Akademische Freiheit unter Druck| Indiens Bildungsminister ist Kreationist | 3 ½ Fragen an Katrin Vohland | Dr. acad. Sommer berät einen zweifelnden Postdoc in spe

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
so interessant der Promi-Auflauf in Davos gerade auch sein mag, der hochschul- und wissenschaftspolitische Bär steppt längst nicht nur in der Schweiz. In Brüssel haben sich Europas Hochschulrektoren gerade getroffen, um über strategische Partnerschaften und eine europäische Exzellenzinitiative für 20 Universitäten zu diskutieren. Die Idee der EU-Regierungschefs ist noch völlig unausgegoren, macht jetzt aber doch langsam die Runde. Außerhalb der EU gerät die akademische Freiheit derweil weiter unter Druck, wie der Blick nach Hong Kong zeigt. Indiens Bildungsminister outet sich als Kreationist. Den Fragebogen beantwortet Katrin Vohland, und Dr. acad. Sommer berät einen zweifelnden Postdoc in spe.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Akademische Freiheit unter Druck
Ermahnungen, Maulkörbe, Restriktionen: In Hong Kong bekommen regimekritische Studierende und Wissenschaftler Druck von Pekings Kader. Dies geht aus einer Studie hervor, die der australische Hong Kong-Experte Kevin Carrico im Auftrag der in UK ansässigen NG-Organisation Hong Kong Watch erstellte (THE, InsideHigherEd, Guardian). Carricos Fazit (PDF) alarmiert: „Universities around the world should provide shelter for academics pressured out of their positions“. Damit droht Wissenschaftlern in Hong Kong ein Schicksal wie es ihre Kollegen in der Türkei gerade erleiden. Seit dem Putschversuch im Sommer 2016 sind dort tausende Professoren entlassen worden. Bis heute ist die Lage an türkischen Hochschulen höchst angespannt, Wut und Angst herrschen im universitären Alltag. Doch es gibt Inseln der Freiheit: ZEIT-Autor Onur Burcak Belli hat eine türkische Universität besucht, die den Repressionen bislang entkommen konnte. Mehr dazu lesen Sie in der aktuellen Print-Ausgabe.
  
 
 
Plagiatsjäger treiben Hochschulen weiter vor sich her
Fünf Jahre nach dem erzwungenen Rücktritt der früheren Forschungsministerin Annette Schavan wegen Plagiarismus in der Doktorarbeit lässt sich die Wissenschaft so einfach in die Defensive drängen wie eh und je. Die Probe aufs Exempel unternahm Debora Weber-Wulff von der Plagiatejäger-Plattform VroniPlag in diesen Tagen. An den Hochschulen seien kaum Fortschritte im Umgang mit Plagiaten zu verzeichnen, kritisierte Weber-Wulff und löste damit den altbekannten Abwehr-Reflex der Wissenschaft aus. Nein, erklärte Stephan Rixen im Namen des  Ombudsman für die Wissenschaft, es habe ein Umdenken gegeben.  Doktorarbeiten würden heute auch „intensiver als früher auf Plagiate“ geprüft (ZDF, Deutschlandfunk). Wirklich? Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat sich vor mehr als einem Jahr jedenfalls gegen eine gemeinsame Plattform zur Integrität in der Wissenschaft entschieden (ZEIT) – in aller Stille, versteht sich.
  
 
 
US-Forschungsförderer zieht an Ethik-Schraube
In der medizinischen Forschungsförderung ist sie weltweit der Platzhirsch. Rund 32 Milliarden Dollar gibt die US-Gesundheitsbehörde NIH jährlich aus. Jetzt ändert sie ihre Vergaberichtlinien in einer Weise, die die Wissenschaft international aufhorchen lässt: Chancen auf NIH-Gelder haben nur die Wissenschaftler, die einen Grundlagenkurs in „Guter Wissenschaftlicher Praxis“ absolviert haben. Und: Künftig sollen auch Daten erfolgloser Ansätze veröffentlicht werden. Die Regeln treten am heutigen Donnerstag in Kraft (Heise Online, Standard, Stuttgarter Nachrichten).
  
