10 nach 8: Christina Baniotopoulou über Catherine Deneuve

 
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26.01.2018
 
 
 
 
10 nach 8


Sex bleibt ein Fragezeichen
 
Catherine Deneuve war ein Idol meiner Jugend, der Inbegriff weiblicher Unabhängigkeit. Und sie ist bis heute mutig genug, unpopuläre Fragen zu stellen. Auch zu #MeToo
VON CHRISTINA BANIOTOPOULOU

   Catherine Deneuve im Jahr 1969 © Silver Screen Collection/Getty Images
 
Catherine Deneuve im Jahr 1969 © Silver Screen Collection/Getty Images
 
 

"Sex ist ein großes Fragezeichen. Es ist etwas, worüber die Menschen ewig diskutieren werden", lautet ein Zitat von Catherine Deneuve. Das Mysterium der Sexualität versteckt sich tatsächlich immer noch gut hinter Trieben und Neurosen – ob individuellen oder gesellschaftlichen. Nun aber ist dieses Fragezeichen plötzlich in das Zentrum einer heftig geführten Debatte gerückt und damit selbst in großer Gefahr.

Es ist keine gute Zeit für Catherine Deneuves Bonmots. Die einmal als "Marianne der Französischen Republik" bezeichnete Schauspielerin wurde zur Feindin de Jour auserkoren. Man vergaß dabei schnell, dass diese Frau eine der 343 "Schlampen" war, die im Jahr 1971 das Recht zur Abtreibung verteidigten – durch Bekanntgabe des eigenen, seinerzeit strafbaren Schwangerschaftsabbruchs. Man vergaß auch rasch, dass diese Frau zwei außereheliche Kinder bekommen hatte und so den damaligen gesellschaftlichen Zwang, eine Ehe einzugehen, auf ihre typisch snobistische Art weghauchte wie den Rauch ihrer Zigarette: "Wozu heiraten, wenn es die Möglichkeit der Scheidung gibt?"

Und dass ihre Rolle als bourgeoise Prostituierte in Belle de Jour dazu geführt hatte, dass die dunkelsten Fantasien der weiblichen Sexualität einen festen Platz im kulturellen Unterbewusstsein gefunden hatten, ist ebenfalls in Vergessenheit geraten.

Für mich allerdings nicht. Catherine Deneuve war die unverzichtbare Protagonistin meiner Pubertät und meiner weiblichen Identitätsfindung. Ich war ungefähr 14, und der Film, den ich zufällig sah, muss Belle Maman gewesen sein. Die Handlung war belanglos, doch ich war sprachlos. "Coup de foudre" nennen die Franzosen das, was ich fühlte. Faszination auf den ersten Blick.

Ich stand damals kurz vor der Verwandlung von einem Mädchen in eine Frau. Wie jeder in diesem Alter schlüpfte ich mit wahnsinniger Leichtigkeit und schwindelerregender Furore in die Rollen meiner Idole, und so inszenierte ich mich mal janis-joplinesk und mal wie eine junge Melina Mercouri.

In Deneuve sah ich endlich die Frau, die ich wirklich werden wollte. Und so schaute ich all ihre Filme, las ihre Memoiren und Biografien. Ich begann sogar ihretwegen, Französisch zu lernen, um ihre nicht auf Englisch oder Griechisch übersetzten Interviews zu verstehen. Ich versuchte, kleine Äußerlichkeiten zu kopieren. Mit einem Bleistift im Mund tat ich so, als ob ich rauchte. Ich fing an, einen Chevalier-Ring zu tragen und verbrachte lange Zeit vor dem Spiegel auf der Suche nach dem perfekten Deneuve-Blick: distanziert und melancholisch.

Die erste stürmische Phase dieser Bewunderungsgeschichte fand irgendwann ihr Ende, und dann verstand ich, was ich wirklich an Deneuve so magisch gefunden hatte. Es war ihr Charme, ihre Intelligenz, ihr Witz, ihre Distanziertheit und die Art, mit Stille einen lauten Eindruck zu hinterlassen. Sie war die Verkörperung der weiblichen Unabhängigkeit, die ich auch irgendwann erreichen wollte. Sie war und bleibt für mich die Ikone der Vivre-libre-Frau.  

