Welch plötzliche Wendung der Dinge! Vor einigen Wochen schrieb ich in dieser Kolumne über die humanitäre Katastrophe im Jemen, wo seit sieben Jahren ein Bürgerkrieg zwischen den schiitischen Huthis und der sunnitischen Mehrheit tobt. Der Iran steht auf der Seite der Huthi-Glaubensbrüder; inwieweit er sie tatsächlich unterstützt, sogar mit Raketen, bleibt umstritten, ist jedenfalls auch
laut New York Times unbewiesen. Saudi-Arabien aber führt einen Krieg gegen sie. Erbarmungslos bombardiert es Rebelleneinheiten, Wohnviertel, Hotels, Hospitäler und Fabriken; nicht einmal Hochzeitsfeiern und Trauerversammlungen sind sicher vor der saudischen Luftwaffe. Die Marine jedoch blockiert die Häfen, Flughäfen und Straßen, über den Nachschub ins Land gelangen kann.
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Auch Deutschland kann handeln", schrieb ich Ende November. Meine Forderung lautete ganz einfach: "Zuallererst muss die Blockade aller Flug- und Seehäfen gestoppt werden. Als Nächstes müssen die Saudis dazu gebracht werden, ihren Bombenkrieg einzustellen […] Die deutsche Regierung sollte sämtliche Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien stornieren – mindestens bis keine Bomben mehr fallen." Doch nichts geschah. Bis jetzt ein einziger Satz in dem Papier, mit dem die Unionsparteien und die Sozialdemokraten ihre Sondierungsgespräche abschlossen, schon die bloß geschäftsführende Bundesregierung zum Handeln verpflichtete: "Die Bundesregierung wird ab sofort keine Rüstungsausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind."
"Wir können ja nicht nur jeden Tag beklagen, was im Jemen passiert", verteidigte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel diesen von den SPD-Unterhändlern durchgesetzten Beschluss gegen Kritiker. Schließlich habe man es dort mit der weltweit größten humanitären Katastrophe zu tun.
Daran besteht kein Zweifel. Von den 22 Millionen Jemeniten sind drei Millionen Flüchtlinge im eigenen Land. Mindestens 10.000 Menschen sind gestorben, mehr als 40.000 wurden verletzt. Schon in normalen Zeiten mussten 85 Prozent des Bedarfs an Lebensmitteln und Medikamenten eingeführt werden. Die saudische Blockade macht jedoch eine ausreichende Versorgung unmöglich, 20 Millionen Menschen droht eine Hungersnot. Nach den Angaben des World Food Programmes benötigen drei Viertel der Bevölkerung humanitäre Hilfe; sieben Millionen sind komplett von Lebensmittellieferungen abhängig; zwei Millionen Kinder sind unterernährt. In 15.000 Luftangriffen seit März 2015 ist ein großer Teil der Infrastruktur zerbombt worden, Klärwerke und Elektrizitätswerke zumal; daher haben 14 Millionen kein sauberes Trinkwasser. Die Folge: Fast eine Million Jemeniten hat sich mit Cholera angesteckt, vor allem in dem von den Huthis kontrollierten Nordwesten. Eine weitere Million Kinder ist von Diphtherie bedroht.
Die Huthis sind keine Unschuldslämmer, aber die größte Schuld an dem Elend ist der saudischen Vernichtungsstrategie zuzuschreiben. Schon US-Präsident Barack Obama hatte Riad Rüstungsgüter im Wert von mehreren Milliarden Dollar zukommen lassen, darunter Kriegsschiffe, Luftabwehr und Panzer; 2016 zahlten die Saudis allein für einen Wartungsauftrag für ihre 230 F-15-Kampfjets 2,5 Milliarden Dollar. Donald Trump übertraf dies nach seinem peinlichen
Schwertertanz in Riad bei Weitem: Er schloss mit dem Öl-Königreich einen Rüstungsliefervertrag über 110 Milliarden Dollar ab, darunter sieben Milliarden für Präzisionslenkwaffen.
Die Amerikaner bomben nun kräftig mit im Jemen, fliegen Drohnenangriffe, betanken die saudischen Bomber in der Luft und schicken ihre Navy Seals in Stoßtruppeinsätze. Auch die Briten sind da mit von der Partie.
Es ist höchste Zeit, diesen Wahnsinn zu beenden. Es reicht nicht, zur Beruhigung des eigenen Gewissens Hilfsgelder auf den Weg zu bringen. Ein Exportstopp für Waffen, wie ihn auch das Europäische Parlament verlangt, ist überfällig. Er wird nicht einfach durchzusetzen sein. Der überraschende Satz im Sondierungspapier einer neuen großen Koalition eröffnet jedoch eine Chance.
Allerdings muss er ernst genommen, das heißt: ins nächste Regierungsprogramm übernommen werden. Das "derzeit" des Regierungssprechers, das die Entscheidung befristet, keine Rüstungsausfuhren in Länder zu genehmigen, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, muss auf Dauer gestellt werden.
Und präzisiert werden muss der Satz auch. Was heißt "Beteiligung"? Etliche Mitglieder der Vereinigten Arabischen Emirate gehören der von den Saudis geführten Allianz nur auf dem Papier an, besonders Katar. Die entscheidenden Kriterien sollten eine Beteiligung am Luftkrieg oder an der Hafenblockade sein. Aber was machen wir dann mit dem Nato-Verbündeten USA?
Auch leuchtet überhaupt nicht ein, dass Jordanien in die Strafaktion einbezogen werden soll, mit dem die Bundesverteidigungsministerin eine langfristige strategische Partnerschaft anstrebt und dem wir 2017 für 130 Millionen Euro Militärgerät geliefert haben. Das sind zehn Millionen mehr als die Nothilfe für den Jemen, und 2018 soll es nicht weniger werden. (Das Konzept der Ministerin für "neue Aufgaben" unserer "Parlamentsarmee" im Nahen Osten wird hoffentlich bald im Bundestag ausführlich diskutiert; es sollte nicht einfach an ihm vorbei in den Auftrag unserer Streitkräfte hineingeschmuggelt werden.)
Kritik an dem Exportstopp kommt aus der Union, aus der IG-Metall und den Betriebsräten in den Rüstungsunternehmen. Sie zielt vor allem auf das Ausfuhrverbot der vier Patrouillenboote, die auf der Wolgaster Peene-Werft in Mecklenburg-Vorpommern für die Saudis gebaut werden sollen. Den Aufforderungen, sich in den Verhandlungen über eine neue große Koalition für eine Änderung einzusetzen, sollte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig nicht nachkommen. Es sind ja gerade solche Patrouillenboote, mit denen die Häfen im Westen des Jemen blockiert werden. Sie treiben die Menschen in die Hungersnot.
Die Arbeitsplätze ließen sich auch auf andere Weise sichern. Mein Vorschlag: Die Bundesregierung übernimmt die vier Boote und stellt sie Frontex für die Sicherung der europäischen Außengrenze im Mittelmeer zur Verfügung.