Heute ist leider schlecht: Schlaft endlich! - Eine Kolumne von Ronja von Rönne

 
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17.01.2018
 
 
 
 
Schlaft endlich!
 
 
Es heißt, wer schläft, sei nicht erfolgreich. Wer einpennt, statt dauernd wach zu sein, mache etwas falsch. Dabei ist Schlaf das Beste, was es gibt: ein Menschheitstraum.
VON RONJA VON RÖNNE

Wenn man derzeit in die Gesichter von Angela Merkel und Martin Schulz blickt, sieht man keine Politiker mehr, stattdessen nur noch eine bleierne, beige Müdigkeit. Keine Zeit zum Schlafen, es muss sondiert werden, oder es gibt Interviews oder Telefonanrufe, essen geht nebenher. Wer erfolgreich sein will, hat nicht zu schlafen. Da frag ich mich: Wozu dient eigentlich der ganze Erfolg, wenn man dann nicht mal ausschlafen darf? Wieso bedeutet ausschlafen gleich aufgeben? Wieso ist Ausschlafen ungehörig?
 
Der Schlaf ist hierzulande eine lästige Pflicht, die man irgendwie hinter sich bringt, um genug Energie für all die anderen lästigen Pflichten zu haben. Und wenn man doch mal liegen bleiben möchte, kommt sofort einer daher und sagt "Krone richten, weitermachen". Also rappelt man sich auf und macht halt weiter. Als sei so eine eingebildete Krone auf dem Schädel irgendwie erstrebenswerter als total gemütlich zu liegen. Vor einigen Wochen hab ich von einem Volk im Amazonasgebiet gelesen, dessen Lebensrealität direkt umgekehrt zu unserer war. Der profane Tag hielt her für Nahrungsbeschaffung und Arbeiten, die halt anfielen, aber so schnell es ging, legte man sich wieder hin. Denn der Schlaf war heilig, für die Stammesmitglieder war der schlafende Zustand die "echte" Welt, bevölkert von Göttern, zauberhaften Wesen, Reisen zu sich selbst.
 
Bei uns ist das anders. Bei uns beweist man Eifer, indem man mit wenig Schlaf auskommt. Donald Trump behauptet, nur drei bis vier Stunden zu schlafen. Und man kann zwar keiner einzigen Behauptung Trumps trauen, wohl aber der Motivation, die dahintersteckt: Wer damit angibt, wenig zu schlafen, ist stark, ein Macher-Typ, der sich von so kleinen Bitches wie der Natur überhaupt nichts sagen lässt. Dabei ist der US-Präsident vielleicht überhaupt nicht dement oder verrückt, wie gerade wieder von vielen Psychologen vermutet wird, sondern einfach nur müde. Kleinkinder brabbeln doch auch auch unverständliches Zeug, wenn sie übermüdet sind, vielleicht ist das bei Präsidenten gar nicht so anders. Es ist grotesk, dass chronischer Schlafmangel Anerkennung verdient. Denn natürlich ist eine chronisch übermüdete Elite mit "total großen" Atomknöpfen eine Gefahr fürs Volk. Aber auch ohne politisches Amt sind übermüdete Menschen eine Gefahr für ihre Umwelt.
 
Was macht ihr so im Bett?
 
Nach 17 Stunden ohne Schlaf entwickelt der Mensch Symptome, die der Trunkenheit ähneln. Wer sich übermüdet hinter das Steuer setzt, gefährdet sich und andere. Und das Auto muss der Managertyp fahren, sonst sieht ja keiner, dass er den neuen Tesla hat, außerdem könnte er in der Bahn ja schlafen, und Schlafen ist was für Loser.
 
Vielleicht liegt es aber gar nicht so sehr am Kapitalismus, für den der Schlaf keinen messbaren Wert hat, vielleicht liegt es auch nicht am frühen Unterrichtsbeginn und an mangelnden Gleitzeitmöglichkeiten. Vielleicht wissen die Menschen einfach überhaupt nicht mehr, wo sie eigentlich schlafen sollen.
 
Das Bett ist mittlerweile Lebensmittelpunkt, anstatt an Stofftiere kuschelt man sich des Nachts an Müslischalen und Tablets.
 