Polarisierung der Debatte schadet der sexuellen Freiheit

Mittlerweile bin ich eine Frau geworden, und jenes Identifikationsbedürfnis habe ich hinter mir gelassen. Das Einzige, was von dieser Zeit übrig geblieben ist, ist der Chevalier-Ring. Ab und zu schaue ich mir noch die alten Filme, Indochine oder 8 Femmes, an. Als Hommage an diese Ära meines Lebens und als Reality-Check zugleich. Wie weit bin ich vorangekommen, und wie weit von dem entfernt, was ich für mich damals erträumt habe?

Als ich kürzlich den Brief der 100 Französinnen zu #MeToo las, erinnerte ich mich an noch etwas, das ich damals in Deneuve sah: den Mut aufzubringen, eine Meinung zu äußern, auch wenn sie unpopulär ist. Die Courage, zu nuancieren, auch wenn das Unspezifische einfacher ist. Fragen zu stellen, statt Antworten zu geben.

Wir leben offensichtlich in Zeiten, in denen es keinen Raum und keine Geduld mehr für Fragezeichen im öffentlichen Diskurs gibt. Vor allem endet fast jede Diskussion über das sexuelle Miteinander der Geschlechter gegenwärtig abrupt mit einem Punkt. Oder einem Ausrufungszeichen. Time's up!

Dieser Schwarz-Weiß-Totalitarismus der Schlagwörter, der besagt, dass derjenige, der nicht mit uns ist, gegen uns ist, profaniert sexuelle Delikte. Etliche Facetten der Misshandlung und der Machtausübung werden auf diese Weise nivelliert. Das individuelle Leiden eines Menschen, der die unerträgliche Verletzung seiner Intimsphäre durchleben musste, verschwindet anonym hinter einem Hashtag. Trotz jeder – selbstverständlich gut gemeinten – #MeToo-Kampagne wird das Leiden der Opfer auf dem Altar einer namenlosen Massenhysterie und einer panischen Verallgemeinerung erneut geopfert.

Diese Polarisierung der Debatte schadet auch der Freiheit der Sexualität als einem gesellschaftlichen Gut. Dabei müsste man sie als eine Trophäe nach einem langen Kampf gegen all diese fehlinterpretierten, moralisierenden und patriarchalischen Normen begreifen, in denen die sexuelle Autonomie der Frau wie in einem Puritanismus-Korsett jahrhundertelang gesteckt hatte.

Und jetzt, da die Frauen der westlichen Welt endlich, wenngleich erst seit ein paar Jahrzehnten, dieses Korsett verbrennen durften, unterschreiben 100 Französinnen einen offenen Brief und werden dafür ins Kolosseum der herrschenden Online-Meinungsdespotie gejagt. Es mag sein, dass dieser Brief schwach formuliert war, gar gefährliche Sätze beinhaltete. Der Grund für die heftige Kritik, die seiner Veröffentlichung folgte, lag, wie ich finde, aber nicht nur an einigen misslungenen Formulierungen wie etwa: "die Freiheit, jemandem lästig zu werden". Es provozierte vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der die Verfasserinnen des Textes die Erotik zwischen den Geschlechtern begreifen. Ihrer Meinung nach stehen sich Mann und Frau bei diesem Spiel ebenbürtig gegenüber. So ein Statement wirkt wie eine Provokation mit einem dicken Ausrufungszeichen. Wenige bemerkten, dass es sich auch hier um ein großes Fragezeichen handelt.

Da verschwinde ich doch lieber in Gedanken in die Fantasiewelt meiner Adoleszenz, in der eine rauchende Catherine Deneuve mich fragt: "Und? Hast du den Blick endlich?"

Christina Baniotopoulou, geboren 1990 in Thessaloniki, Griechenland, ist Psychologin. Sie lebt seit 2011 in Berlin. Gerade macht sie die psychotherapeutische Ausbildung. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".

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10 nach 8
 
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