 
 
High noon, 24 Stunden Voting
Wer kennt sie nicht, die Hochschulperlen, die der Stifterverband Monat für Monat aus der Vielzahl an akademischer Initiativen entdeckt und in der Szene zu größerer Bekanntheit verhilft. Jetzt wird die Hochschulperle des Jahres 2017 gewählt. Wer bei dem 24-Stunden-Voting mitmachen will, muss schnell sein. Die Frist für den SMS-Eingang, Nummer 0163 7733626, endet heute um 12 Uhr mittags, high noon. And here we go.
  
 
 
Die kleinen Unis in der Schweiz
Theoretisch ist die Sache klar. Fachhochschulen sollen ein eigenes Profil aufweisen, und eben keine kleinen Unis sein. Nur: In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen den Hochschultypen. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in der Schweiz. Dort haben sich Fachhochschulen den Universitäten mittlerweile so weit angenähert, dass Ingenieure alarmiert Einspruch erheben. Was hinter dem Trend steckt, was er bedeutet und was daraus zu schließen ist, erklärt ZEIT-Redakteur Matthias Daum in einem lesenswerten Hintergrundbericht.
  
 
 
 
   
   
   
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Satya Pal Singh bezweifelt Darwins Evolutionstheorie
Indiens Bildungsminister Satya Pal Singh macht gerade weltweit Schlagzeilen. Vor wenigen Tagen gab er sich als Kreationist zu erkennen und forderte eine Reform der Curricula an Schulen und Hochschulen in Indien. Es habe noch niemand gesehen, “wie sich ein Affe in einen Menschen verwandelt”, zitiert Science den Minister. Singh hält die Evolutionstheorie für “wissenschaftlich falsch“ und ruft Forscher auf, sich zu positionieren (Telegraph, Guardian, Newsweek). Das geschieht bereits seit längerem. Auf einer Webseite sammeln sich Kreationisten aus der Wissenschaft. Deren Gegner formieren sich nach Singhs Vorstoß neu und zeigen ihrerseits Flagge (The Wire, Hindu).
 
Paul Ehrlich-Nachwuchspreis geht nach Potsdam
Tim J. Schulz erhält in diesem Jahr den renommierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis (tagesschau). Der 38-jährige Biochemiker forscht am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Die Auszeichnung ist mit 60.000 Euro verbunden, die forschungsbezogen ausgegeben werden müssen. Den mit 120.000 Euro dotierten Hauptpreis teilen sich die beiden Pioniere der Entzündungstherapie, Anthony Cerami (USA) und David Wallach (Israel), für ihre Arbeiten zu Autoimmunkrankheiten.

Sebastian Bauer führt die AiF
Wechsel an der Spitze der AiF: Sebastian Bauer führt jetzt das Präsidum der Forschungsvereinigung. Der 52-jährige Maschinenbauer stammt aus Bayern und ist Familienunternehmer. Bauer folgt auf Yvonne Karmann-Proppert, deren Amtszeit zum Jahreswechsel endete. 

Reden schreiben für die TU Braunschweig
Spitzenfunktionäre in der Wissenschaft haben längst spezielle Redenschreiber. Was in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen gängig ist, hält nun auch in Rektoraten und Präsidien an Hochschulen Einzug. Die TU Braunschweig sucht aktuell ganz offensiv via Stellenauschreibung einen Redenschreiber. Die 50-Prozent-Stelle ist – Achtung! – unbefristet. Mehr dazu im Stellenmarkt der aktuellen ZEIT.
   
