faust ins Gesicht. So berichtete es mir neulich jemand, der dort war.
Denn ich war es nicht. Das Konzert in der Zionskirche fand zum Glück ohne mich statt. In letzter Minute hatte ich meiner Freundin abgesagt. Warum? Ich weiß es nicht mehr. Angelika Nguyen studierte in Babelsberg Filmwissenschaft. 1992 drehte sie den Dokumentarfilm "Bruderland ist abgebrannt" über die Lage vietnamesischer Immigrant*innen im Osten Berlins. 2011 erschien ihr Essay "Mutter, wie weit ist Vietnam?" über den Rassismus in ihrer Kindheit in dem Sammelband "Kaltland". Sie arbeitet als freie Referentin, betreibt gern Filmanalyse und schreibt über Kinostarts vor allem auf telegraph.cc. Sie ist Gastautorin von "10 nach8".
Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
|