Das Frauenbild der Juristen | 3½ Fragen an Hedwig Richter | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Kapitulation der KMK | Giovanni di Lorenzo: Sind Sie Elite?

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
sind Sie (studiert, promoviert, habilitiert) Elite? Giovanni di Lorenzo hat über diese Frage gerade an der Universität Bayreuth nachgedacht; den Link zum Vortrag finden Sie im c.t. Außerdem im Programm: Jan-Martin Wiarda kommentiert den Beschluss (oder vielmehr Nicht-Beschluss) der KMK in Sachen Noteninflation. Und Hedwig Richter vom Hamburger Institut für Sozialforschung erinnert im Fragebogen daran, wie privilegiert man als Wissenschaftlerin eigentlich arbeitet.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Offener Brief: Mediävistik in Basel
Über die Zukunftsfähigkeit des altehrwürdigen Lehrstuhlsystems und die strategische Neuausrichtung in der Personalstruktur an den Hochschulen wird derzeit angeregt diskutiert. Wie man es nicht machen sollte, zeigt gerade die Universität Basel. Die hat vom Kanton eine strenge Sparauflage vorgesetzt bekommen – und hat sich daher entschlossen, derzeit vakante Lehrstühle nicht neu zu besetzen. Betroffen ist auch die Professur für Mittelhochdeutsch, die in eine befristete Assistenzprofessur ohne Tenure Track umgewandelt werden soll. Die Baseler Mediävistik genießt weltweit einen ausgezeichneten Ruf; vakant ist die Stelle deswegen, weil der Lehrstuhlinhaber Gert Hübner vergangenes Jahr verstarb. Die Fachwelt ist über dieses Downgrading empört – und äußert das in Form eines Offenen Briefs, den namhafte Forscherinnen und Forscher unterschrieben haben, darunter Volker Mertens (Berlin), Rüdiger Schnell (Tübingen), Joachim Heinzle (Marburg), Xie Juan (Shanghai), Nigel Palmer (Oxford) und Christopher Young (Cambridge). Sie kritisieren die Sparmaßnahme „nach dem Zufälligkeitsprinzip“ und die Beschädigung des Faches, das ein weltweites Aushängeschild sei – die immateriellen Kosten seien für die Uni Basel höher als das eingesparte Geld. Der zuständige Dekan, Walter Leimgruber, sagte dem SRF, er habe keine andere Wahl: „Das ist die beste aller schlechten Massnahmen.“ – Eines zeigt sich deutlich an diesem Fall: Personalreformen an Universitäten, die Top Down als Sparmaßnahme daherkommen, vergiften das Klima einer Institution.
  
 
 
Auswirkungen der Studiengebühren in BaWü
Es folgt ein Zitat aus einer Pressemitteilung: „Attraktivität Baden-Württembergs als Studienziel ist ungebrochen!“ Formuliert hat ihn das Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg anlässlich der jüngsten Immatrikulationszahlen ausländischer Studierender. Die Süddeutsche Zeitung betitelte ihren Artikel zum selben Sachverhalt mit Blick auf die neu eingeführten Studiengebühren allerdings so: „Campus-Gebühr schreckt ab“. Ja, was denn nun? Fakt ist: Im WS 2017/18 haben sich 5.155 Studierende aus Nicht-EU-Staaten an einer BaWü-Hochschule eingeschrieben – ein Rückgang um 21,6 Prozent. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer nennt dies „moderat“, man liege immer noch über dem Niveau von 2011/12. – Wir legen uns die Zahl auf Wiedervorlage und schauen nächstes Jahr, wohin der Trend geht… (Stuttgarter Zeitung; Rhein-Neckar-Zeitung
  
 
 
Frauenbild im Jura-Studium
Das Fach Jura hat den Ruf, konservative Geister anzuziehen. Oder ist es umgekehrt? Einen hermeneutischen Zirkel dieser Art gibt es jedenfalls eindeutig in Sachen Geschlechterstereotypen. Die Juristin Dana-Sophia Valentiner hat in einer Studie untersucht, wie viele Männer und Frauen in den Fällen auftauchen, mit denen sich Jura-Studierende auf ihr Examen vorbereiten. Das Ergebnis: 20 Prozent des Fall-Personals ist weiblich und taucht zudem in passiven Rollen auf: als Sekretärin, Ehefrau, Geliebte. Ausführlich können Sie die Analyse in der SZ und beim BR nachlesen. Allen Jura-Profs des Landes empfehlen wir außerdem den wegweisenden Aufsatz der Historikerin Joan W. Scott: „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“ (in: The American Historical Review 91.5 (1986), S. 1053-1075). Pflichtlektüre Nr. 2: juristenausbildung.tumblr.com!
  
