Vor einem Jahr wurde Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Seither ist kaum ein Tag ohne eine neue verbale Entgleisung vergangen, ohne dass er einen Menschen, eine ganze Gruppe oder einen Staat beleidigt hat.
Vor einer guten Woche beschäftigten noch die Enthüllungen des Buchautors Michael Wolff die Öffentlichkeit. In
Fire and Fury beschreibt er das Chaos im Weißen Haus und, was Trumps Mitarbeiter angeblich so von ihm denken. Es ist nicht wirklich neu, was in dem Buch steht. Und es gibt berechtigte Zweifel, ob alles, was dort behauptet wird, auch so gesagt wurde. Aber die Enthüllungen überraschen nicht wirklich, sondern bestärken nur das, was ein Großteil der Welt sowieso über Trump denkt.
Kaum war das Buch in den Regalen, wurden die Ungeheuerlichkeiten aus dem Weißen Haus bereits von einer neuen Dreistigkeit Trumps verdrängt. Bei einem Treffen im Weißen Haus zum Thema Einwanderung äußerte sich der Präsident offenbar verächtlich über El Salvador, Haiti und Länder in Afrika und
empörte sich darüber, dass ausgerechnet aus diesen "
shithole countries", aus diesen "Drecksloch-Ländern" – oder, direkter übersetzt: "Scheißloch-Ländern" – besonders viele Menschen nach Amerika wollten.
Zwar bestritt Trump in einem Tweet, dieses Schimpfwort gebraucht zu haben. Aber
einige, die dabei waren, beteuern, er habe es genau so gesagt.
Die 54 afrikanischen Staaten verlangen nun von Trump eine Entschuldigung. Und die meisten US-Medien sind über die vulgäre Entgleisung ihres Präsidenten derart entrüstet, dass sie ihre ansonsten strenge Zurückhaltung aufgeben und die präsidiale Obszönität veröffentlichen. Üblicherweise umschreiben die Medien ein von ihnen als anstößig empfundenes Wort. Oder sie lassen es mithilfe von Leerzeichen aus. Oder überdecken es mit einem Piepton.
Trump ist nicht der erste Präsident, der zu Derbheiten neigt. Im Gegenteil, die Geschichtsbücher sind voll davon. Der Demokrat Lyndon B. Johnson zum Beispiel oder der Republikaner Richard Nixon waren berüchtigt für ihre unkontrollierten Wutausbrüche und Schamlosigkeiten. Doch bei Trump sind Anstößigkeiten und Beleidigungen kein Zufall. Sie haben System und sind Ausdruck eines gewollten Kulturbruchs. Sie sollen demonstrieren, dass er kein gewöhnlicher Präsident ist, keiner aus dem politischen Establishment.
Die Kritik an Trumps vulgärem Verhalten ist verständlich und notwendig. Doch in der
Dauerbeschäftigung mit seinem geistigen Zustand steckt auch ein Problem. Zum einen dominiert sie den politischen Diskurs und lässt das von Trump angerichtete politische Unheil in Vergessenheit geraten. Zum anderen verdeckt sie, dass ein beachtlicher Teil des amerikanischen Wahlvolks Trump nach wie vor die Treue hält. Dass es zwischen 36 und 40 Prozent der Amerikaner gut finden, was der Präsident sagt und wie er sich verhält.
Es gibt zwei Welten, die kaum Berührung miteinander haben – und die immer noch wenig voneinander wissen. Vor anderthalb Jahren haben viele Medien und Beobachter es nicht für möglich gehalten, dass einer wie Trump jemals Präsident werden könnte. Jetzt meinen viele, einer wie er könne und werde sich nicht lange im Amt halten.
Doch Vorsicht! Solange Trump immer noch tut, was viele Republikaner wollen: Steuern senken, den Umweltschutz kappen, das Militär stärken, solange zugleich passiert, was vielen seiner Wähler nutzt – gerade hat Walmart unter Verweis auf die neue Steuerentlastung den Stundenlohn für Verkäufer um zwei Dollar erhöht –, solange kann Donald Trump weiter mit Unterstützung rechnen.
Der amtierende US-Präsident ist keine Satire, er ist bittere Realität – und das womöglich für viele Jahre.