Fünf vor 8:00: Ein neues Wettrüsten beginnt - Die Morgenkolumne heute von Matthias Nass

 
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FÜNF VOR 8:00
17.01.2018
 
 
 
   
 
Ein neues Wettrüsten beginnt
 
Der Papst fürchtet einen Atomkrieg. Ein vorab veröffentlichtes Pentagon-Papier zeigt: Seine Sorge ist begründet. Trumps Militärstrategen planen eine nukleare Zukunft.
VON MATTHIAS NASS
 
   
 
 
   
 
   
Der falsche Raketenalarm auf Hawaii hat es nachdrücklich gezeigt: Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Kriegs können sich die Menschen wieder vorstellen, Opfer eines nuklearen Angriffs zu werden.
 
Vergangenen Samstag suchten die Einwohner Honolulus für sich selbst und ihre Familien eine Zuflucht, die es nicht gab. Viele dachten, sie hätten noch 15 Minuten zu leben, dann würde eine Atomrakete aus Nordkorea einschlagen. Schließlich wurden sie informiert, dass es sich um einen Fehlalarm handelte.
 
Was für eine grauenvolle Erfahrung. Und was für eine politische Lehrstunde. Die Furcht ist wieder da. Und dafür gibt es gute – vielmehr schlechte – Gründe. Selbst der Papst sorgt sich wegen eines möglichen Einsatzes von Nuklearwaffen. "Ich habe Angst vor einem Atomkrieg", sagte Franziskus am Montag auf dem Flug nach Chile.
 
Es ist ein bestürzender Zufall, dass genau einen Tag vor dem Fehlalarm auf Hawaii der Entwurf der Nuclear Posture Review des Pentagons veröffentlicht worden war. Es handelt sich dabei um eine regelmäßige Überprüfung der amerikanischen Nuklearpolitik durch die US-Regierung. Die Huffington Post hatte eine Kopie erhalten und das Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
 
Im Vorwort blickt der Bericht auf die Abrüstungserfolge seit dem Kalten Krieg. Tatsächlich sind seit damals mehr als 85 Prozent der amerikanischen Atomwaffen vernichtet worden – ein großer Erfolg. "Es war eine vielversprechende Zeit", heißt es. Aber die Hoffnungen in eine weitergehende Abrüstung, vielleicht sogar auf eine vollständige Abschaffung der Atomwaffen, hätten sich nicht erfüllt. "Die Welt ist gefährlicher geworden, nicht weniger gefährlich", konstatiert das Pentagon.
 
Wie anders war der Grundton, den die letzte Nuclear Posture Review anschlug, 2010 von der Regierung Obama vorgelegt. Damals war es noch ausdrücklich ein Ziel, die Rolle der Atomwaffen zu reduzieren. Nun wird ihnen wieder eine wachsende Bedeutung zugemessen. "Man verabschiedet sich vom Ziel einer atomwaffenfreien Welt", sagt Oliver Meier, Abrüstungsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
 
Ja, die Welt ist wieder gefährlicher geworden. Russland, der Nato konventionell unterlegen, will im Konfliktfall einen frühen Einsatz von Nuklearwaffen nicht ausschließen. "Eskalieren, um zu deeskalieren", lautet die Kurzformel dieser paradoxen russischen Nuklearstrategie.
 
US-Militär plant neue Atomwaffen mit geringer Sprengkraft
 
Auch China baut die Atomstreitkräfte aus. Und seit zwei Jahren provoziert Nordkorea mit seinen Nuklear- und Raketentests. Nach sechs Atomversuchen und dem Abschuss von drei Interkontinentalraketen hat Machthaber Kim Jong Un sein Land zur Atommacht erklärt und für dieses Jahr den Einstieg in die "Massenproduktion" von ballistischen Raketen und Nuklearsprengköpfen angekündigt.
 
Grund genug für die Regierung Trumps, ebenfalls aufzurüsten. Für 1,2 Billionen Dollar will sie in den nächsten 30 Jahren die amerikanischen Atomwaffen modernisieren. Damit setzt sie fort, was unter Obama begann: die schrittweise Erneuerung der gesamten sogenannten Triade von Atom-U-Booten, Interkontinentalraketen und strategischen Bombern.
 
Aber unter Trump geht das Militär einen entscheidenden Schritt weiter. Es plant den Bau neuer Atomwaffen mit geringer Sprengkraft. Die verquere Logik: Die Vernichtungskraft der vorhandenen Bomben sei so verheerend, dass niemand an einen Einsatz glaube. Damit verlören sie ihre abschreckende Wirkung.
 
Einsatz von Atomwaffen bei "extremen Umständen"
 
Bisher galten Atomwaffen als politische Waffen. Ihr Zweck war es allein, einen Krieg zu verhindern, nicht einen Krieg zu führen. Nun aber argumentiert das Pentagon, Russland und andere Nuklearstaaten könnten die gesamte Infrastruktur der Vereinigten Staaten oder ihrer europäischen Verbündeten lahmlegen, etwa durch eine Cyberattacke. Unter solch "extremen Umständen", also auch bei einem "nicht nuklearen Angriff", ist für die US-Strategen der Einsatz von Atomwaffen denkbar. Damit rühren sie an ein Tabu und tragen ihren Teil dazu bei, dass die Welt heute ein "gefährlicherer Ort" geworden ist, wie sie schreiben.
 
Noch ist die jetzt bekannt gewordene Version der Nuclear Posture Review nur ein Entwurf. Ursprünglich sollte das Dokument schon im Oktober vorliegen, dann wurde seine Veröffentlichung auf das Jahresende verschoben. Nun soll der Bericht im Februar offiziell vorgelegt werden, nach Donald Trumps Rede zur Lage der Nation am 30. Januar. Manches wird bis zur Veröffentlichung noch neu formuliert werden. An der Grundausrichtung wird sich wohl nichts mehr ändern. 
 
Im letzten Wahlkampf dürften viele Generale Trumps Frage belächelt haben, warum Amerika so viele teure Atombomben habe, wenn es diese gar nicht einsetzen wolle. Dass Nuklearwaffen politische Waffen sind, haben diese Generale auf der Militärakademie gelernt. Und doch erliegen viele von ihnen nun der Versuchung, die Waffen kleiner, flexibler und treffsicherer zu machen. Damit aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Waffen eines Tages unter "extremen Umständen" tatsächlich eingesetzt werden.

Der globale Trend ist eindeutig: Ein neues atomares Wettrüsten beginnt. Nicht nur dem Papst macht das Angst.
 
   
 
   
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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.