| Guten Morgen, | | | | Sigrid Neudecker / Foto: Gretje Treiber | |
wenn es nach Ihnen geht, liebe Elbvertiefungsleserschaft, wird Hamburg bald eine sehr viel freundlichere Stadt – und zwar nicht nur in den Supermärkten des Vertrauens. Auf unsere gestrige Vermisstenanzeige der Wörter »Bitte« und »Danke« hin haben uns Leser geschrieben, die im durchaus gehobenen Einzelhandel an nobler Adresse tätig sind und bei denen es noch viel rauer zugeht als an meiner Wursttheke. »Rappelvoller Samstag, Kassenschlange bis nach Meppen, ein Kunde so erbost vor mir, dass er mich fast zum Heulen bringt«, schreibt uns eine Leserin, die »nahezu täglich« mit solchen Wutkunden zu tun hat und sich von ihnen einfach nur etwas empathischeres Verhalten wünscht. »Ich komm doch auch nicht zu denen nach Hause, werf meine Klamotten in die Ecken, lasse Müll auf den Boden fallen und spüle am besten noch die Toilette nicht ab?«
Ein anderer Leser, der in einem großen Kaufhaus arbeitet, berichtet von Umkleidekabinen, in denen manche ihre Notdurft verrichten, von aufgerissenen Verpackungen sowie halb verzehrten und dann in die Ecke geworfenen Lebensmitteln. »Es nimmt auch zu und geht durch alle Schichten«, schreibt er. »Studenten, Familien und vor allem Rentner. Da wird man als Bastard und Arschloch beschimpft, wenn jemand nicht gleich die Butter im Regal findet.«
Seine Kolleginnen und er werden »weiter freundlich sein, lächeln und helfen, wo wir können«. Umso mehr sollten seine erschütternden Erfahrungen auch uns Wohlerzogene animieren, hier ein Gegengewicht zu schaffen.
Doch wie, ohne dass man das Aggressionslevel gleich miterhöht? »Ich habe mir angewöhnt, in solchen Fällen diejenigen Verkäufer besonders zu loben, und zwar so laut, dass es alle gut hören können«, schreibt Renate L. »Es ist zwar kein Trost, aber es beruhigt dann meine Nerven.«
Oder man sorgt gleich prophylaktisch für gute Stimmung. Renate H.-E., die oft mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist und dort übrigens auch eher ältere Herren »mit einer sehr großen Rücksichtslosigkeit« antrifft, empfiehlt: »Man kann ja wohl dem Busfahrer ein freundliches ›Moin‹ oder ›Guten Tag‹ oder was auch immer entgegenbringen.« Was beispielsweise in Paris zum guten Ton gehört, sich aber in Hamburg noch nicht ganz durchgesetzt hat.
Man muss es ja auch nicht gleich so übertreiben wie ein mir bekanntes Ehepaar, das sehr hoch im Norden an der schönen (und vor allem ruhigen) Schlei lebt. Als die einen ihrer seltenen Ausflüge in die große Stadt machten, grüßten sie, wie sie das von zu Hause gewohnt waren, beim Einsteigen in die U-Bahn freundlich ihre Mitfahrenden. Und waren zutiefst empört, als von denen nichts zurückkam.
Deshalb hier noch schnell zwei Tipps, um die Laune vorweihnachtlich zu heben. Heute zwischen 17 und 19 Uhr stehen Tia Pelz, Vikarin in Hamburg-Hamm, sowie elf ihrer Kollegen neben der Krippe auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz und betätigen sich als »lebendige Jukebox«. Wer einen der vier Buzzer betätigt, bekommt entweder die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, den nichts ahnenden Markus, eine Kriminalgeschichte nach Matthäus oder eine philosophische Abhandlung des Johannes vorgetragen. Hauen Sie bitte nicht immer auf denselben Knopf.
