10 nach 8: Ana Ofak über die Art Basel Miami Beach

 
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15.12.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Farbsirup über die Gebrechen der Gegenwart
 
Clowns schauen gelangweilt. Blut spritzt umher. Man schnappt nach Luft. Auf der Art Basel Miami Beach kann man dem Spektakel der Wertsteigerung von Kunst beiwohnen.
VON ANA OFAK, MIAMI

Messestand von Tanya Leighton auf der Art Basel Miami Beach 2017 mit Werken von Sanya Kantarovsky und George McCracken. © Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin/Dawn Blackman
 
Messestand von Tanya Leighton auf der Art Basel Miami Beach 2017 mit Werken von Sanya Kantarovsky und George McCracken. © Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin/Dawn Blackman
 
 

Kunstmessen sind die letzten schillernden Verkaufsarenen der Gegenwart. Laut dem Art Market Report, den die Schweizer Kunstmesse Art Basel zusammen mit der UBS Bank erstmals dieses Jahr veröffentlicht hat, sind sie der zweitwichtigste Verkaufskanal für zeitgenössische Kunst. Kunsthändler machen 41 Prozent ihres Jahresumsatzes auf internationalen Kunstmessen.

Art Basel Miami Beach, die verruchte kleine Schwester der Art Basel, hat einen Löwenanteil daran. Entsprechend voll bepackt sind die dortigen Messestände. Über 250 internationale Galerien bieten dieses Jahr wieder Kunstwerke im Wert von Hunderten von Millionen von Dollar zum Kauf an. "Zeitgenössische Kunst gehört in eine Zeit, in der alles geht und nichts mehr geht, eine Zeit der stagnierenden Eskalation, von serieller Neuheit als Sackgasse", schreibt treffend die Künstlerin Hito Steyerl in ihrem Buch Duty Free Art (2017). Art Basel Miami Beach ist der Ort dieser Zeit. Zeitgenössische Kunst, die dort gezeigt wird, soll nicht schlicht verkauft werden. Viel mehr geht es um spekulativen Wertzuwachs und Diversifizierung. All dies ist für das generelle Messepublikum mindestens so schwer fassbar wie der Handel mit Kryptowährungen. Die dort gezeigte zeitgenössische Kunst wird nur in Form eines Selfies in den Besitz der Besucher übergehen.

Am ersten Messetag folge auch ich diesem Pfad der digital verwertbaren Trophäen. Er führt mich zum kürzlich wiedereröffneten The Bass, einem staatlichen Museum, dessen Budget durch private Stifter kräftig aufgebessert wird. Dort und nicht auf der Messe befindet sich das meistfotografierte Werk der Art Basel Miami Beach 2017. Das Vokabular der Einsamkeit (vocabulary of solitude, 2014-2016) ist eine Großinstallation des Schweizer Künstlers Ugo Rondinone. Sie ist im Hauptausstellungssaal zu sehen. Eingebettet in das Spektrum der Sonnenuntergangsverläufe posieren dort Clowns in voller Montur. Besucher hampeln dazwischen herum und schießen Selfies.

Die Logik des Kapitals

Der Schabernack hat lediglich einen, dafür aber entscheidenden Berührungspunkt mit Bertolt Brechts Clowns: die Verdrossenheit mit der Gegenwart. In der skandalträchtigen Erstaufführung von Brechts Das Badener Lehrstück vom Einverständnis 1929 amputierten zwei Clowns mit einer Säge nach und nach ihrem Kollegen die Extremitäten, um letzten Endes auch seinen Kopf rollen zu lassen. Ihm, Herrn Schmitt, fehlte der Fortschrittsglaube. Rondinone, einem selbst erklärten Kritiker "schillernder Objekte", geht diese Art Sarkasmus vollkommen ab. Stattdessen überzieht in seinem Werk ein dicker Sirup aus Pantone-Farben die Gebrechen der Gegenwart. Rondinones Clowns schauen gelangweilt zu, wie die Logik des Kapitals sich zuerst durch die Museen frisst und dann ihre Überbleibsel gewinnbringend auf den Messen verwertet. 

Denn Rondinone ist überall. Direkt nach dem Betreten der Art Basel Miami Beach begegne ich ihm wieder. Der gigantische Messestand der Schweizer Galerie Eva Presenhuber ist ausschließlich mit seinen Skulpturen bestückt. Ein solches Überlappen institutioneller und kommerzieller Ausstellungen steigert nicht nur den Marktwert, sondern auch das Kulturkapital der jeweiligen Kunstwerke. Im Fall von Presenhuber bewährte sich das Kalkül. Der gesamte Messestand war bereits am zweiten Tag ausverkauft. Und als am Tag darauf der Kunstkritiker Jason Farago in der New York Times darüber berichtete, die schale Metapher eines vom Kunstmessezirkus ermüdeten Clowns bemühend, schließt sich die Wertschöpfungskette.

