Vor sieben Jahren begannen die arabischen Aufstände. Heute herrscht Krieg in mindestens vier arabischen Ländern. Viele machen die Aufständischen von damals für die Katastrophe von heute verantwortlich: die Liberalen und die Muslimbrüder in Kairo, die Demonstranten von Tunis, die Empörten von Daraa, die Frauen von Sanaa. Oft reden diese Beobachter vom "Arabischen Winter", der auf den Frühling folgen musste. Denkt man das weiter, sehen sie in den Oppositionsbewegungen die Schuldigen, die eine angeblich stabile arabische Welt ins Unglück gestürzt hätten.
Ich halte das für ganz groben Unfug. Schon die Metapher "Arabischer Winter" ist grundschief, weil auf den Winter ja im echten Leben wieder der Frühling folgt, aber wo, bitteschön, wäre der jetzt in Sicht? Lassen wir den tumben Jahreszeitenvergleich.
Für mich war der Tag auf dem Tahrirplatz, als Hosni Mubarak stürzte, einer der hellsten Tage der jüngeren Weltgeschichte, und ich bin glücklich, dass ich damals als Reporter meiner Zeitung dabei sein durfte. Nicht, weil Mubarak ein so schlimmer Herrscher gewesen wäre. Sondern weil die Menschen einträchtig seinen Rücktritt forderten, weil sie das in friedlichen Festen auf den Straßen ausdrückten und die Armee vorübergehend sogar ein bisschen Verständnis zeigte. Und weil Hosni Mubarak eben kein so blutrünstiger Mann wie Muammar Gadhafi oder Baschar al-Assad war, der lieber Hunderttausende Menschen dahinschlachtete, als selbst zu gehen.
Nicht die Beherrschten – die Herrscher begannen die Kriege Was sich Anfang 2011 für die Ägypter öffnete, war die Chance auf ein freies, besseres Leben. Die Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. Im Putsch von 2013 hat wieder einmal das ägyptische Militär dem Volk den Weg vorgegeben:
in den Autoritarismus. Doch im Vergleich mit Syrien oder Libyen hat Ägypten noch Glück.
Das Zeitalter der arabischen Kriege haben nicht die Beherrschten eröffnet, sondern die Herrscher. Sie meinten, es sei besser, wenn Menschen sterben, als dass sie selbst in Pension gehen. Muammar Gadhafi mobilisierte seine Milizen gegen die Demonstranten, er öffnete Gefängnisse und Zeughäuser, er verteilte Waffen an jeden, der ihm auch nur für ein paar Stunden Loyalität versprach. Das Ergebnis ist ein mit Waffen übersätes, zerklüftetes Land.
Ali Abdallah Salih, der jemenitische Präsident, sträubte sich lange gegen seinen unausweichlichen Rücktritt, er zauderte und wand sich, er ging ins Ausland und kehrte zurück. Bis er schließlich die schiitischen Huthis und Iran gegen seinen gewählten Nachfolger zur Hilfe rief und sein Land in Bürgerkrieg und Hungersnot stürzte.
Baschar al-Assad hätte 2011 die Demonstranten mit Reformen und Geld besänftigen können, aber er wählte den brutalen Weg. Er ließ Kinder foltern, in die Menge schießen, Demonstranten massenhaft verhaften.
Statt Vermittlern schickte er Milizen und Giftgas. Auch er öffnete die Gefängnisse, entließ radikale Dschihadisten und ermöglichte den Aufstieg des IS-Terrornetzwerks in Syrien, um die Opposition zu diskreditieren. Das Ergebnis: Hunderttausende Tote, Millionen Flüchtlinge, ein zerstörtes Land.
Gadhafi, Salih und Assad sind Massenmörder. Ihre Verbrechen haben Dimensionen, die kaum gesühnt werden können. Deshalb greifen ihre Gegner zur Selbstjustiz. Im ersten Moment ihrer Schwäche schießt den Autokraten jemand in den Kopf. Gadhafi und Salih ist das schon passiert; Baschar al-Assad trägt vorsorglich einen russischen Stahlhelm.
Die Autokratien ähneln einander auf verblüffende Weise Die Epoche der Kriege in der arabischen Welt wird von Verbrechern an der Staatsspitze geprägt. Alle vier Kriegsländer, den Irak muss man dazu zählen, sind heute Schauplatz internationaler Auseinandersetzungen. Iran kämpft gegen Saudi-Arabien, Russland gegen die USA, die Türkei gegen die Kurden. Doch das Muster des Anfangs ist immer gleich: ein Herrscher, der auf sein Volk schießt; Regierungen, die die Religion mobilisieren und den Hass entfesseln.
Die Vorbereitung ihrer Verbrechen beginnt mit der Schaffung von Strukturen, die auf die Unverzichtbarkeit und Unabsetzbarkeit des Herrschers abzielen. Die Autokratien ähneln einander auf verblüffende Weise: in der Säuberung des Staates bis auf die unterste Ebene, der Gleichschaltung der Justiz und der Medien, der Verfolgung von Andersdenkenden und Minderheiten, der Abschaffung des öffentlichen Raums. Das sind die Ursachen der arabischen Misere – und nicht demonstrierende Liberale oder Muslimbrüder.
Proteste in Tunesien: ein gutes Zeichen Die Aufstände vom Januar 2011 und danach waren der Versuch arabischer Bürger, sich gegen diese Misere aufzubäumen. Sie boten für einige Zeit die Chance, die Schwerkraft von Diktatur und Gewalt in der arabischen Welt aufzuheben. In den meisten Ländern wurde diese Chance vertan.
In diesem Januar gingen die Menschen in Tunesien, dem ersten Land der Aufstände, erneut auf die Straße.
Sie demonstrierten gegen zu hohe Preise, gegen Ungleichheit, Korruption und ineffiziente Verwaltung, ähnlich wie vor sieben Jahren auf der Straße. Heute sind die Proteste ein gutes Zeichen: In Tunesien,
wo Wahlen und Meinungsfreiheit noch etwas gelten, können die Leute demonstrieren. In den anderen Ländern der arabischen Aufstände sind die Probleme viel größer, aber ein ähnlicher Protest wäre dort unmöglich.