 
 
Im Portrait: Ruud Koopmans
In welchem Verhältnis Politik und Wissenschaft zueinander stehen, ist für Migrationsforscher eine besonders virulente Frage. Ruud Koopmanns vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) fremdelt mit den Antworten, die viele seiner Kollegen auf sie geben: Sie betrieben, qua Forschung, Politik mit anderen Mitteln. Koopmanns selbst ist für seine Studien und Aussagen – über den Extremismus der Muslime und die Ignoranz der Politiker – immer wieder ins Gefecht geraten. ZEIT-Politikredakteurin Mariam Lau hat Koopmanns getroffen; sie portraitiert ihn bei uns in den CHANCEN diese Woche als „Kühlen Querkopf“. S. 79!
  
 
 
„The College Try“
Lektüretipp für eine ausführliche Cappuchinopause: Das (übrigens allgemein sehr lesenswerte) California Sunday Magazine begleitet im Artikel „The College Try“ die beiden Studentinnen Liz und Kersheral durch ein großes Bildungsversprechen – dass ein Hochschulabschluss sich nämlich lohne. Tatsächlich sind die Jahre an der Uni für beide Frauen geprägt von Armut, Obdachlosigkeit und Unsicherheit. Was, wenn einem das Studium zwar den Horizont öffnet, nicht aber die Tür zu einem stabilen Leben? 
  
   
   
   
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Personen
 
 
   
   
Staatssekretär in Hessen
Hessens Wissenschaftsminister Boris Rhein bekommt einen neuen Staatssekretär: Patrick Burghardt (CDU), derzeit noch Oberbürgermeister der Stadt Rüsselsheim. Er tritt das Amt im Januar an und folgt auf Ingmar Jung.

Präsident der Gesellschaft für Informatik
Hannes Federrath ist neuer Präsident der Gesellschaft für Informatik, der mit 20.000 Mitgliedern größten Informatik-Fachgesellschaft im deutschsprachigen Raum. Federrath ist Professor für Sicherheit in verteilten Systemen am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg; er folgt auf Peter Liggesmeyer.

Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands
Gymnasiallehrerinnen und -lehrer haben eine neue Sprecherin: Die Marburger Professorin Susanne Lin-Klitzing wurde zur neuen Bundesvorsitzenden des Deutschen Philologenverbands gewählt. Sie übernimmt das Amt von Heinz-Peter Meidinger.

Geschäftsführung DZHW
Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat eine neue administrative Geschäftsführerin: die Juristin Karen Schlüter übernimmt die Geschäfte von Bernhard Hartung, der nach dreißigjähriger Tätigkeit für das DZHW und die HIS GmbH in den Ruhestand tritt.

Professor des Jahres
Die Unicum- Stiftung des gleichnamigen Studentenmagazins kürt jährlich einen „Professor des Jahres“. 2.200 Nominierte gab es; das Hütchen mit 2017er-Fähnchen aufsetzen dürfen sich Matthias Jacobs (Bucerius Law School Hamburg: Wirtschaftswissenschaften/Jura); Sven Carsten Lange (Hochschule Emden/Leer: Ingenieurwissenschaften/Informatik); Heike Kielstein (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Medizin/Naturwissenschaften); Martin Schmeding (Hochschule für Musik und Theater Leipzig: Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften).

Das Erbe Maríns
Ohne ihn wäre weniger Europa: Manuel Marín. Der ehemalige EU-Bildungskommissar führte 1986 das Erasmus-Programm ein und ermöglichte damit Tausenden jungen studierenden einen Auslandsaufenthalt. Marín starb am Montag im Alter von 68 Jahren nach langer Krankheit in Madrid. (ZEIT ONLINE)

Job: Gerechtigkeitskämpferin
Keine Lust mehr auf prekär, endlich auf voller Front für gute Beschäftigungbedingungen in der Wissenschaft kämpfen? Wem der Gewerkschaftssound Musik im Ohr ist, sollte sich bewerben – die GEW sucht nämlich eine Referentin (m/w) im Organisationsbereich Hochschule und Forschung für das parlamentarische Verbindungsbüro in Berlin. Details im ZEIT-Stellenmarkt!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
PD Dr. Hedwig Richter

Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Demokratie lebt immer auch von ihrer Einschränkung. Dass manche Politiker im Egotrip mit Hilfe eines Referendums reüssieren wollten, hat der Welt großen Schaden zugefügt. Und auch unsere Grundwerte stellen wir nicht zur Wahl. Das Repräsentationsprinzip, das die Kompetenzen des Wahlvolkes klar begrenzt, ist eine großartige Erfindung.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Abschaffung des Lehrstuhlprinzips und ein Ende des „Mittelbaus“. Das alte System schadet dem Wettbewerb, dem intellektuellen Austausch – der Wissenschaft. Die Junge Akademie hat die Sache ausformuliert und durchgerechnet. Alle würden davon profitieren. Warum gibt es nicht einige beherzte Menschen in der Politik, die das umsetzen?

