Fünf vor 8:00: Europa kann nicht warten - Die Morgenkolumne heute von Theo Sommer

 
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FÜNF VOR 8:00
30.01.2018
 
 
 
   
 
Europa kann nicht warten
 
Donald Trump fällt als Anführer der freien Welt aus. Umso stärker ist der globale Führungsanspruch Chinas. Europa sollte sich beeilen, dem etwas entgegenzusetzen.
VON THEO SOMMER
 
   
 
 
   
 
   
Drei Einsichten hat uns das Davoser Weltwirtschaftsforum in der vergangenen Woche über die Verfassung der Welt und den Zustand ihrer tragenden Pfeiler USA, Europa und China vermittelt:
 
Die Vereinigten Staaten können militärisch und wirtschaftlich vor Kraft kaum laufen, aber ihr derzeitiger Präsident hat keinerlei positive Vision für die Zukunft der Weltordnung und vor allem nicht im Geringsten die Absicht, sie führend zu gestalten.
 
Europa, nach Jahren des Zweifelns und Verzweifelns an sich selbst schwungvoll vertreten zumal von Emmanuel Macron, aber auch von Angela Merkel und Paolo Gentiloni, hat wieder eine Vision – für die Reform und Renaissance, für eine Neubelebung der EU. Doch mangelt es den Europäern an Einigkeit und Durchsetzungskraft. Wie weit sie sich ermannen und um Macron zusammenraufen können, wenn Berlin wieder eine handlungsfähige Regierung hat, bleibt erst einmal abzuwarten.
 
Die Volksrepublik China hat beides: eine eigene Vision für die Zukunft der Welt im Zeitalter der Globalisierung und die Kraft wie den Willen, ihr vermöge ihres wirtschaftlichen Schwergewichts in die Wirklichkeit zu verhelfen. Indessen drängt sich immer dringlicher die Frage auf, ob der Westen dabei nicht Gefahr läuft, ins Hintertreffen zu geraten.
 
Geben wir uns keinen Illusionen hin: Das Davoser Treffen der globalen Elite hat die Entfremdung zwischen Europa und Amerika nicht überwunden. "America first", meinte Trump, heiße nicht "America alone". Aber allein am Beifall für die Redner ließ sich ablesen, wie allein er steht; für ihn gab es keine stehenden Ovationen. Nicht etwa, dass wir einen Handelskrieg mit der Volksrepublik vom Zaun brechen sollten, wie ihn Trump und sein Handelsminister Wilbur Ross in Davos ankündigten ("die Truppen marschieren am Festungswall auf"). Doch sollten die Europäer den Chinesen nahebringen, dass sie unter fairem Handel etwas anderes verstehen als Pekings eigenwillige Praktiken.
 
Geschäftsmann Trump
 
Donald Trump sprach in Davos wie ein Geschäftsmann, der sich seiner prächtigen Bilanz rühmt und um Investitionen wirbt, nicht als Führer einer Großmacht mit Weltführungsanspruch. Der internationalen Ordnung, die seine Vorgänger seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut haben, ob Vereinte Nationen, Welthandelsorganisation, Weltbank, kehrt er schnöde den Rücken; sein Wüten gegen die Nato konnten seine Generalsberater nur mit Mühe stoppen; sein Pochen auf "fairen Handel" läuft auf nichts anderes hinaus als auf schieren Protektionismus. Von Multilateralismus hält er nichts. Mit seiner Engstirnigkeit ist es ihm gelungen, Amerika klein und einsam zu machen. Nach einem neuen Gallup-Poll in 134 Ländern ist die Zustimmung zu Amerikas Führung auf 30 Prozent gesunken. Es ist ein Allzeittief.
 
Trump hat sich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und aus der Transpazifischen Partnerschaft zurückgezogen. Den TPP-Mitgliedern, die unter kanadischer und japanischer Führung ohne ihn vorangehen, macht er jetzt vage Gesprächsangebote. Als Nächstes könnte er einen Währungskrieg gegen den Euro starten, einen Handelskrieg auch, nicht nur gegen China. Auf seinem Hackklotz liegen wohl auch das Atomabkommen mit dem Iran, die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) und die Welthandelsorganisation. Europa wird allerhand zu tun haben, Trumps destruktive Instinkte zu bändigen.
 