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Katrin Vohland

Leiterin des Forschungsbereichs „Wissenschaftskommunikation und Wissensforschung“ am Museum für Naturkunde, Berlin
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Es gibt Diskussionen, ob Citizen Science, Bürgerwissenschaften, neoliberal sind, weil Bürgerinnen und Bürger in vielen Bereichen – beispielsweise im Naturschutz – wichtige Daten beitragen, aber dafür nicht entlohnt werden. Ich war verblüfft zu lernen, welche Wandlung das Wort Neoliberalismus über die Jahre genommen hat – von unserer Vorstellung einer sozialen Marktwirtschaft am Anfang des letzten Jahrhunderts bis zur aktuell mit dem Begriff assoziierten Inkarnation des entfesselten Kapitalismus. Grundsätzlich teile ich die Analyse nicht, dass Citizen Science neoliberal ist, aber die Debatte sensibilisiert dafür, dass sich nicht für alle gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse der freie Markt eignet: Weder für umweltbezogene Daten noch für Natur und Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Weswegen auch marktbasierte Konzepte wie die Inwertsetzung ökosystemarer Dienstleistungen an Grenzen stoßen. Wir benötigen ein gemeinsames Verständnis des Wertes von Natur, damit wir Biodiversitäts- und Klimaziele erreichen.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Nun ja, Politik ist immer mit der Allokation von Ressourcen verbunden, die eine demokratisch legitimierte Prioritätensetzung ausdrücken sollte. Mein Vorschlag wäre, weniger Ressourcen für Exzellenzwettbewerbe aufzuwenden, dafür mehr für eine exzellente, forschungsbasierte Lehre, durchgeführt von engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf deutlich mehr festen Stellen als heute.

Lektüre muss sein. Welche?
Sarah Blaffer Hry beschreibt in ihren Büchern die Evolution sehr spannend und hebt die Bedeutung von Kooperation hervor; sie liegen unter den deutschen Titeln „Mutter Natur“ und „Mütter und andere“ vor.

Und sonst so?
Ich hoffe, dass die neue Regierung einen Strukturwandel hin zu mehr Nachhaltigkeit auf den Weg bringt. 
   
   
 
 
   
   
   
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Dr. acad. Sommer
 
 
   
Ich bin im letzten Drittel meiner Promotion angelangt und sehe mich eigentlich langfristig nicht auf einer Professur. Aber ich habe viel Freude an der Wissenschaft und würde gerne noch eine Weile im Labor bleiben. Meine Betreuerin hat mir jetzt eine Postdoc-Stelle angeboten. Soll ich sie annehmen?

(Dr. acad. Sommer steigt auf die Kanzel und hebt bedeutungsvoll an zur Predigt.)
„Niemals sollte man eine Postdoc-Phase beginnen, ohne genau zu wissen, was sie zur eigenen Karriere beiträgt!“
(Ende der Predigt.)
Grundsätzlich gilt die Postdoc-Zeit als ernsthafter Versuch einer akademischen Karriere, also als Einstieg in die „Wissenschaft als Leistungssport“. Sie dürfen diese Phase aber auch als gezielte Vorbereitung auf den Sprung in die Industrie, ins Wissenschaftsmanagement, in die Verlagswelt oder andere Branchen nutzen. Wichtig ist nur, dass Sie sich auf die Qualifikationen konzentrieren, die dort gefragt sind.
Wenn Sie im selben Labor bleiben möchten wie bisher, müssen Sie sich daher fragen: Ist es wirklich der beste Ort, um Ihre nächste berufliche Veränderung vorzubereiten? Oder geht es Ihnen eher darum, in einer vertrauten Umgebung noch ein paar Jahre selbstbestimmt weiterzuforschen? Verständlich, wenn Sie das nicht gerne aufgeben möchten – aber machen Sie sich bewusst, dass die Postdoc-Phase irgendwann endet. Und dann stellt sich die Frage, die Sie sich auch jetzt schon beantworten können und sollten: Wo will ich eigentlich hin?
Was bei der Planung immer hilft, ist, rückwärts vorzugehen:
1. In welcher Branche, auf welcher Position möchte ich mich mittelfristig sehen?
2. Welche konkreten Qualifikationen werden dort gesucht? Denken Sie nicht nur an Allgemeinplätze wie „selbständiges Arbeiten“ oder „wissenschaftliches Denken“, sondern auch an Zertifikate, spezielle Technologien und Fortbildungen, etwa zu Industriestandards oder Finanzmanagement.
3. Wie könnte ein Postdoc-Projekt aussehen, das mir diese Qualifikationen liefert? Idealerweise sollte es bereits große Ähnlichkeit mit dem angestrebten Job haben: Wenn Sie in die Pharma-Industrie wechseln möchten, bietet sich z.B. ein Wirkstoff-Screen mit einem Industriepartner an – vielleicht sogar direkt mit Ihrem Wunsch-Arbeitgeber.
4. Wer bietet mir am ehesten die Möglichkeit zu einem solchen Projekt?
Viele Nachwuchswissenschaftler/innen drücken sich übrigens bereits um Frage 1 herum, aus einem nachvollziehbaren Grund: Sie ist wirklich schwierig zu beantworten. Manchmal braucht die Antwort Jahre. Aber gerade deshalb sollten Sie mit ihr beginnen, es lohnt sich wirklich.

