Freitext: Ulrike Draesner: Ach, du deutscher Bohnentopf!

 
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21.12.2017
 
 
 
 
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Ach, du deutscher Bohnentopf!
 
 
Heinrich Bölls 100. Geburstag feiern? Natürlich. Aber muss deshalb gleich wieder gejammert werden, dass Schriftsteller heute nicht mehr engagiert sind? So ein Unsinn.
VON ULRIKE DRAESNER

 
© dpa
 
Welch deutsches Thema! Immer wieder hört man davon, „Engagement, politische Einmischung, Relevanz der Literatur“. Man hört es fordernd oder nostalgisch oder beides, aufs Beste miteinander verquickt. Ach, die Literatur! Ihr Niedergang! Insbesondere der Niedergang ihrer Autoren. Nicht engagiert, nicht interessiert, nicht politisch. Wie anders das war, als die großen Alten noch agierten: Böll, Grass, und ein bisschen auch Walser.
 
Der männliche, gealterte, weiße literarische Meinungsmacher verschwindet. Ich gestehe, dass mein Bedauern darüber sich in überschaubaren Grenzen hält. Allemal, da an dem Geklage in der Sache nichts ist. Und dort, wo es einen Punkt trifft, trifft es ihn wie das berühmte blinde Huhn, zufällig. Dass es sich bei der eingeklagten Art literarischer Relevanz um einen rückwärtsgewandten Mythos verbunden mit einem strukturellen Wandel handelt (der interessant ist), versteht das Klagen nicht.
 
Mühelos lässt sich auf zahlreiche Äußerungen zeitgenössischer Autoren aus verschiedensten Generationen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Prozessen verweisen. Ich nenne nur Namen wie Ulrich Peltzer, Kathrin Röggla, Norbert Niemann, Thomas Lehr, Franzobel, die Menasse-Geschwister, Juli Zeh, die sich sowohl in literarischen wie außerliterarischen Werken zum Teil seit Jahrzehnten, in kontinuierlicher Arbeit, an politischen Debatten beteiligen. Die Liste ließe sich ausdehnen. Sie ist prominent besetzt.
 
Die von Böll oder Grass einst ausgelösten Skandale bleiben aus. Doch warum sollten sie auch eintreten? Welch seltsame Vorstellung von der Funktion von Literatur spiegelt sich in dieser Erwartung? Die Forderung, Literatur möge als weises, gar superweises Korrektiv der Politik und gegebenenfalls als „Gewissen der Nation“ fungieren, scheint mir ein rechtes Relikt der fünfziger Jahre. Der der Bundesrepublik nachhängenden Nachkriegszeit. Welch seltsames Verständnis von Demokratie spiegelt sich darin? Welche Sehnsucht nach dem starken Mann?
 
Höchste Zeit, noch einmal – auch praktisch – über Luhmanns Gedanken zur Funktionslosigkeit der Kunst als deren gesellschaftssystemischer Funktion nachzudenken.
 
Und sie umzusetzen.
 
Oder einfacher bzw. anders gesagt: Nehmen wir Böll und sehen uns die Relevanz seiner Literatur einmal an.
 
Bölls Licht ist stark verblasst. Der 100. Geburtstag steht an, da legt man ein paar Scheite ins Feuer, erinnert sich. Doch was zeigt sich?
 
Das Times Literary Supplement durchschaute das Phänomen früh. Offensichtlich half es, von außerhalb des deutschen Topfes aus, in dem der Nachkrieg suppte, zuzusehen. Das TLS konstatierte: ein ehrenhafter Mann. Als Schriftsteller nicht bemerkenswert.
 
Böll war Zeitgenosse, Beobachter, Aussprecher. Mutig, einer der kommentierte, auch half. Mahner und öffentliche Figur. Eines war er nicht: exzellenter Schriftsteller. Er war einer, der versuchte, Literatur zu schreiben.


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