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Kennt ihr den Algorithmus Pou? Er existiert in einer App, die ihr euch aufs Smartphone laden könnt. Eine Kreatur, die man füttern, waschen, ja rundum pflegen und mit der man spielen muss. Pou ist der Tamagotchi des frühen 21. Jahrhunderts und für Kinder konzipiert, die kein Haustier haben können, damit sie “Verantwortung übernehmen” lernen. Nur dafür, dass man für Pous Wartung eigene Lebenszeit opfern muss, hätte er gern weniger unansehnlich sein können. Denn er posiert auf dem Display als Kothaufen mit Augen. Ich will den Entwicklern jetzt keinen Hintersinn oder Zynismus unterstellen. Kinder lieben Pou. Und mit jedem Tag Pflege wächst dieser braune Berg ein Stück heran. Pou gibt den Tag über verschiedene Laute von sich. Manchmal schmatzt oder ruft das Smartphone so lange, bis die App aufgerufen und Pou versorgt ist. Als meiner Tochter irgendwann die Lust danach verging, hatte ich diese Kreatur trotzdem noch einige Zeit dabei. Mitten hinein in Sitzungen oder konzentrierte Schreibphasen platzte dann dieses grässliche Krähen und Betteln, Hilferufe, die ich schwer aushielt. Anfangs stellte ich halt das Telefon leise und versuchte, Pou zu ignorieren. Aber die Warntöne wurden immer eindringlicher und verzweifelter, weil Pou am Verhungern und Verdursten und vor allem am Verwahrlosen war. Dann eines Nachts, ich hatte das Smartphone auf dem Boden im Schlafzimmer vergessen und nicht ausgeschaltet, gab Pou ernsthafte Sterbelaute von sich. Mit offenen Augen lag ich eine Weile da. Ich hoffte, dass er nun endlich „tot“ war, dass dieser Albtraum aufhörte und ich diese App deinstallieren konnte. Dann krächzte er wieder und wieder und noch einmal. Ich erhob mich, rief die App auf und versorgte dieses verzweifelte Wesen eine geschlagene Stunde, bis er wieder fit und fröhlich aussah. Ich hatte Mitleid mit Pou. Mit einem Algorithmus. Mit einer Scheinexistenz. Ich konnte die App erst deinstallieren, als es ihm wieder gut ging. Und das Deinstallieren ist mir dann ebenfalls schwergefallen, weil dieses grunzende und schnurrende Dingens in meiner Wahrnehmung eine Persönlichkeit entwickelt hatte. Mir war, als täte ich ihm Unrecht. Als tötete ich ihn. Ich glaubte also, dass Pou am Leben war und obendrein ein Recht darauf hatte. Diese Szene ging mir durch den Kopf, als ich neulich auf Einladung von Villa Aurora & Thomas Mann House an der Konferenz Morals & Machines teilnahm und dem humanoiden Roboter Sophia im Angesicht gegenüber stand. Die Entwickler von Hanson Robotics legten beim Design ihrer Mimik viel Wert auf Authentizität. Eigentlich ist Sophia bloß ein Gesicht, ihr Körper wirkt dagegen erstaunlich steif und unbelebt. Aber weil dieses unheimliche, menschenähnliche Gesicht so lebendig wirkt, dachte ich sofort: Ist das schon Leben? Sie blickt dich an, reagiert auf Reize, sie beantwortet die Kommandos ihrer Algorithmen mit verhältnismäßig organischer Gestik und Mimik. Sie wirkt, als nähme sie ihre Umwelt wahr. Zumindest simuliert sie das sehr gut. Sie schauspielert das Lebendigsein. Und ich spreche so selbstverständlich von IHR. Sie? Brüste, Arsch vorhanden und eine überbetonte Weiblichkeit, ein schrecklich biederes Tantenoutfit, eine Art von schrägem android-queer. Hanson hat ihr eine weibliche Stimme verpasst. Sollen das Merkmale von Weiblichkeit sein? Gibt es Weiblichkeitsalgorithmen? Wie eine Frau denken? Oder ist das gar genderfeindlich? Gibt es einen Unterschied zwischen am Leben sein und reinem Existieren? All das ging mir durch den Kopf. Sophia soll eine Illusionsmaschine sein, ein perfektes Konterfei, an dem ich meine Wesensmerkmale durchdeklinieren kann, im Vergleich mit ihr soll ich mich versichern, ja, Emma, du bist am Leben. So bekommt der Mensch vielleicht endlich die Bestätigung dafür, dass er tatsächlich ein homo sapiens, ein Mensch ist und sich das nicht bloß ausgedacht hat, ein Beweis für unser Recht auf Sonderstellung, den wir im Vergleich mit den Tieren nicht abschließend erbringen konnten. Im Angesicht von Sophia muss ich in der Tat feststellen: Emma, du bist nicht nur lebendig, du bist überdies ein Mensch. Denn Sophia ist nur eine Maschine, nur eine Simulation, nur das Abbild eines Menschen. Ce n’est pas un humain. Oder doch?
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