Publizieren im Akkord | Agentur für Sprunginnovationen | 3 ½ Fragen an Jeffrey M. Peck | Gastkommentar: Uwe Rettig über die Freiheit der Künste, der Wissenschaft und Hochschulautonomie

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
nehmen Sie das auch wahr? Seitdem die Alice-Salomon-Hochschule beschlossen hat, ein angeblich sexistisches Gedicht von Eugen Gomringer an ihrer Hauswand zu übermalen, gewinnt die öffentliche Auseinandersetzung noch einmal an Schärfe. Aus dem Berliner Fassadenstreit ist eine hitzige Grundsatzdebatte über die Freiheit der Künste, der Wissenschaft, Hochschulautonomie und Sexismus in der Gesellschaft geworden. ASH-Rektor Uwe Rettig ruft im heutigen Gastkommentar  zur Mäßigung. Den Fragebogen in dieser Ausgabe beantwortete Jeffrey M. Peck. Der US-Amerikaner berät Hochschulen und bestärkt Deutschlands Hochschulstrategen darin, Veränderungsimpulse aus anderen Staaten bitte nicht unkritisch zu übernehmen.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Publizieren im Akkord
Im Wettlauf um den ersten Platz unter den Wissenschaftsnationen hat China einen Punktsieg errungen. In keinem Staat der Erde produzieren Forscher mehr Publikationen, berichtet Nature unter Berufung auf eine neue NSF-Studie. Mit mehr als 426.000 wissenschaftlichen Publikationen stieß China die USA (409.000 Publikationen) vom Thron. Pekings Ehrgeiz (ZEIT) zeigt sich nicht zuletzt in steigenden Investitionen in die Forschung. 2015 erreichte China die 400-Milliarden-Dollar-Marke, blieb bei den Forschungsausgaben aber dennoch weit hinter den USA (500 Milliarden Dollar) zurück. In qualitativer Hinsicht, bei den meistzitierten Artikeln also, liegen die USA nach Schweden und der Schweiz an dritter Stelle und damit vor China. Das nationale Powerhouse lässt sich in China klar ausmachen, die Tsingua-Universität. Sie gehört zum sogenannten „Global University Leaders Forum“, einem Club von 27 Universitäten aus aller Welt. Die GULF-Runde beeindruckte vergangene Woche in Davos mit einer ebenfalls quanitativ angelegten Statistik: Danach produzieren sie zusammen mehr als 7 Prozent der Forschungsergebnisse weltweit. Wären die 27 Unis eine Nation, wären sie der drittgrößte Wissenschaftsproduzent der Welt (THE, FAZ).
  
 
 
Stratmann fordert Agentur für „Sprunginnovationen“
Neues Futter für die GroKo-Verhandlungsführer in Berlin. MPG-Präsident Martin Stratmann fordert  in einem Interview nicht nur ein Einwanderungsgesetz, mehr Geld für die Wissenschaft und attraktive Stipendienprogramme. Er möchte in Deutschland auch eine „Agentur für Sprunginnovationen“ errichtet sehen. Sie soll „unerwartete wissenschaftliche Erkenntnisse identifizieren und im Sinne der Nutzung auch fördern“. Die Agentur müsse „ähnlich wie die Wissenschaft funktionieren: Das Unbekannte wollen, in das Unbekannte investieren, und wenn es nicht funktioniert, möglichst schnell aufhören, damit man nicht Geld investiert in eine Richtung, die am Ende doch nicht trägt.“ Das Interview findet sich auf den Seiten des Deutschlandfunk als Podcast und zum Nachlesen hier.
  
 
 
Zulagenaffäre weitet sich aus
Die Affäre um falsche und ungerechtfertigte Zulagen an Professoren zieht in Baden-Württemberg immer weitere Kreise. Die SPD-Landtagsfraktion möchte jetzt einen Sonderermittler an die Ludwigsburger Hochschule für Verwaltung und Finanzen schicken (Heilbronner Stimme), um die Vorwürfe zu klären, die Zeugen im Untersuchungsausschuss des Landtags erheben. Das zuständige Wissenschaftsministerium geht seit mehr als einem Jahr der Frage nach, ob, wo und in welchem Umfang Professoren im Südwesten rechtswidrig Leistungszuschläge erhalten. Die Bilanz legte Ressortchefin Theresia Bauer am Freitag vor. Danach sind an vier von 44 staatlichen Hochschulen Professoren rechtswidrig bezahlt worden. Besonders drastische Fehler passierten offensichtlich an der Hochschule Konstanz. Dort wurden allein im Jahr 2015 an 70 Professoren rechtswidrig Zulagen gezahlt (Südwestpresse, Welt, Südkurier). Insgesamt erhalten in Baden-Württemberg derzeit 4.600 Professoren die leistungsorientierte W-Besoldung. „Angesichts der Fülle der Entscheidungen, die hier permanent getroffen werden“, erklärte Bauer am Freitag, sei „ein Null-Fehler-Prinzip unrealistisch“.
  
