| | | |
Liebe Frau Dr. acad. Sommer, hilfe, ich werde nie fertig! Ich bin Juniorprofessorin und habe den Eindruck, dass ich viel zu lange an meinen Arbeiten sitze, da ich keine Fehler machen will und alles mehrmals korrigiere und verbessere, bevor ich es einreiche. Das gilt nicht nur für meine wissenschaftlichen Papers. Ich brauche auch viel zu lange, um eine Lehrveranstaltung oder einen Beitrag zu einer Konferenz vorzubereiten. Meine Freizeit kommt dabei viel zu kurz und ich fühle mich ganz schön erschöpft. Wann ist etwas gut genug?
Liebe Frau X, bei einer Fortbildung, die ich neulich besuchte, begegnete mir der Satz: „Die Qualität, die Dich hierhergebracht hat, steht Dir jetzt im Weg“. Vielleicht ist das schon die Antwort auf Ihre Frage? Die meisten Wissenschaftler/innen sind überdurchschnittlich leistungsmotiviert, engagiert und stellen hohe Anforderungen an die Qualität ihrer Leistungen. Das ist auch völlig in Ordnung so. Gerade in der frühen Phase einer Karriere ist wissenschaftlicher Output erfolgsentscheidend. Anstrengend wird es, wenn das Bemühen um Fehlerfreiheit und Perfektion etwa bei der Vorbereitung eines Vortrags unangemessen viel Zeit und Raum frisst. Denn: Im Laufe der Karriere drängen sich zunehmend Verwaltungsaufgaben, Gremienarbeit, Mikropolitik und Projektmanagement in den Wissenschaftsalltag. Sie rivalisieren gemeinsam mit den Kernaufgaben Forschung und Lehre um Ihre wichtigsten Ressourcen: Zeit, Energie und Aufmerksamkeit. Jetzt gilt es, abzuwägen, welche Aufgaben Kern der wissenschaftlichen Arbeit sind und nach wie vor mit maximaler Sorgfalt bedacht werden sollten – und wann eine pragmatische Haltung nützlicher ist. Dazu ein paar Anregungen: | • | | Perfektion existiert nicht. Produkte, Leistungen, Texte, Vorträge etc. sind nie per se „perfekt“ oder „herausragend“, sondern werden immer in Bezug auf einen Kontext bewertet. | | • | | Was zum Beispiel entscheidet über die Qualität der Lehre? Ist es das „perfekte“ Skript, ist es das ansprechende Layout oder gar die Fehlerfreiheit der Präsentation? Oder wirken vielmehr Ihre Präsenz im Hier und Jetzt der Lehrsituation, Ihre Begeisterung für Ihr Fach und die Freude am Austausch mit den Studierenden? | | • | | Thema Vertrauen: Vertrauen Sie sich selbst und Ihrer Kompetenz, um neue und überraschende Situationen etwa bei Konferenzen zu meistern? Wenn nicht, keine Sorge, das kann man lernen. (Selbst)vertrauen ist eine Frage der Erfahrung, aber auch eine Frage der Haltung. Und das ist durchaus wörtlich zu sehen. | | • | | Begrenzen Sie die Zeit, die Sie in einzelne Aufgaben investieren. Dies gilt besonders für Aufgaben, die nicht Kern Ihrer Profession bzw. nicht strategisch wichtig sind. Maximal ist nicht optimal. Vieles wird durch weitere Überarbeitungs- und Korrekturschleifen nicht besser – stattdessen stellt sich ein Gefühl von Überdruss ein, wenn man etwa Texte wieder und wieder durchgeht, korrigiert, optimiert. Und das muss nicht sein. | | • | | Wie halten Sie es mit der Delegation? Gönnen Sie sich genug Unterstützung, können Sie etwas abgeben und auch mal „Nein“ sagen? Es lohnt sich, Delegation als Hebel zur eigenen Entlastung zu nutzen. | Wertschätzen Sie also Leistungsbereitschaft und Sorgfalt, aber holen Sie sich zusätzlich „selektiven Pragmatismus“, Vertrauen, Begrenzung und Delegation an Bord. Denn dann gilt: „Die Qualität, die Dich hierhergebracht hat, wird Dich auch weiterhin voranbringen“.
Dr. Claudia Eilles-Matthiessen ist Diplom-Psychologin, Coach und Dozentin an der Universität Frankfurt am Main. Sie schreibt für das Coachingnetz Wissenschaft als "Dr. acad. Sommer". Kontakt: www.plan-c-frankfurt.de und www.coachingnetz-wissenschaft.de. | |
|
|