Und ein paar Stuttgarter haben sich für die Falschparker in ihrer Gegend eine besondere Weihnachtsüberraschung überlegt: Sie verpackten deren Autos liebevoll (allerdings nicht besonders weihnachtlich) und legten eine kleine Nachricht bei. Deren Wortlaut möchte ich hier jedoch nicht wiedergeben. Sonst schimpft meine Mutter mit mir.
Ich wünsche Ihnen friedliche Weihnachten und übergebe hiermit an den äußerst wohlerzogenen Mark Spörrle.
»Orthopädieschuhmacher? Schon cool!«
Wie sich der Nachwuchs für Handwerksberufe begeistern lässt? Vielleicht so: Man schickt zwei junge Menschen auf einen Roadtrip durch Deutschland, verpasst der Aktion einen griffigen Namen (»Die Rekordpraktikanten«) und bestückt diverse Social-Media-Kanäle mit den Berichten, Fotos und Videos. Fünf Monate lang waren Marvin aus Hamburg und seine Kollegin Charly aus Flensburg im Auftrag des bundesweiten Zentralverbands des Deutschen Handwerks unterwegs. Diese Woche beenden sie ihre Tour. Wir sprachen mit dem 19-Jährigen über seine Erfahrungen. Elbvertiefung: Marvin, du hast in fünf Monaten mehr als 40 Berufe ausprobiert. Wie muss man sich das vorstellen? Marvin: Wir haben immer zwei Tage in einen Handwerksbetrieb reingeschnuppert und darüber bei Instagram und Facebook berichtet. Das war sehr abwechslungsreich! Wir haben ganz klassische Berufe wie Dachdecker, Maurer, Bäcker, Fleischer, Optiker und Klempner kennengelernt, aber auch eher exotische wie Seiler, Buchbinder oder Metallblasinstrumentenbauer. Heute machen wir Station bei einem Mechatroniker für Kältetechnik. EV: Teil der Tour waren auch Brauer, Bestatter und Büchsenmacher. Welcher Beruf hat dich besonders überrascht? Marvin: Müller. Ich dachte an eine alte Windmühle, in der Mehl gemahlen wird. Tatsächlich war das eine Firma, die Müsli produziert. In dem Gebäude auf sieben Etagen war der Müller vor allem dafür zuständig, die Maschinen zu bedienen und zu warten. Überhaupt hat mich überrascht, wie technisch viele Berufe sind, von denen man es vielleicht gar nicht denkt. EV: Welche denn? Marvin: Der Orthopädieschuhmacher arbeitet mit 3-D-Druckern. Der Fuß des Kunden wird gescannt und die Einlage dann passend ausgedruckt und auch gleich gefräst. Das war schon cool zu sehen! EV: Und was hast du sonst noch gelernt? Marvin: Ich bin auf jeden Fall selbstständiger geworden, weil wir viel auf eigene Faust organisieren mussten. Und ich weiß jetzt, dass es bei der Arbeit auch immer auf das Team ankommt. Das ist echt wichtig! Mein absoluter Höhepunkt war zum Beispiel, dass einer der Chefs einen Trabi mit Revolverschaltung hatte, und ich damit rumfahren durfte. EV: Wie wird man eigentlich Rekordpraktikant? Marvin: Meine Schwester hat die Ausschreibung vom Handwerk auf Facebook gesehen, und ich habe mich nach dem Abi dafür beworben. Beim Auswahltag in Berlin mussten wir Interviews führen und Texte für Facebook-Posts verfassen, immer mit wechselnden Partnern. Am Ende wurden Charly und ich genommen. EV: Wie geht es jetzt bei dir weiter? Mit einem Handwerksberuf? Marvin: Erst einmal mache ich Urlaub. Auf jeden Fall will ich im Herbst mit einer Ausbildung oder einem Studium beginnen. Aber in welcher Fachrichtung, weiß ich noch nicht. Um sich auf einen Beruf festzulegen, sind zwei Tage Reinschnuppern dann doch zu wenig. |
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