Freitext: Jochen Schmidt: Der letzte Hort der Utopie

 
Wenn dieser Newsletter nicht richtig angezeigt wird, klicken Sie bitte hier.

 

14.12.2017
 
 
 
 
Freitext


Der letzte Hort der Utopie
 
 
Auf Spielplätzen können auch Erwachsene lernen: Verlorenes wiederzufinden und den Blick auf die Gegenwart zu verändern. Eine Reise zu übersehenen Orten
VON JOCHEN SCHMIDT

 
© Jochen Schmidt
 
Spielplätze sind utopische Orte, hier soll alles wieder gutgemacht werden, was die Welt der Erwachsenen den Kindern antut. Die Gestalter bleiben meist unbekannt, aber an ihren Schöpfungen kann man viel über die Gesellschaft ablesen, weil sie einem davon erzählen, wie die Bedürfnisse der Kinder eingeschätzt werden. Bei den Recherchen zu meinem Buch Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland habe ich einige wenige Exemplare von Klettergerüsten und sogar Kletterpilzen gefunden, wie ich sie selbst als Kind noch gekannt habe. Erst dadurch ist mir aufgefallen, dass die Spielgeräte meiner Kindheit, von mir völlig unbemerkt, fast vollständig verschwunden sind. Durch diese Verlusterfahrung habe ich begonnen, mich für Spielplatzgestaltung zu interessieren und dokumentiere auf Reisen diese speziellen Orte, die man normalerweise übersieht.
 
Zuletzt auf einer Reise nach Kasachstan, wo ich mir die Architektur der neuen Hauptstadt Astana ansehen wollte. In der „Altstadt“ von Astana, die ab den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts gebaut worden ist, also vorwiegend aus Plattenbauten besteht, findet sich im Innenhof fast jedes Neubaublocks noch der klassische Spielplatz vom sowjetischen Typ, mit Stahlrohrgerüsten zum Klettern, Wippen und Schaukeln.
 
Eine Besonderheit, und angesichts des Klimas sinnvoll, sind in Kasachstan Buddelkästen mit Sonnendach.
 
Ein überraschender Ort für einen Spielplatz war das Parkdeck des Hochhauskomplexes im neuen Teil Astanas, wo ich untergebracht war. Dieses Parkdeck habe ich durch Zufall entdeckt, man gelangte von der Straße über eine Feuerleiter hinauf, ich hatte einen guten Aussichtspunkt zum Fotografieren gesucht.
 
Der Hochhauskomplex verfügte auf Straßenebene nur über zwei sehr unscheinbare Eingangstüren, wobei eine davon eigentlich als Ausgang gedacht war. Es war durchaus ungewöhnlich, dass bei einem so dominanten Gebäude, das aus drei Hochhaustürmen bestand, die Eingangssituation so vernachlässigt worden war, auch zum Nachteil der Geschäfte, die sich im Innenbereich auf zwei Etagen befanden, Blumenläden, kleinen Buffets, Schönheitssalons, Souvenirgeschäften und Änderungsschneidereien, deren Kunden wohl vor allem die Bewohner des Gebäudes sind. Der Spielplatz auf dem Parkdeck bildete einen reizvollen Kontrast zur kühl wirkenden, blauen Glasfassade des Gebäudes. Die Farben der Gerüste, die kindliche Bemalung, die Gebrauchsspuren und nicht zuletzt die Abwesenheit von Kindern und die Verlorenheit der Anlage in diesem Ambiente sorgten für eine gewisse elegische Poesie.
 
 
...

Den ganzen Freitext lesen Sie hier.

Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich.
  VERLAGSANGEBOT
Lesegenuss pur!
Lesegenuss pur!
Lernen Sie jetzt DIE ZEIT als E-Paper, App, Audio und für E-Reader kennen! Lehnen Sie sich zurück und erleben Sie die neue Art des ZEIT-Lesens. Mehr erfahren >>