Freitext: Norbert Niemann: Die Anti-Trump-Stadt

 
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26.12.2017
 
 
 
 
Freitext


Die Anti-Trump-Stadt
 
 
Toleranz und Rassismus, Armut und Reichtum existieren in New York nebeneinander. Aber man spürt den Willen, die sozialen Ungerechtigkeiten zu überwinden. Trotz Trump
VON NORBERT NIEMANN

 
© Nicolai Berntsen/Unsplash
 
Seit Anfang Oktober bin ich in New York, wohne wie alle Stipendiaten aus Deutschland, der Schweiz, Österreich in den Silver Towers an der berühmten Bleecker Street, gleich hinter dem berühmten Washington Square Park, um den die Gebäude der berühmten New York University verstreut liegen. Von meinem Fenster im siebten Stock sehe ich rechts auf die Houston Street, wo das angesagte und schicke Viertel SoHo (für: South of Houston Street) beginnt, links, leicht nach hinten versetzt, die Häuserzeile des Broadway, noch etwas weiter hinten das Bayard-Condict-Building von 1899, einziges Gebäude und erster Stahlträgerbau in New York City des vor allem für Chicagoer Bauwerke berühmten Architekten Louis Sullivan. In einem Radius von ungefähr fünf bis zehn Gehminuten liegen: der Earth Room und der Broken Kilometer von Walter De Maria, der Ort, wo sich Edward Hoppers Wohnhaus und Atelier befand, wo John Dos Passos Manhattan Transfer geschrieben hat, die Adresse, wo Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William S. Burroughs sich regelmäßig in einer Buchhandlung trafen, wo im von Jimi Hendrix gegründeten Electric Ladyland Studio legendäre Plattenaufnahmen entstanden. Wenn ich aus der Lobby meines Wohnturms trete, stehe ich vor einer riesigen Picasso-Skulptur aus Beton. Laufe ich links die Bleecker Street zur MacDougal Street runter, komme ich zum Cafe Reggio, in dem Bob Dylan zu sitzen pflegte. Gehe ich rechts bis zum Ende der Straße, stehe ich vor einem Klamottenladen, in dessen Räumen einmal das CBGB war, die Zentrale von New Wave und Punk. Auch Mark Twain hat in der Gegend eine Zeitlang gelebt, auch Andy Warhols zweite Factory lag nicht weit von hier, auch Jean-Michel Basquiat hat um die Ecke gewohnt. Die Liste ließe sich fortsetzen. Die US-amerikanische Kultur des 20. Jahrhunderts wäre hier gleichsam zeichenhaft auf engstem Raum verdichtet, wären denn Zeichen vorhanden. Sind sie aber nicht, zumindest nicht viele. Nur weniges ist in Relikten erhalten (auf Mark Twain zum Beispiel weist immerhin ausnahmsweise eine Bronzeplakette hin, der Klamottenladen benutzt die alten Plakate des CBGB als Deko), das meiste ist spurlos verschwunden. Hätte ich nichts gelesen, keine Hinweise erhalten, wäre mir kaum etwas aufgefallen.
 
Die Ursache für New Yorks Trend zur Auslöschung der eigenen Geschichte ist simpel und plausibel in dieser superteuren Stadt: Es geht ums Geschäft. Läden müssen dicht machen, ältere Häuser neuen, größeren, höheren weichen. Die Betreiber des CBGB konnten sich irgendwann in den Nullerjahren einfach die steigenden Mietkosten nicht mehr leisten. Aber als Reklame-Accessoire sind ihre Poster immer noch gut. Überhaupt beschäftigt mich, je länger ich hier bin, immer stärker das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Geschichte und Gegenwart. Als ich ankam, hoffte ich etwas zu erfahren über das neue Donald-Trump-Amerika. Sehr schnell stellte sich heraus, dass hier in Manhattan davon so gut wie nichts zu spüren ist. Und alle New Yorker, mit denen ich gesprochen habe, waren stolz darauf. Trotz Trump Tower, vor dessen Eingang sich die Polizei förmlich eingegraben hat, trotz Trump Center an der Wall Street. Auf Staten Island womöglich, wo es ländlicher zugeht, wurde mir erzählt, in der einen oder anderen Ecke von Brooklyn vielleicht. Aber hier? – Fand ich Trump-Devotionalien gerade einmal im Postkartenständer: „Make America Great Again„, prangte da über einer Abbildung von Trump, seinen Vize Mike Pence und dem Weißen Haus, vor die jemand (aus Scham oder um zu verhindern, dass die Karte verkauft wird oder beides) eine andere Postkarte gesteckt hatte. Stattdessen bekam ich hier, im Greenwich Village, Flyer von RefuseFascism.org in die Hände gedrückt, Aufrufe zu Protestkundgebungen unter dem Motto: „This Nightmare must end„.

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