Standpunkt: Manuel J. Hartung über das Sondierungsergebnis in Berlin und 70 Jahre KMK | Novelle im Südwesten | Zwickau feuert Rektor | 3 ½ Fragen an Martin Zierold

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
endlich, es geht weiter mit der Regierungsbildung in Berlin. Im Standpunkt kommentiert Manuel J. Hartung die Ergebnisse der Sondierungsgespräche und ihre Bedeutung für die KMK. Im Fragebogen plädiert Martin Zierold für eine wertschätzende Feedbackkultur. Wie wichtig sie ist, und was ohne sie alles schief gehen kann, zeigt sich gerade in Zwickau. Die Westsächsische Hochschule hat ihren Rektor gefeuert  nach weniger als einem Jahr im Amt.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Novelle im Südwesten
Doktoranden bekommen einen eigenen Status und erhalten Stimmrechte in den Unis. Baden-Württemberg ist also drauf und dran, einmal mehr hochschulpolitische Maßstäbe zu setzen. Vergangene Woche beschloss das Kabinett die entsprechende Novelle. Wenn der Landtag zustimmt, ist die bundesweite Sensation perfekt. Davon ist auszugehen. Für Professoren sieht die Reform ein exklusives Recht zur Abwahl von Rektoren vor. Mit ihm will die Stuttgarter Landesregierung eine Auflage des Bundesverfassungsgerichts von 2016 erfüllen, die Macht von Professoren auszubauen. Hochschullehrer behalten in den Senaten dementsprechend auch dann die Stimmenmehrheit, wenn die Doktoranden eine eigene Statusgruppe gebildet haben. Zusammen mit anderen nicht-professoralen Gruppen bekommen Promovierende nur 40 Prozent der Stimmen im Senat. Die Novelle findet sich im Volltext zum Download hier.
  
 
 
Hochschule Zwickau feuert Rektor Schwister
Hire and fire – diese sonst eher aus der Wirtschaft bekannte Form der Personalpolitik in Führungsriegen hält nun auch in der Wissenschaft Einzug. Die Westsächsische Hochschule trennt sich von ihrem Rektor Karl Schwister. Nach dem Senat (Freie Presse) beschloss Ende vergangener Woche auch der Hochschulrat das Aus. Schwister war nicht einmal ein Jahr im Amt. Die Erklärungen für seinen Rauswurf variieren. Begründet der Hochschulrat seine Entscheidung ganz allgemein mit einem „Vertrauensbruch“, wird Schwister selbst konkreter. Nach einem Bericht des mdr hält er sein entschlossenes Vorgehen gegen die Professoren und Dozenten für ursächlich, die ihre Lehraufgaben nicht erfüllten. Etwa 100 Kollegen seien ihrem Deputat nur zu „55 bis 95 Prozent“ nachgekommen. Die Information gab Schwister ans Ministerium weiter.
  
 
 
Besoldungskodex für britische Unichefs
Seit Monaten tobt in Großbritannien der Unmut über horrende Gehälter, die sich Unichefs bisweilen genehmigen. Jetzt endlich hat das Committee of University Chairs reagiert, einen Besoldungskodex vorgelegt und bis 18. März um feedback zum Entwurf (PDF) gebeten. Transparenz und angemessene Gehälter sind Kernpunkte des Compliance-Papiers. Das Problem: Der Kodex ist nicht verbindlich. Und so reißt die Kritik an der universitären Gehaltspolitik nicht ab (Guardian, Wonkhe). Die Gehaltsunterschiede zwischen Professoren und Führungskräften sind an britischen Hochschulen extrem. Manche Unichefs streichen bis zu 8,5 Mal so viel Geld ein wie Professoren (THE).
  
 
 
Indien: Zahlen, Fakten, Trends
Studierendenquoten, Doktorandenzahlen, Abbruchstatistiken oder Übersichten zu den Betreuungsrelationen. Es gibt so gut wie keine Kennziffer, die der All India Survey on Higher Education nicht bieten würde (The Hindu, Newsminute). Die neueste Ausgabe des jährlichen Berichts ist jetzt erschienen. Die Pflichtlektüre für Internationalisierungsnerds empfiehlt sich zum Stöbern auch für Wissenschaftler auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Chancen. Mit einer durchschnittlichen Betreuungsrelation von 1:22 liegen Indiens Hochschulen weit vor Deutschland. Mit der Bundesrepublik misst sich Indien an der Stelle auch nicht. Geschielt wird nach China und in die USA (Financial express).
  
