Freitext: Mirna Funk: Erinnern kann auch cool sein

 
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26.01.2018
 
 
 
 
Freitext


Erinnern kann auch cool sein
 
 
Wir brauchen eine Erinnerungskultur an den Holocaust, die einen emotional erreicht und nicht zur Abwehr zwingt. Sie muss das Alte mit dem Gegenwärtigen verbinden.
VON MIRNA FUNK

 
Copyright: Alex Grimm/Getty Images
 

Vor ein paar Monaten postete ich auf Facebook ein Gesuch, in dem ich nichtjüdische Deutsche fragte, ob sie an einem Workshop zur Nachkommenschaft der Täter des Nationalsozialismus teilnehmen möchten und sie darum bat, die Akten ihrer Großeltern und Urgroßeltern zu beantragen. Ich erhielt Hunderte von Nachrichten. Nachrichten, in denen diese nichtjüdischen Deutschen erzählten, sie wüssten gar nicht, dass sie überhaupt Akten beantragen können, dass sie es schmerzlich bedauern, nichts über ihre Großeltern und deren politische Verbindungen zu wissen, dass ihnen diese diffuse Schuld leid tue, und dass sie aufarbeiten möchten, was bis dato niemand aufgearbeitet hat. Das Deutsche Bundesarchiv war so genervt von den vielen Anrufen, dass man mir ausrichten ließ, ich solle aufhören, diese Deutschen auf ihre Großeltern anzusetzen. Es wäre alles nicht so leicht, wie ich behaupte, die Akten zu bekommen, dauere sowieso bis zu einem Jahr und überhaupt, ist das denn nicht alles ewig her? Wozu das Ganze?

Ein ungestilltes Bedürfnis nach Vergangenheit
 
Ich war erleichtert. Ich war erleichtert, dass sich so viele meldeten. Ich war erleichtert, dass meine Intuition richtig gewesen ist, es ein ungestilltes Bedürfnis gibt, nämlich auf nichtjüdischer Seite, etwas über die eigene Biografie zu erfahren. Ein Bedürfnis, diese persönliche Lücke zu schließen, eine Lücke, die sich uns auf so gut wie jeder deutschen Unternehmensseite offenbart: dass es keine Geschichte zwischen 1933 und 1945 gibt. Jedenfalls keine persönliche und keine unternehmerische, sondern immer nur eine übergeordnet politische, die alle damals lebenden Deutschen völlig entpolitisiert. Als sei da eben ein Trupp Außerirdischer gelandet und habe alle geliebten Juden umbringen lassen. Aber so war es ja nicht.
 
Wenn die nichtjüdischen Deutschen in zweiter oder dritter Generation reflexartig und unaufgefordert ständig auf ihre nicht vorhandene Schuld verweisen, dann natürlich, weil sie da etwas spüren, was sie nicht nur nicht spüren wollen, sondern, was sie natürlich auch nicht spüren müssten. Diese diffuse Schuld entspringt der Vermutung, dass da eben jemand in der eigenen Familie den Auslöser gedrückt, ein Grab ausgehoben oder Zyklon B nach Auschwitz transportiert hat. Und das wäre eine Katastrophe, aber auch eine große Erleichterung, weil das diffuse Schuldgefühl verschwinden würde. Aus einer Vermutung entstünde eine Tatsache, oder diese Vermutung würde widerlegt werden. Was auch immer passierte, der Unwissende würde zum Wissenden und könnte sich mit dem neugewonnen Wissen auseinandersetzen, sich dazu verhalten und langfristig etwas über zivile Verantwortung in einer Gesellschaft lernen.
 
Vor ein paar Tagen forderte die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, man müsse KZ-Pflichtbesuche einführen, und ich dachte sofort: Gibt’s die nicht schon längst? Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der zwischen 15 und 99 Jahren alt ist und noch niemals in einem KZ war. Und trotzdem haben diese zumeist in der Schulzeit stattgefunden KZ-Besuche nicht dazu geführt, dass man sich nun nicht mehr „Ey, du Jude“ als Beleidigung in der Schule hinterherruft. Ich würde sogar meine Hand dafür ins Feuer legen, dass der Pöbler vor dem Berliner Restaurant Feinberg’s mindestens einmal in seinem Leben ein KZ gesehen hat. Aber ich würde auch meine Hand dafür ins Feuer legen, dass der Pöbler vorm Feinberg’s sich nicht mit seiner eigenen Familienhistorie auseinandergesetzt hat.

...

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