Lektüre muss sein. Welche?
„Hillbilly Elegy“ von J. D. Vance. Womöglich machen wir es uns zu einfach, wenn wir den Populismus nur mit sozialer Ungleichheit erklären.

Und sonst so?
Das täglich Brot mit Wissenschaft zu verdienen – das ist ein unfassbares Privileg. 
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Kapitulation
Der Wissenschaftsrat hatte 2012 die Alarmglocken schrillen lassen. Die deutschen Hochschulen verteilten immer bessere Noten, berichtete das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern. Fast 77 Prozent aller Absolventen schlössen ihr Studium mit zwei oder besser ab – neun Prozentpunkte mehr als ein Jahrzehnt zuvor.
Seit damals ist die Noteninflation munter weitergaloppiert, begleitet von starken regionalen und disziplinären Ausschlägen. Was dazu führt, dass der Schnitt auf einem Bachelorzeugnis heute mitunter stärker von Fach und Studienort abhängt als von der persönlichen Leistung der Studenten. Was besonders bei der Zulassung zum Master ein Ärgernis sein kann.
Auch seit Hochschulrektoren und Kultusministerkonferenz (KMK) Abhilfe angekündigt haben, sind Jahre ins Land gegangen. Schon 2013 traf die KMK die Grundsatzentscheidung, zusätzlich zur absoluten Note auf dem Bachelorzeugnis den Prozentrang verbindlich einzuführen, um so die Zulassung zu Masterstudiengängen objektiver zu machen. Zuletzt 2016 versprachen Rektoren und KMK in ihrem gemeinsamen Bologna-Papier: Der Prozentrang kommt. Dies diene der „Transparenz und der Fairness“. Intern wurde das Ziel ausgegeben, die „tatsächlichen und rechtlichen“ Voraussetzungen bis 01. Januar 2017 zu schaffen.
Seitdem Ruhe. Und jetzt kommt heraus, dass die KMK das Vorhaben gekippt hat. Das „Verfahren zur Bildung von Prozenträngen und ihre Einbeziehung in das Auswahl- und Zulassungsverfahren zu Masterstudiengängen“ erscheine grundsätzlich umsetzbar, hieß es in der Beschlussvorlage, doch ergäben sich nach einem Modellversuch „im Hinblick auf bestimmte Fallkonstellationen“ rechtliche Probleme, viele Fragen seien weiter offen. Auch angesichts der Unsicherheiten „hinsichtlich der erreichbaren Effekte“ und des administrativen Aufwands sehe man von der Einführung ab.
Der Beschluss ist ein Paukenschlag. Er bedeutet mit anderen Worten:Die KMK kapituliert vor der Komplexität der Hochschulwirklichkeit. Dass das geplante System nicht in allen Fächern gleichermaßen umsetzbar ist und, um fair zu sein, eine Studiengangs-Mindestgröße erfordert: Alles richtig. Aber indem die Minister gleich komplett von einer Verpflichtung der Hochschulen und einem neuen Zulassungsverfahren zumindest in einigen Fächern absehen, verschenken sie die riesige Chance einer dringend nötigen Harmonisierung innerhalb unserer föderalen Hochschullandschaft.
Natürlich bekräftigt die KMK, sie halte „grundsätzlich“ am Ziel eines Ausgleichs der „Unterschiede in der Notenvergabekultur“ fest und spreche sich daher für „die Prüfung alternativer Verfahren aus“. Schaut man sich an, wie lang die KMK allein gebraucht hat, um ihre bislang beste Idee in der Angelegenheit zu killen, ist das ein schwacher Trost.
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Mehr Lehrer! Egal, woher? Der Engpass wird immer dramatischer. Im Osten Deutschlands lehren nun Pädagogen aus Polen. Manche sprechen gut Deutsch, andere nicht. Gefährdet das die Ausbildung der Schüler? 

Der neue Grundschul-Schock Schwache Schüler werden noch schwächer Nerds welcome! In Deutschland fehlt es an Technikern und Ingenieuren. Warum tun sich die internationalen Absolventen dieser Fächer auf dem hiesigen Arbeitsmarkt so schwer? Fragen an die Psychologin Mohini Lokhande Kühler Querkopf Er nannte Muslime extremistisch und Politiker ignorant. Jetzt greift der Migrationsforscher Ruud Koopmans seine eigene Zunft an. Besuch bei einem, der nicht dazugehören will

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Vergangene Woche sprach ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo bei der Akademischen Jahresfeier der Universität Bayreuth. Sein Thema: „Sind Sie Elite? Ein Plädoyer für Mut und Verantwortung in stürmischen Zeiten“. Den Vortrag können Sie bei Youtube anhören.
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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Ihr CHANCEN-Team


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