Der Schlaf ist schon lang nicht mehr der Grund, im Bett zu sein. Im Bett lesen wir, im Bett schauen wir Netflix, im Bett essen wir, und manche machen noch ganze andere Sachen im Bett, die Ferkel (mit "wir" meine ich übrigens alle, die das im Bett machen. Diejenigen, die solche Sachen im Bett nicht machen, können ja hier drunter kommentieren, dass "sie das aber gar nicht so machen"). Geschlafen wird meist erst, wenn die Augen vor der achten Folge Black Mirror zufallen.
 
Träume deinen Traum
 
Die wenigsten bereiten sich vorfreudig auf den Schlaf vor, lassen etwa den vergangenen Tag passieren oder schmieden Pläne für den nächsten. Meist strahlt das blaue Handylicht, bis der Körper sich verabschiedet, während der Geist "nur noch fünf Minuten" schreit wie so ein Zehnjähriger, der am iPad daddelt.
 
Statt in den Schlaf zu gleiten, erschöpft man sich einfach, bis man ins Koma fällt. Auf ihr Bett freuen sich viele, auf den Schlaf wenige. Aber anstatt ihn möglichst lange hinauszuzögern, sollte man ihn feiern! Schlafen ist schön! Fast so schön wie Komplimente von lieben Menschen! Im Schlaf ist man behütet, ruhig, sicher, keiner redet einem rein oder bittet einen "noch schnell die Powerpointfolie für die Präsi rüber zu faxen". Träumend hingegen erlebt man deutlich überraschendere Dinge. Anstatt sich drei Folgen Game of Thrones reinzuziehen, sollte man die Serie im Schlaf einfach selbst weiterschreiben.
 
Luzides Träumen heißt die erlernbare Technik, mit der es möglich ist, seine Träume zu beeinflussen, und mit der man sogar beschließen kann, den Traum von letzter Nacht weiter zu träumen. Mithilfe von luzidem Träumen kann man den nervigen Nebencharakter aus der echten Serie einfach umbringen oder seinen Liebsten nah sein. Man kann sogar einen Tesla fahren, wenn man das um Gottes willen so gerne möchte. Und das alles im Liegen! Wer Schlaf trotzdem langweilig findet, kann ja mal in einem Löwengehege übernachten. Mit allem sind wir Menschlein so wahnsinnig kreativ, nur beim Schlaf fällt uns nichts ein. Dabei könnte man zum Beispiel mal wieder bei Freunden übernachten, auf einem Hochbett schlafen oder sich eine neue Decke kaufen.
 
Es sollte Mitleid erwecken
 
Schlaf ist das Beste, was es gibt, der Traum der Menschheit: alle Möglichkeiten, völlig kostenlos und ohne das Bett zu verlassen. Es heißt "Lebe deinen Traum", aber es geht noch einfacher: Träume einfach deinen Traum, anstatt Zielen hinterherzuhechten, die einem den Schlaf rauben. Und wenn man dann tatsächlich ausgeschlafen ist, ist man auch wieder fähig, in echt mit seinem Tesla anzugeben.
 
Man stelle sich eine Welt vor, in der nicht nur ich, sondern alle Menschen Schlafliebhaber wären. In der Menschen, die ausgezeichnet schlafen, Respekt gezollt wird. Ein Land, dass von wachen, munteren Menschen angeführt und gestemmt wird. Wo Schulen nicht vor neun beginnen und große Firmen Schlafkammern für den Mittagsschlaf ihrer Angestellten aufstellen. Wo man Menschen, die nie zum Schlafen kommen, bedauert und nicht dafür feiert, ständig wach zu sein. Die einzigen Leute, die damit angeben dürfen, wie lange sie wach waren, sind Kinder am Neujahrstag. Bei allen anderen sollte es nur Mitleid erwecken. Und deshalb appelliere ich an euch wie so ein besorgter Bürger: "GUTE NACHT, DEUTSCHLAND."
 
Frühere Kolumnen von Ronja von Rönne sind im Band "Heute ist leider schlecht" (S. Fischer, 2017) erschienen. Auf ZEIT ONLINE führt sie alle 14 Tage ihre Kolumne fort.


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