Eine unabdingbare Voraussetzung dazu ist allerdings, dass die Europäische Union wieder Handlungsfähigkeit gewinnt. Die Amtseinführung der vierten Merkel-Regierung kann da nur ein erster Schritt sein. Danach muss geredet werden – und nicht nur geredet, sondern beschlossen. Über die Ideen Macrons, die Vorstellungen Junckers, die Vorstellungen der Deutschen, wie sie in dem Groko-Sondierungspapier umrissen sind.
 
Drei Kreise, Europa
 
Wobei es nach meiner Ansicht nicht ausreichen wird, ein Ergebnis nach den gegenwärtig geltenden Abstimmungsregeln anzustreben. Auf längere Sicht brauchen wir ein Unionseuropa, das aus drei konzentrischen Kreisen besteht: einem inneren Kerneuropa (und Euro-Europa), in dem Beschlüsse in der Regel mit einfacher Mehrheit gefasst werden können; einem zweiten Kreis für Länder, die sich dem lieber nicht unterziehen (und die dafür auch verminderte Finanzzuschüsse in Kauf nehmen); und einem äußeren Kreis weit loseren Engagements, in dem in absehbarer Zukunft auch die Beitrittskandidaten des Westbalkans, England nach dem Brexit, die Türkei oder andere benachbarte Interessenten ihren Platz finden könnten.
 
Europa kann jedoch nicht bis dahin abwarten, sein Verhältnis zu China auf eine klare Basis zu stellen. In puncto Klimapolitik und Freihandel ist China unser Verbündeter, doch unterscheiden sich Worte und Taten der Pekinger Führung in vielfacher Hinsicht. Nicht von ungefähr mahnte Macron, Xi Jinpings Seidenstraße müsse "grün" werden, nicht eine "Straße der Kohle". Vor allem jedoch haben Frankreich, Deutschland und Italien sich zum Ziel gesetzt, ausländische – und damit sind in erster Linie gemeint: chinesische – Direktinvestitionen in Zukunft genauer unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls zu untersagen.
 
China ist nicht so offen
 
Vor einem Jahr war der chinesische Staatspräsident Xi Jinping der Star in Davos. Beredt warf er sich zum Vorkämpfer des Freihandels auf: "Protektionismus zu verfolgen, ist wie sich in einer Dunkelkammer einzuschließen. Wind und Regen bleiben draußen, aber auch Licht und Luft." Sein vollmundiges Versprechen begeisterte die versammelten Wirtschaftsführer aus aller Welt: "China wird seine Tür weit offen halten." Ein Jahr später hat sich überall Enttäuschung breitgemacht. So offen, wie Xi seine Politik dargestellt hatte, entpuppte sie sich im Alltag keineswegs. Staatlich gefördertes Dumping, mangelnde Chancengleichheit für ausländische Firmen, dazu der Zwang zur Bildung von Gemeinschaftsunternehmen und zur Überlassung von technologischem Know-how sind Dauerthemen geworden – und nicht bloß im Weißen Haus, sondern auch in Europa, Kanada, Neuseeland und Australien.
 
Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hat das chinesische Streben nach Technologietransfer durch gezielte Aufkäufe deutscher Spitzenunternehmen seit Langem kritisiert. "Wir sind zwar eine offene Volkswirtschaft, aber wir sind nicht naiv", ist sein Mantra. Das Mantra der Bundeskanzlerin wie auch Sigmar Gabriels lautet "Reziprozität": Sie fordern gleiche Bedingungen für deutsche Unternehmen in China, wie chinesische Firmen sie in Deutschland vorfinden. Neuerdings ist auch die Klage zu hören, dass China sein Seidenstraßenprojekt zwar als "ein Gemeinschaftsvorhaben für die Menschheit" anpreist, dass aber 89 Prozent der Infrastrukturverträge bisher an chinesische Firmen gegangen sind, nur elf Prozent an andere. Höchste Zeit, dass über all dies gesprochen wird.
 
Amerika, Europa, China – drei Problemkreise, drei Herausforderungen. Sie sollten nicht durch weitere Verschleppung der Berliner Koalitionsgespräche zu Karnevalsthemen werden.
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.