Das
legendäre Dreikönigstreffen der FDP stand dieses Jahr in einer besonderen Tradition – und in einer besonderen Verantwortung: Vor 50 Jahren, am 6. Januar 1968, begeisterte der liberale Soziologe Ralf Dahrendorf mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für eine neue FDP. Er war erst kurz zuvor zur Partei gestoßen und forderte nun ein
Bürgerrecht auf Bildung, größere Vielfalt und die Öffnung der Partei.
Wenige Wochen später, umringt von Tausenden Demonstranten, diskutierte Dahrendorf beim 19. Parteitag der FDP in Freiburg mit dem linken Studentenführer Rudi Dutschke. Sie saßen auf dem Dach eines VW-Bullis und stritten über den Vietnamkrieg, über die Grenzen des Widerstands, über Demokratie und über das, was eine Gesellschaft zusammenhält oder auseinandertreibt.
Der prätentiöse Intellektuelle Ralf Dahrendorf scheiterte alsbald als FDP-Politiker, und Rudi Dutschke wurde zweieinhalb Monate später Opfer eines Attentats und erlitt schwere Hirnverletzungen. Doch das Foto der beiden Diskutanten wurde zur Ikone. Es symbolisierte die neue FDP: mutig, weltoffen, entschieden und mit großer Freude am intellektuellen Streit und Widerspruch.
Daran wollte wohl jetzt auch FDP-Chef Christian Lindner anknüpfen, als er beim Dreikönigstreffen an Dahrendorfs Auftritt vor 50 Jahren erinnerte und eine aus den Ruinen auferstandene neue FDP beschwor.
Immer wieder hämmerte Lindner seinem begeisterten Parteivolk in dem bis auf den letzten Stuhl besetzten Stuttgarter Opernhaus ein: Der FDP von 2017 gehe es anders als der alten und 2013 untergegangenen Partei nicht mehr allein ums Mitregieren, sondern ums Mitgestalten. Die neuen Liberalen stünden für Prinzipien ein, für Vielfalt, für Toleranz und eine offene Gesellschaft. Denn mindestens ebenso wichtig wie die Bereitschaft zum politischen Kompromiss sei die Bereitschaft zur Kontroverse.
Intelligenz im Bundestag Heftig wurde die FDP für ihren Austritt aus den
Jamaika-Sondierungsgesprächen kritisiert. In der Tat schien er inszeniert, wurden die Begründungen doch erst schrittweise und in immer wieder neuen Varianten nachgereicht.
Doch manche Kritik war überzogen. Verdrängt wurde, dass das abrupte Jamaika-Ende auch die Grünen vor einer Blamage rettete, denn sie hatten noch keinen ihrer Knackpunkte gelöst. Auch ist der Vorwurf falsch, die Liberalen
würden Schritt für Schritt nach rechts rücken und sich der AfD annähern.
Man muss die strikten FDP-Positionen
zur Flüchtlingspolitik und zum Familiennachzug nicht mögen. Aber sie sind weder rassistisch noch völkisch, sondern halten sich an Recht und Gesetz. Und im Wahlkampf waren es immer wieder die FDP und ihr Parteivorsitzender Christian Lindner, die auf offener Bühne die Auseinandersetzung mit der AfD suchten und ihr entschieden die Stirn boten.
Die FDP hat außerdem in den letzten Jahren vieles richtig gemacht. Sie ist geschlossener denn je und wird im Bundestag von einer Reihe kluger Leute vertreten.
Kein Raum für Mitgefühl Dennoch: Lindners Reminiszenz an 1968 kann nicht überzeugen. Zwischen der FDP damals und heute besteht ein riesengroßer Unterschied. Es stimmt,
Dahrendorfs Liberalismus plädierte für größere Vielfalt und politischen Dissens.
Lange her, dass die FDP die Arbeiter begeistern wollte Doch sein inhaltlicher Bezugspunkt war die kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Das Dreikönigstreffen und der 19. FDP-Parteitag 1968 waren der Startschuss für den Aufbruch, die Initialzündung für die Freiburger Thesen, für eine Politik, die nicht nur das Bürgertum, sondern auch die Arbeiterschaft begeistern sollte.
Es ging den Liberalen damals um betriebliche Mitbestimmung, um soziale Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt. 1968 und die späteren Freiburger Thesen waren, wie der Liberale Burkhard Hirsch es beschrieb, die "Kampfansage an die selbstzufriedene Behäbigkeit einer bürgerlichen Wirtschafts- und Honoratiorenpartei, eine Unabhängigkeitserklärung". Sie waren eine klare Absage an die Vorstellung, dass sich eine liberale Gesellschaftsordnung jemals an ökonomische Interessen einer sozialen Gruppe binden könnte.
Davon ist die FDP des Jahres 2018 meilenweit entfernt. Viel war in Stuttgart
die Rede von Modernisierung, von Digitalisierung und Computerisierung. Als wäre die FDP ein Dax-Unternehmen, priesen einige Liberale den Erfolg ihrer Partei als ein "Geschäftsmodell".
Die Auftritte von heute sind zu glatt, zu steril, zu einstudiert und kalt wie Neonlicht. Über Konzepte zur Lösung der gesellschaftlichen Herausforderung kann und muss man trefflich streiten. Doch kein Liberaler sprach von prekären Arbeitsverhältnissen, von der auseinanderstrebenden Wohlstandsschere, vom Pflegenotstand oder davon, dass im Mittelmeer immer noch
Hunderte von Flüchtlingen und Migranten ertrinken.
Im Vorraum des Opernhauses traten zwar traditionsgemäß die Sternsinger auf, aber im Festsaal fiel kein einziges Mal das Wort Solidarität. Für Empathie und Mitgefühl war auf dem Dreikönigstreffen kein Raum. Der neuen FDP fehlt eine Seele.