 
 
Unbezahlte Titellehre ist rechtens
Privatdozenten und außerplanmäßige Professoren müssen sich in Deutschland weiter mit einem höchst prekären Dasein abfinden. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hält die sogenannte „Titellehre“ jedenfalls für verfassungskonform. Damit brauchen Hochschulen habilitierten Wissenschaftlern als auch künftig keinen Cent für Lehr- oder Prüfungsleistungen bezahlen. Gegen diese Norm hatte der Regensburger Philosoph Günter Fröhlich eine Popularklage eingereicht (ZEIT) – und verloren. Mit dem Urteil will sich Fröhlich nun aber nicht geschlagen geben. Wie die SZ berichtet, plant er eine Klage beim Verwaltungsgericht. Es sei denn, die Universität Regensburg bezahlt ihn doch noch nachträglich.
  
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
10,98

pro Stunde bekommen die rund 8000 studentischen Hilfskräfte in Berlin. Das ist viel zu wenig, finden sie und fordern mit den Gewerkschaften im Rücken einen Stundensatz von 14 Euro. Am morgigen Dienstag beginnt ihr Streik in der Hauptstadt.
 
Quelle: GEW
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Martin Zierold

Inhaber der Zajadacz-Stiftungsprofessur für Innovation durch Digitalisierung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Alle (zunehmend auch an Hochschulen) reden von Digitalisierung, viele können das Wort schon nicht mehr hören. 1999 – vor bald 20 Jahren! – fragte Boris Becker noch für die AOL-Werbung „Bin ich schon drin?“. Die Zeiten des „Hauptsache drin, Hauptsache dabei“ sind in Sachen Digitalisierung längst vorbei. Bevor Organisationen über Digitalisierung nachdenken, müssen sie sich aber grundsätzlichere Fragen stellen, die im Alltagsgeschäft häufig aus dem Blick geraten: Für welche Werte wollen wir eintreten? Was ist unsere Aufgabe? Für wen sind wir da? Organisationen, die dazu Antworten haben, werden auch die für sie passenden Wege finden, die vielfältigen Facetten der Digitalisierung für sich individuell und angemessen zu nutzen. Die Erkenntnis: Viel zu wenige Hochschulen tun das – aber es gibt ermutigende Beispiele, dass es geht!
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Eine wertschätzende, ehrliche und klare Feedbackkultur – auf allen Ebenen von Hochschulen, angefangen von frühzeitigen Rückmeldungen für Studierende (statt „Rausprüfen“) bis zu Formaten für Feedback an die Leitung.
 
Lektüre muss sein. Welche?
Manchmal einfach das, was mir in meiner wunderbaren Hamburger Bleibe, dem Literaturhotel Wedina, in die Hände fällt. Jüngst mit Begeisterung einmal wieder Odo Marquards Aufsätze, Andreas Reckwitz’ „Gesellschaft der Singularitäten“, Julika Zwacks und Ulrike Bossmanns großartiger Leitfaden für professionelles „Navigieren im Dilemma“, Olivier Adams Roman „Die Summe aller Möglichkeiten“ und die Gedichte von Billy Collins.
 
