Kurz vor dem Weihnachtsfest geraten die wohlbekannten Frontlinien des globalen Kulturkampfes noch einmal kräftig in Bewegung. Das soll in der letzten
5vor8-Kolumne dieses Jahres nicht unbemerkt bleiben. Spätestens seit dem 11. September wollen uns Islamhasser und radikale Islamisten in unheiliger Eintracht erzählen, dass Christen und Muslime Feinde seien. Europäische Rechtspopulisten und amerikanische Trumpisten haben obendrein noch große Sympathien für das Judentum entdeckt, weil sich damit so schön Front gegen den Islam machen lässt.
Doch sind diese Sortierungen erstens ziemlich altbacken und zweitens sehr westlich. Der Nahe und der Mittlere Osten sind längst weiter. Nicht unbedingt auf friedliche oder fruchtbare Art, aber die simplen Vorstellungen atlantischer Rechtspopulisten in der EU und den USA bleiben hinter der Realität am Ursprungsort der religiösen Gegensätze zurück.
In Jerusalem entdeckten Journalisten am 9. Dezember in der Altstadt eine offizielle Delegation aus Bahrain, dem kleinen sunnitischen Königreich mit einer schiitischen Bevölkerungsmehrheit am Golf. Die Bahrainer spazierten im christlichen Viertel Jerusalems, wo sie mit Thob und Dischdascha, den traditionellen arabischen Gewändern, durchaus auffielen. Sie kauften ein, später hatten sie noch Termine in der israelischen Regierung und polierten an den immer besseren Beziehungen zwischen Bahrain und Israel. Und das Ganze kaum drei Tage, nachdem Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte – und eigentlich die ganze arabische Welt im
Aufstand gegen Trump und Israel sein sollte.
Tatsächlich aber fiel der große Aufstand aus.
Palästina ist keine Herzensangelegenheit mehr, die großen Fronten liegen woanders. Wichtige Staaten der arabischen Welt suchen längst eine gewisse Nähe zu Israel – nicht aus Sympathie, sondern aus machtpolitischen Erwägungen. Das kleine Bahrain ist da ganz vorneweg, es hatte schon früher eine Handelsvertretung des jüdischen Staates in der Hauptstadt Manama beherbergt. Saudische und israelische Offiziere treffen sich regelmäßig, die Vereinigten Arabischen Emirate tauschen sich mit Israel aus. Der iranisch-saudische Gegensatz zieht die neuen Gräben, und viele kleinere Staaten richten sich danach aus. Es ist in erster Linie ein Konflikt zwischen Nationalstaaten, der durch die religiöse Konkurrenz zwischen Sunniten und Schiiten weiter befeuert wird.
Erdoğans Kulturkampf gegen Israel Braucht es noch einen Beleg für diese Entwicklung, so lieferte ihn der
Istanbuler Gipfel der Organisation der Islamischen Konferenz vorgestern. Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan brachte dort arabische Staaten und den Iran zusammen, um Trump operettenhaft zu kopieren und Ostjerusalem als Hauptstadt Palästinas anzuerkennen. Das alles natürlich vor allem zum Lobe Erdoğans, des großen Selbstdarstellers. Für Palästina ist der Beschluss ohne praktische Wirkung.
Interessanter war, wer dem Gipfel fernblieb, nämlich der saudische König (der sich durch einen Beamten vertreten ließ), der ägyptische Präsident, der Herrscher von Abu Dhabi. Sie möchten weder mit dem Iran an einem Tisch sitzen noch sich dem von Erdoğan orchestrierten Kulturkampf gegen Israel anschließen. Der Gipfel illustrierte die Spaltung des Islams, nicht die Einheit.
Die interessanteste Volte zur Verwirrung der Fronten im Kulturkampf ist eine Nachricht von vergangener Woche. Da kam heraus, dass der Käufer des teuersten Gemäldes der Welt ein Mitglied des saudischen Königshauses ist. Das für sich verwundert angesichts der Extravaganzen im Haus Al-Saud nicht, wohl aber das Bild selbst. Es ist der
Salvator Mundi von Leonardo da Vinci. Wenn ein saudischer Muslim ein Bild von Jesus Christus erwirbt, dann muss er ganz besondere Gründe dafür haben.
Der Käufer, ein Prinz Bader bin Abdallah bin Mohammed bin Farhan al-Saud, war bisher gar nicht als Sammler oder Käufer von Kunstwerken aufgefallen. Doch kauft ein Mitglied der Königsfamilie ein Christus-Bildnis für 450 Millionen Dollar, knapp ein Prozent des geschätzten saudischen Haushaltsdefizits, geschieht das nicht ohne Wissen von Mohammed bin Salman (kurz: MbS), des starken Mannes von Saudi-Arabien. Und das wirft die Frage auf, was MbS treibt, einem solchen Erwerb zuzustimmen.
Zusammenhalt durch ein Gemälde Politisch macht der Kauf durchaus Sinn, da das Gemälde zunächst im Louvre von Abu Dhabi hängen soll. Mit den Emiraten teilt der saudische Kronprinz handfeste politische Interessen in der Region. Gegen den Iran, in den Kriegen von Syrien bis Jemen. Auch gegen das kleine aufmüpfige Katar, das mit Kuschelkurs gen Teheran und dem Krawallsender Al Jazeera die Herrscherhäuser ärgert. Der millionenschwere
Salvator Mundi schweißt sie weiter zusammen.
Jesus Christus kann dem Kronprinzen aber auch im eigenen Lande nützen. MbS hat die wahhabitischen Kleriker Saudi-Arabiens als Haupthindernis seiner umfassenden Reformen identifiziert. Er hat die Religionspolizei entmachtet, das Fahrverbot für Frauen abgeschafft, die wahhabitische Mission in der Welt beschnitten. Anfang dieser Woche hat er den
Bau von Kinos erlaubt. Alles Neuerungen, die die Erzkonservativen schockieren.
Das Jesus-Bildnis im Besitz des Herrscherhauses symbolisiert den Kampf gegen die Betonkleriker, die alle künstlerischen Darstellungen von Heiligen wie überhaupt Bildnisse von Gesichtern und Körpern ablehnen. Zugleich ist Issa alias Jesus im Islam keine Unperson, im Gegenteil, er wird als einer der Propheten anerkannt. Es sollte sich niemand wundern, wenn MbS irgendwann auch die Eröffnung einer christlichen Kirche in Saudi-Arabien zulässt.
Wer angesichts dieser Botschaften aus dem Mittleren Osten weiter nur in den Kategorien "Juden gegen Muslime" und "Christentum gegen Islam" denkt, dem ist wirklich nicht zu helfen. In diesem Sinne: Frohes Fest.