Dr. Uli Rockenbauch ist Persönlicher Referent der Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft und berät die Scientific Community im ZEIT CHANCEN Brief als "Dr. acad. Sommer".
   
   
Auch eine Frage an Dr. acad. Sommer? Schreiben Sie an chancen-brief@zeit.de, twittern Sie unter #ChancenBrief – oder hinterlassen Sie uns in diesem Kontaktfomular anonym Ihre Frage!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
Was kommt morgen? Tausende Professoren und Wissenschaftler wurden nach dem Putschversuch in der Türkei entlassen. An den Universitäten herrschen Wut und Angst »Sie beschimpften mich als Verräter« Sind deutsche Wissenschaftler unpolitischer als türkische? Fragen an den Politologen Çetin Gürer, der als Erdoğan-Kritiker sein Institut in Istanbul verlassen musste

Ziemlich weit zur Schule Jugend, ganz global: Die UN wollen herausfinden, wie es ihr geht Ist hier jemand vom Fach? Jeder fünfte Arbeitnehmer ist für seinen Job nicht ausreichend qualifiziert, sagt eine neue Studie Armes Erzbistum Warum in Hamburg acht katholische Schulen schließen

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Blickfang auf Widerruf: Das Gedicht des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer prangte die längste Zeit über an der Fassade der Berliner Alice-Salomon Hochschule. Es wird zur Erschütterung des Deutschen Kulturrats nun tatsächlich übermalt (Berliner Zeitung, Spiegel Online). Der Senat der Hochschule beschloss vergangenen Dienstag mehrheitlich, alle fünf Jahre den jeweils neuen Poetik-Preisträger mit Verszeilen an der Wand zu Wort kommen zu lassen. Der Streit um das Gomringer-Gedicht aus dem Jahr 1951 begann im Jahr 2016. Das Gedicht sei sexistisch, kritisierte der Asta und löste damit eine Debatte aus, die weit über die Hochschule hinaus reichte. Zu Wort meldete sich auch der Schriftstellerverband PEN. Er erinnerte nachdrücklich an die Freiheit von Kunst und Poesie. Vergebens. 
Foto: David von Becker/Alice Salomon Hochschule Berlin
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Eine entspannte Restwoche!

Ihr CHANCEN-Team


PS: Gefällt Ihnen der CHANCEN Brief, dann leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an –  unter www.zeit.de/chancen-brief. Dann schicken wir Ihnen den Newsletter, solange Sie wollen, immer montags und donnerstags zu.
 
 
 
 
 
 
 
   
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