Fünf vor 8:00: Von Jamaika nach Haiti - Die Morgenkolumne heute von Ludwig Greven

 
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FÜNF VOR 8:00
04.12.2017
 
 
 
   
 
Von Jamaika nach Haiti
 
Die Suche nach einer Regierung gerät zum merkwürdigen Spiel mit falschen Namen. Denn Politik hat mit Flaggen nichts zu tun. Und die Groko wäre längst keine mehr.
VON LUDWIG GREVEN
 
   
 
 
   
 
   
Im NDR-Hörfunk läuft Sonntagfrüh seit Jahrzehnten die Sendung Zwischen Hamburg und Haiti, mit Reportagen aus aller Welt. Sie trägt diesen Namen, weil zu der Zeit, als sie erstmals ausgestrahlt wurde, Haiti für die allermeisten Zuhörer ein unerreichbar fernes Reiseziel war. Ein Ort der Imagination.
 
An diesen Sendungstitel habe ich in den vergangenen Wochen häufig denken müssen, wenn von den Sondierungen für eine Jamaika-Koalition die Rede war. Auch diese karibisch benannte Parteikombination erschien den Unterhändlern, vielen Journalisten und Mediennutzern wohl irgendwie verlockend exotisch. Am Ende war das politische Ziel nicht erreichbar.
 
Allerdings stimmen schon die zugrunde gelegten Parteifarben großteils gar nicht. Die CDU verwendet in ihrer Außendarstellung Neutral-Blau oder Schwarz-Rot-Gold, die CSU bairisch Weißblau. Auch inhaltlich ist die CDU längst nicht mehr schwarz = konservativ; die CSU noch eher. In der FDP trägt niemand mehr gelbe Pullunder wie ehedem Übervater Genscher. Der aktuelle Vorsitzende Christian Lindner hat seiner Partei Telekom-Magenta verpasst, zusätzlich zum Traditionscolorit Blau-Gelb. Das ergibt einen schrillen Mix, wie Lindners Programm.
 
Die SPD ist schon lange nicht mehr klassenkämpferisch rot, sondern äußerlich wie innerlich orange. Nur die Grünen sind noch ziemlich grün. Und die Linken rot.
 
Müde Witze
 
Weshalb benennen Journalisten Koalitionen dann nicht einfach nach den beteiligten Parteien? Erstens, weil zu ihrem Handwerk sprachliche Variation gehört. Manche Kollegen finden solche Wortspiele wohl auch lustig. Nach dem Motto: Vor Jamaika muss man am Bermudadreieck vorbei ... Na ja.
 
Wichtiger ist der zweite Grund: Koalitionen galten ab den 1990er Jahren als Projekte. Das begann mit Rot-Grün und wurde dann auch für das "bürgerliche" Gegenmodell übernommen, das zu Kohls Zeiten noch christlich-liberal hieß, dann aber als Schwarz-Gelb firmierte. Jetzt erweitert um Grün – als Wechselfarbe. 
 
Die Idee eines politischen Projektes hat sich jedoch spätestens mit dem Ende von Rot-Grün 2005 erledigt. In einem Sechs- bis Siebenparteiensystem ergeben sich politische Bündnisse schlicht aus der Notwendigkeit, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Das kann auch schon mal zu neuen, unerprobten Kombinationen führen wie eben Jamaika in Schleswig-Holstein, Grün-Schwarz in Baden-Württemberg, einer Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz oder Dunkelrot-Rot-Grün in Thüringen. Nur einfarbig sind Regierungen kaum noch, außer – noch – in Bayern.
 
Ziemlich farblos, ziemlich nüchtern
 
Man sollte daher besser dazu übergehen, Koalitionen so nüchtern zu betrachten und zu benennen, wie es der politischen Theorie und Realität entspricht: als Bündnisse auf Zeit, geschlossen zum beiderseitigen Vorteil und – hoffentlich – des Landes und der Bürger. Keine politischen "Liebesheiraten" mehr und hoffentlich auch keine Zwangsehe, wie die von der CDU erhoffte Verbindung mit der SPD im Bund  angesichts deren Sträuben den Anschein macht. 
 
Auch der Begriff "große Koalition", verniedlicht zu Groko, ist überholt. Er stammt aus der alten Bundesrepublik, als Union und SPD 1966 noch zusammen 90 Prozent der Stimmen und der Sitze im Bundestag vereinten. Im jetzigen wären es gerade mal 57 Prozent. In Sachsen bestünde nach dem Ergebnis vom 24. September eine große Koalition aus der AfD als stärkster Partei mit der CDU. In Baden-Württemberg entspricht sie dem derzeitigen Bündnis Grüne/CDU. Fall die neu-alte Berliner Koalition zustande kommt, müsste man sie – wenn – Migroko nennen. Mittelgroße.
 
Was heißt aber überhaupt groß? Das ist schon bei Menschen nicht immer leicht zu sagen. Bei Parteien kaum anders: Kleinere können viel bewegen, wenn sie die richtigen Themen treffen – und für eine Koalition benötigt werden. In Sachsen-Anhalt regiert seit 2016 eine "Kenia-Koalition", ebenfalls benannt nach den Landesfarben, weil CDU und SPD dort durch das Rekordergebnis der AfD zu klein geworden sind und die Grünen dazu benötigten. Die konnten mit ihren gerade einmal 5,2 Prozent – also ein Viertel dessen, was die SPD im Bund hat – viel durchsetzen. Die Dreier-Kombi regiert in Magdeburg manchmal rumpelig. Aber sie hält. Was will man mehr?
 
Blau (für CDU/CSU) und Rot (SPD) sind übrigens die Landesfarben von Haiti. Und Liechtenstein! Man könnte aber auch ganz bodenständig Niedersachsen-Bündnis sagen, weil dort gerade eine Groko vereinbart wurde. Nur Österreich-Koalition (rot-weiß) sollten wir sie tunlichst nicht nennen, auch wenn manche die Merkel-CDU inzwischen für ziemlich sozialdemokratisch halten und die CSU ohnehin "sozial" und weiß wie die Wittelsbacher ist. Wegen des bekannten, unschönen Ausgangs.
   
 
 
   
   
 
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.