Und sonst so?
“Humanize something that is free of error” (Brian Eno & Peter Schmidt, Oblique Strategies)
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Manuel J. Hartung
KMK: Wer sind wir, und wenn ja: wie mächtig?
Es hätte unbeschwert feierlich werden sollen, heute ab 14 Uhr im Auditorium Friedrichstraße. Dort treffen sich Minister, Staatssekretäre, Honoratioren und Ehrengäste, um einen Geburtstag zu feiern: den 70. Geburtstag der Kultusministerkonferenz (KMK). Doch über der Party wird eine philosophische Frage stehen: Wer sind wir, und wenn ja: wie mächtig? Wie bei allen großen philosophischen Fragen ist ihre Beantwortung existenzieller Natur. Es geht ums Ganze. 
Wenn ab 14.35 Uhr der neue KMK-Präsident Helmut Holter (Linkspartei) und die alte Präsidentin Susanne Eisenmann (CDU) mit dem Koordinator der sogenannten A-Länder Ties Rabe (SPD) und dem B-Koordinator Ludwig Spaenle (CSU) sprechen, werden sie über eine sinnvolle Zukunft der KMK reden müssen.
 Denn die KMK ist von außen und von innen unter Druck geraten, selten wurde das so sichtbar wie in dieser Woche. 
Erstens ist das 28-seitige Sondierungspapier ein Angriff auf den Bildungsföderalismus. „Wir haben uns nicht überall durchgesetzt, aber gerade im Bildungs- und Forschungsbereich haben wir uns durchgehend durchgesetzt“, twitterte der SPD-Politiker Hubertus Heil am Samstag – ein Tweet, der im BMBF besonders aufmerksam registriert wurde. „Ende Kooperationsverbot in der Bildung“ hatte der Berliner Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach schon am Freitag als Deutung ausgegeben. Und in der Tat: Zwar heißt es auf Seite 11 des Papiers: „Die Kultushoheit bleibt Kompetenz der Länder.“ – die Substanz der Beschlüsse sieht jedoch anders aus. 
Der Soziologe Ulrich Beck prägte im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen einmal den Ausdruck „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“; das Sondierungsergebnis ist das Gegenteil: verbale Abgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensänderung. Dass die Bundesförderung verstetigt wird, dass auch nicht finanzschwache Kommunen Geld bekommen dürfen, auch dass es einen „Nationalen Bildungsrat“ geben soll – all das zeigt, wie stark der Bund künftig sein möchte. Der Satz „... bleibt Kompetenz der Länder“ ist eher ein kompromisshaftes Bekenntnis. (Wie ein solcher Bildungsrat erfolgreich sein kann, hatte übrigens der langjährige KMK-Generalsekretär Erich Thies 2012 im ZEIT-Interview mit Thomas Kerstan skizziert, das Gespräch ist heute so wichtig wie damals). 
Zweitens ist die KMK von innen unter Druck: Bislang kam Kritik stets von außen, wie Martin Spiewak aufzeigt. Nun haben drei der großen Strippenzieher der deutschen Bildungspolitik, die SPD-Politiker Burkhard Jungkamp und Michael Voges und der CDU-Mann Josef Lange in einem Offenen Brief umfassende Reformen angemahnt. Die Kombination der drei ist deshalb so besonders, weil es Vertreter von Ost und West, Flächenländern und Stadtstaat, A- und B-Ländern sind. In einem Gespräch mit Spiewak kritisieren sie die großen Defizite des Bildungsföderalismus. Ein Gespräch, das heute im Auditorium Friedrichstraße auch für Gesprächsstoff sorgen wird – und deutlich macht, wie dringlich eine Debatte über die Reform der KMK ist.
   
   
Sie stehen woanders? Schreiben Sie uns! chancen-brief@zeit.de
– oder twittern Sie unter #ChancenBrief
   
 
 
   
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Feier ohne Glanz Was macht eigentlich die Kultusministerkonferenz? Sie wird 70 – höchste Zeit, endlich ein paar Wünsche an sie zu formulieren 

»Wir sehen die Defizite des Föderalismus« Sie waren die Strippenzieher der Kultusministerkonferenz. Jetzt fordern sie radikale Reformen. Fragen an Burkhard Jungkamp, Josef Lange und Michael Voges Die Angst der Träumer Tausende Studierende leben illegal in den USA. Unter Donald Trump wächst die Ungewissheit dieser »Dreamer« täglich. Besuch bei zweien, die nicht aufgeben

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Ja doch, die Geschichte von Frankenstein ist bekannt. Aber wirklich auserzählt ist das Leben und Wirken des Schweizer Wissenschaftlers an der Universität Ingolstadt vermutlich nie. Frankensteins Faszination und Aktualität erklärt Nature in einem ganz wunderbaren Beitrag, erschienen pünktlich zum 200-jährigen Bestehen des Romans. Das Buch von Mary Shelley muss man übrigens nicht lesen, es lässt sich auch prima hören. Auf englisch oder auf deutsch.

Quelle: Nature
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Diese Woche grüßen wir mit Mary Shelley: “Nothing is so painful to the human mind as a great and sudden change.”

Ihr CHANCEN-Team

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