Diese Logik unverkrampft zu unterlaufen und sich gleichzeitig erfolgreich auf einer Kunstmesse zu positionieren, ist die größte Herausforderung für mittelgroße und junge Galerien und ihre Künstlerinnen und Künstler. Der Galerie Tanya Leighton aus Berlin ist dies gelungen. Ihr Messestand in der Nova-Sektion der Art Basel Miami Beach war buchstäblich ein Kracher. Der Künstler Sanya Kantarovsky und der Designer George McCracken haben zusammen ein Post-Pop-Ensemble aus Aquarellen, Hemden und Jacken zusammengestellt. Die sich in diesen Medien unendlich wiederholenden Muster (Infinitely Repeating Pattern, 2017) zeigen Konterfeis alternder weißer Männer verwickelt in autoerotische Strangulation oder Flagellation im Kaktusfeld. Es wird nach Luft geschnappt. Das Blut spritzt umher.

Hochkarätige Sammler schwitzen

Diese Ode an die Desperation einer sich an die Macht klammernden Kaste erweist mit letal-orangefarbenen Ausstellungswänden auch Donald Trump die Ehre. Obendrein unterbieten die Hemden und Jacken mit einem Preis von weniger als $1000 sogar Kantarovskys eigenen Seriendruck, der bei Studio Voltaire aus London auf der Nada Miami hängt, der alternativen Messe der gemeinnützigen Kunsthändlervereinigung. Ein Aldi der Eitelkeiten, den Leighton, Kantarovsky und McCracken wunderbar zu schaukeln wissen.

Für Aufregung sorgte aber ein Spiegel, der Teil des Messestandes war. Weil die Sicherheitsmänner der Feuerwehr von Miami der Meinung waren, dass die Besucher abgelenkt von ihrem eigenen Antlitz zusammenkrachen würden, wurde die Eröffnung der VIP-Messevorschau so lange verschoben, bis Kantarovsky einen Teil des Spiegels übermalt hatte. Draußen schwitzten die hochkarätigen Sammler genervt in der einkommenssteuerfreien Sonne Floridas.

Technik als Komplize

Mich tiefer in die Gänge der Nova-Sektion grabend, immer weiter weg von dem Epizentrum der Art Basel Miami Beach, suche ich den Messestand von Supportico Lopez auf. Die Berliner Galerie repräsentiert seit kurzem die US-amerikanisch-deutsche Videokünstlerin Dara Friedman in Europa. Friedman lebt seit 25 Jahren in Miami. Für den Messestand hat sie sich der Filmtechnik des Cucolores bedient, des Schattenwurfes, um die Konturen einer Gruppe kleiner Kupferobjekte in der Hitze des Scheinwerferlichts tanzen zu lassen. Abseits von durchästhetisierten Gesten gelingt es Friedman, mit Cosmic Noise (2017) eine Art Protobild einzufangen: schlicht, schön und subversiv wiederverzaubernd. 

Noch unter dem Bann dieser Wiederverzauberung besuche ich Dara Friedmans Ausstellung Perfect Stranger im Pérez Art Museum Miami. Sie läuft parallel zur Art Basel Miami Beach. Das PAMM hat es sich auf die Fahnen geschrieben, trotz der Ausrichtung auf internationale zeitgenössische Kunst lokale Künstler nicht nur zu unterstützen, sondern mit ihnen an Ausstellungen zu arbeiten. Eine Seltenheit. Friedmans Ausstellung ist bisher die größte dieser Art und das sehenswerteste Ereignis der Messewoche. Raum für Raum kettet Friedman ihre Videos wie schillernde Perlen aneinander.

Anders als bei Rondinone steht Schillern bei Friedman für ein Zusammengehörigkeitsgefühl von Künstlerin, Videosubjekt und Zuschauerin. Das Entstehen dieser visuellen Gemeinschaft ist in Government Cut Freestyle (1998) eindrucksvoll umgesetzt worden. Während eine vergnügt wippende Kamera junge Menschen beim Springen in die Bucht von Miami Beach zeigt, koste ich ein unbeschwert gutes Gefühl der gemeinsam geschmiedeten Gegenwart aus. Friedmans größte Befürchtung, am verlängerten Öffnungstag könnten die Filmprojektoren durch Überhitzung ausfallen, bewahrheitet sich nicht. Technik ist manchmal ein gefügiger Komplize der Kunst.


Ana Ofak ist freie Autorin. Seit ihrer Promotion in Kultur- und Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität in Weimar wechselt sie zwischen akademischen und journalistischen Institutionen. Ihre Texte erschienen u.a. bei "e-flux", "Art Agenda", "Witte de With" und "Zeitschrift für Medienwissenschaft". Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".


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