| Hamburger Staatsvertrag wackelt mal wieder
Der Hamburger Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden steht von jeher auf wackligen Beinen und wird immer wieder heftig diskutiert – auch jetzt. Denn die Bürgerschaftsfraktionen von CDU, FDP und AfD empören sich über Facebook-Postings des Vorsitzenden (einer von dreien) des Rats der muslimischen Gemeinschaften in Hamburg (Schura) Mustafa Yoldas und fordern Konsequenzen. Yoldas hatte die türkische Militäroffensive gegen kurdische Milizen im Nordwesten Syriens befürwortet. Gestern hat sich nun auch die Schura selbst von Yoldas’ Äußerungen distanziert. »Was Herr Yoldas gemacht hat, war falsch«, sagte Schura-Sprecher Mehdi Aroui, der klarstellte, dass es sich bei den zum Teil mit martialischen Worten unterlegten Postings Yoldas’ um private Äußerungen handele und nicht etwa um offizielle Stellungnahmen der Schura. Diese distanziere sich davon, wenn nationalistische Parolen, etwa zur Unterstützung der türkischen Armee, religiös grundiert würden – dies sei ein nicht hinnehmbarer Missbrauch der Religion zu politischen Zwecken, so der Schura-Vorstand in einer Erklärung. Sollte so etwas in Mitgliedsgemeinden vorkommen, werde man dies konsequent unterbinden. Ob Yoldas über seine Äußerungen stolpern wird, war bei Redaktionsschluss noch unklar. Persönliche Konsequenzen seien bislang nicht besprochen worden, sagte Aroui. Der Co-Vorsitzende Daniel Abdin hat aber klare Vorstellungen. Er habe seinem Kollegen Yoldas nahegelegt, seinen Posten an der Schura-Spitze zu räumen. »Wenn ich an Herrn Yoldas’ Stelle wäre, würde ich zurücktreten, um Schaden von der Schura abzuwenden«, sagte Abdin gegenüber der »Welt«. Und auch in Sachen Vertrag wird wieder einmal debattiert – denn während die Opposition kräftig für Gegenwind sorgt, die Aussetzung des Vertrags (CDU) und gar dessen Auflösung (FDP, AfD) fordert, stelle der rot-grüne Senat ihn insgesamt, so Senatssprecher Jörg Schmoll, nicht infrage.
»Die Menschen lassen sich inzwischen lieber vorlesen«
Wenn sich Autoren und Musiker die Bühnen teilen und der Uebel-und-Gefährlich-Bunker aus allen Nähen platzt, dann ist HAM.LIT: Lange Nacht der jungen Literatur und Musik. Heute Abend geht die Veranstaltung in die neunte Runde und ist mal wieder ausverkauft. Wir haben mit Autorin Lucy Fricke – sie hat die HAM.LIT ins Leben gerufen und wird dieses Jahr auch selbst lesen – über die Erfolgsveranstaltung gesprochen.
Elbvertiefung: Sie haben 2010 die HAM.LIT nach Hamburg gebracht. Haben die Autoren diese Veranstaltung gebraucht, um in der Stadt Gehör zu finden? Lucy Fricke: Ja, damals auf jeden Fall. 2010, bei der ersten HAM.LIT, gab es in Hamburg in Sachen junge Literatur ein Loch. Wir wollten den Autoren eine große Bühne schaffen. Sie eben nicht zu zweit in einem Café lesen lassen, sondern auf einer Veranstaltung mit Festivalcharakter – mit vielen anderen, mehreren Bühnen und Musik. Mit Erfolg, das Haus war immer voll.
EV: Mit Blick auf die Literaturszene 2010 und heute – ist alles noch wie immer, oder hat sich was getan? Fricke: Die Menschen lassen sich inzwischen lieber vorlesen, als selbst zu lesen. Dementsprechend werden diese Lesungen auch für Autoren finanziell immer wichtiger. Und damit auch die Literaturfestivals. In den ersten Jahren haben wir ganz frei ausgesucht, wer bei uns liest. Inzwischen werden wir von Booking-Agenturen, Verlagen und Autoren selbst beinahe bestürmt.
EV: Die Auswahl ist auf insgesamt 15 Autoren und Autorinnen und drei Bands gefallen. Welcher Programmpunkt ist Ihr diesjähriges persönliches Highlight? Fricke: Eigentlich alle natürlich. Rebekka Kricheldorf, die mit dem Schauspieler Laurenz Leky gleich zu Beginn ihren harten, aber witzigen Text liest, sollte man nicht verpassen. Oder auch Thorsten Nagelschmidt. Er ist ein Allroundkünstler: Musiker, Grafiker, Autor. Und ich freue mich auf den Wiener Robert Prosser. In seinem Buch geht es um das Jetzt-Leben im Ex-Jugoslawien, gepaart mit Hip-Hop. Das wird sicher eine starke Performance.
EV: Diesmal werden Sie auch selbst aus Ihrem neuen Roman »Töchter« lesen. Es ist Ihre offizielle HAM.LIT-Lesepremiere. Wussten Sie schon 2010, dass Sie einmal selbst auf der Bühne sitzen werden? Fricke: Nein, es war nie mein Gedanke, dass ich mich da selbst hinsetze. Ich habe das nicht als meine Bühne gesehen. Ich wollte immer nur Gastgeberin sein. Wir bauen die Bühnen ja sozusagen selbst, und sich dann da draufzusetzen ist ein zwiespältiges Gefühl. Aber ich mache die HAM.LIT nicht allein, und dieses Mal hat man mich sozusagen bekniet, gesagt, jetzt sei es auch mal genug mit der Schüchternheit …
EV: Sie sind in Hamburg geboren, leben inzwischen aber in Berlin. Müssen die Hamburger sich Sorgen machen, dass aus der HAM.LIT demnächst die BER.LIT wird? Fricke: Das ist ein Hamburger Ding. In Berlin sehe ich die HAM.LIT nicht. Da ist die literarische Szene viel aktiver. In Berlin sind jeden Tag überall Lesungen. Es wohnen ja auch alle – fast alle – Autoren dort. Aber wir haben schon längere Zeit den großen Traum, mit der HAM.LIT auf Tour zu gehen. Irgendwann mal alle in einen Bus zu werfen und in zwei, drei anderen Städten zu lesen. | |
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