Fünf vor 8:00: Im Drecksloch - Die Morgenkolumne heute von Jochen Bittner

 
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FÜNF VOR 8:00
18.01.2018
 
 
 
   
 
Im Drecksloch
 
US-Präsident Donald Trump sorgt mit einer Äußerung über die Armut anderer Länder für Aufsehen. Die eigentlich spannende Frage ist doch: Wie selbstverschuldet ist diese?
VON JOCHEN BITTNER
 
   
 
 
   
 
   
Hat er wirklich "shithole countries" gesagt? Die Zeugen streiten noch. Einige US-Senatoren wollen bei einem Treffen mit dem Präsidenten im Oval Office auch "shithouse" verstanden haben. Unumstritten ist, dass Donald Trump sich fragt, warum die Vereinigten Staaten so viele Menschen aus, sagen wir mal, demokratisch, institutionell und wirtschaftlich suboptimal entwickelten Staaten Lateinamerikas und Afrikas aufnehmen. 
 
Einigermaßen reflexhaft hieß es daraufhin, Trump sei ein Rassist, schließlich zeige seine Äußerung, dass er Menschen bestimmter Herkunft weniger Wert zumesse als anderen. Diese Schlussfolgerung folgt allerdings nicht notwendig aus Trumps "shithole"-Frage. Denn die Beleidigung eines Landes als "Drecksloch" ist noch nicht rassistisch. Und eine Regierung, die Einwanderung aus unterschiedlichen Ländern unterschiedlich streng reglementiert, ist es ebenfalls nicht zwingend. Sonst wäre es auch die Bundesregierung. (Dass Trump eine Menge Leute für minderwertig hält, vor allem solche, die nicht Trump heißen, folgt im im Übrigen mindestens aus seiner Twitter-Historie.)
 
Lohnender als der Streit darum, wie geistig schlicht der US-Präsident genau ist, könnte in Zeiten nie dagewesener weltweiter Migrationen womöglich diese Frage sein: Warum sind manche Länder Dreckslöcher und manche nicht?
 
Die ewige Schuld des Westens
 
Eine ebenfalls etwas reflexhafte Antwort darauf lautet, "der Westen" sei schuld daran, dass in vielen Ländern des globalen Südens der Lebensstandard erschütternd gering ist. Wer schließlich habe Millionen Afrikaner als Sklaven nach Amerika verschleppt? Wer habe kolonisiert, gemordet, unterdrückt und ausgebeutet? Wer bediene sich bis schamlos heute an den Bodenschätzen, billigen Arbeitskräften, und wer fische die Küstengewässer Westafrikas leer? Wer, wenn nicht "Anglo-Amerika", habe "zwei Jahrhunderte lang die Überschüsse der Weltgeschichte" produziert und sei damit verantwortlich für den "globalen Bürgerkrieg von heute", wie es der britisch-indische Autor Pankaj Mishra in seinem Buch Age of Anger formuliert?
 
Das ist alles nicht falsch. Nur: All die vergangenen Untaten und aktuellen Ungerechtigkeiten reichen als Erklärung für das hartnäckige, dramatische Wohlstandsgefälle zwischen reichen und armen Nationen nicht aus. Sie erklären zum Beispiel nicht, warum das Pro-Kopf-Einkommen zweier Fast-Nachbarländer in Subsahara-Afrika wie Mosambik und Botswana derartig unterschiedlich ist. In Mosambik verdient der Durchschnittbürger laut Zahlen des IMF kaum 500 Dollar jährlich, in Botswana sind es fast 8.000 Dollar, was ungefähr dem Wohlstand im EU-Mitgliedsstaat Bulgarien entspricht.
 
"Anglo-Amerika", das die Sklaverei vor 150 Jahren abschaffte, oder die einstige französische Kolonialmacht können auch kaum schuld daran sein, dass Niger als erstes westafrikanisches Land überhaupt die Sklaverei erst im Jahr 2003 unter Strafe stellte – und sie danach trotzdem weit verbreitet blieb.
 
Nein, man muss schon über die (Selbst-)Bezichtigung des Westens hinaus fragen, wieso so viele antikolonialistische "Befreier" Afrikas die Methoden der Kolonialherren kopierten, anstatt sich an liberalen Demokratien zu orientieren. Denn zum Ausbeuten gehören immer zwei: Westliche (oder chinesische Konzerne) einerseits und afrikanische Regierungen, die es es zulassen, dass Ausländer die Reichtümer ihrer Nationen plündern, andererseits.
 
Sind manche Staatenlenker vielleicht noch unfähiger als Trump?
 
Könnte ein Teil der shithole-Antwort womöglich lauten, dass viele dieser Länder von Leuten regiert werden, die noch unfähiger sind als Trump, mindestens ebenso rassistisch und womöglich noch schamloser am eigenen statt am allgemeinen Wohl interessiert? Zimbabwes Diktator Robert Mugabe ist so ein Beispiel. Nach der Erringung der Unabhängigkeit des Landes 1980 schafft er es, das Bruttoinlandsprodukt bis 2008 zu halbieren. Anfang 2009 stellte das UN-Entwicklungshilfebüro fest, dass die Arbeitslosigkeit im Land auf 94 Prozent gestiegen sei.
 
Was war passiert? Mugabe hatte, so schildern es die Autoren Daron Acemoğlu und James A. Robinson in ihrer eindrucksvollen Studie Why Nations Fail, seine Gegner entweder buchstäblich oder wirtschaftlich erdrosselt und lediglich seinen Anhängern Jobs und Ländereien verschafft. Das Ergebnis war eine systematische Verhinderung freien Unternehmertums und fehlende Rechts- und Eigentumssicherheit. Wer würde in einem solchen Land ein Business gründen können, geschweige denn wollen?
 
Ärmer als noch 1960
 
"Nationen scheitern", urteilen Acemoğlu und Robinson, "weil ausbeuterische Institutionen nicht die Anreize für Menschen schaffen, zu sparen, zu investieren und innovativ zu werden." Das Resultat seien wirtschaftliche Stagnation, und wie in jüngerer Vergangenheit die Beispiele Angola, Kamerun, Tschad, Kongo, Haiti, Liberia, Sierra Leone oder Sudan zeigten, Bürgerkriege, Massenvertreibungen, Hungersnöte, und Epidemien, "die viele dieser Länder heute ärmer zurücklassen, als sie es 1960 waren".
 
Warum nun geht es Botswana vergleichsweise gut? Weil es, so die Ökonomen, nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1966 Institutionen aufgebaut habe, die sowohl Eigentumsrechte, pluralistische Mitbestimmung und demokratische Wahlen garantierten. Dabei hatte das Land freilich das Glück, dass die Briten hundert Jahre lang mit den bestehenden Institutionen lokaler Stämme kooperiert hatten, anstatt sie zu bekämpfen. Andere Kolonialmächte waren nicht so klug, sondern ermordeten die Eliten, mit denen ein Staat zu machen gewesen wäre.
 
Heute allerdings, ein halbes Jahrhundert nach fremder Gewaltherrschaft, kann allerdings jeder Regierende wissen, was Dreckslöcher zu Dreckslöchern macht. Die leichte erste Lektion lautet: Wenn du in einem sitzt, hör' auf zu graben.
 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.