 
 
Wissenschaftsrat: Beschlüsse mit Fingerzeig
Deutschlands Wirtschaft brummt. Damit das so bleibt, müssen auch die Hochschulen stärker ran. Mit Angeboten speziell für Berufstätige sollen sie Fachkräfte weiter qualifizieren. Wie das gehen könnte, sollte und wollte der Wissenschaftsrat vergangene Woche eigentlich abschließend beantworten. Doch daraus wurde nichts. Die Empfehlung ist auf April vertagt. Einig war sich Deutschlands wichtigstes Beratergremium in der Hochschul- und Wissenschaftspolitik dafür in der Bewertung regionaler Kooperationen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Zusammenarbeit müssten die Partner vor Ort „konsequent“ weiterentwickeln, heißt es in dem Papier (PDF), das Martina Brockmeier als Vorsitzende des Wissenschaftsrates heute Vormittag der Öffentlichkeit in Berlin präsentiert. Die vordergründig harmlose Empfehlung (Marke: Weiter so!) hat es in sich. Sie lässt überraschend unverhohlen Skepsis und Kritik an den bestehenden Wettbewerbs- und Anreizstrukturen in der Wissenschaft erkennen. „Konkurrenzverhältnisse zwischen den Einrichtungen sowie an anderen Kriterien ausgerichtete Anreizsysteme stehen dem regionalen Engagement teilweise entgegen“, so der Befund.
  
 
 
Petition zum Bildungsrat
Braucht Deutschland einen Nationalen Bildungsrat oder nicht? Während sich die Politik da noch reichlich uneins ist (Deutschlandfunk, ZEIT) haben sich die ersten Lehrer, Wissenschaftler und Bildungsforscher festgelegt. In einer Petition fordern sie Bund und Länder zum Handeln auf. Bei der GroKo-Sondierung hatten sich die potenziellen Koalitionäre auf Bundesebene für einen Bildungsrat ausgesprochen. Ganz anders die Haltung der Länder. Ein klares Njet zum Bildungsrat war vor weniger als zwei Wochen bei der Feier zum 70-jährigen Bestehen der KMK zu hören – argumentativ untermauert mit einem Festvortrag (PDF) des ehemaligen Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier.
  
   
   
   
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Die Zahl
 
 
   
6,9

Millionen Studierende werden im Jahr 2030 an Hochschulen im Ausland studieren. Im Jahr 2015 waren 2,3 Millionen Studierende international mobil. In Deutschland sind aktuell knapp 350.000 ausländische Studierende eingeschrieben.
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Dr. Jeffrey M. Peck

Director Europe bei AKA Strategy; ehemaliger Dean of Arts and Sciences und Vice Provost for Global Strategies am Baruch College, New York
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Nicht mehr „jüngst“, für mich aber immer wieder aktuell: Der gegenwärtige Einfluss der amerikanischen auf die deutschen Hochschulen – zwei unterschiedliche Systeme, trotz Ähnlichkeiten. Aus meiner Sicht sind bei einem transatlantischen „Transfer” nicht nur strukturelle, sondern auch persönliche und professionelle Ein- und Vorstellungen wesentliche Faktoren und unbedingt zu beachten. Dies betrifft die Ausbildung an den Hochschulen selbst, die jeweiligen Rollen der Studierenden, Lehrenden und der Verwaltung sowie das Verhältnis dieser Gruppen miteinander. Und dies – nicht zu vergessen – im aktuellen gesamtgesellschaftlichen und globalen Kontext.

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Der Austausch zwischen Lernenden und Lehrenden an deutschen Hochschulen kommt zu kurz. Ohne Zweifel ist die Stellenplanung und die im Vergleich mit den USA unzureichende Professoren/Studierenden-Betreuungsrelation ein wesentlicher Grund. Aber nicht nur! Die Lehre verdient auch im „Bewusstsein“ der Hochschule einen wesentlichen höheren Rang. Studierende brauchen mehr persönliche Verbindung, einfach mehr Zeit und Austausch mit ihren Professoren. Auch die Lehrenden sollten sich immer wieder daran erinnern: Was war für mich als Student wichtig? Was hätte ich mir von meinen Professoren gewünscht? Werde ich noch meinen ursprünglichen Vorstellungen als Lehrender gerecht?

Lektüre muss sein. Welche?
Ein Sammelband von Essays, „The River of Consciousness“, des verstorbenen Oliver Sachs. Insbesondere für uns Wissenschaftler kann es erhellend sein, unser Verständnis der Beziehung von „Geist und Körper“ zu erweitern.

Und sonst so?
Ich wünsche mir, dass das deutsche Hochschulsystem seine Stärken bewahrt und gleichzeitig flexibel, offen, aber auch kritisch bleibt in der Übernahme neuer Impulse aus anderen Systemen.
   
   
 
 
   
 
 
   
   
   
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Gastkommentar
 
 
   
   
von Uwe Bettig
   
   
   
Wider die Verrohung der Sprache
„Ein erschreckender Akt der Kulturbarbarei“, „Diktatur des Zeigbaren“ und „Zeichen der Verblödung der Studenten“, so lassen sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Michael Braun, ehemaliger Senator für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin, in auflagenstarken Medien zitieren. Warum eine solche Polemik?
Am Ende eines langen demokratischen Prozesses entschied der Akademische Senat – das höchste, demokratisch gewählte Gremium der Hochschule –, die Südfassade der Alice Salomon Hochschule Berlin neu zu gestalten. Die Entscheidung der Hochschule, auf das Werk Eugen Gomringers ein Werk der Lyrikerin Barbara Köhler folgen zu lassen, darf kritisiert werden. Ich bitte aber mit Nachdruck um eine sachliche Debatte. Es wäre zudem wünschenswert, der Hochschule das Recht zuzugestehen, ihre Fassade entsprechend ihrer Ausrichtung und ihres Profils zu gestalten. An der ASH Berlin bilden wir Sozialarbeiter_innen, Pädagog_innen und Pflegemanager_innen für ein Berufsleben aus, das nicht von Stereotypen geprägt sein soll. Das darf und soll sich auch in der Außendarstellung der Hochschule widerspiegeln.
In diesem Zusammenhang leichtfertig von „Kulturbarbarei“ oder „Zensur“ zu sprechen, ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall. Das Gedicht „avenidas“ bleibt als Tafel an der Fassade erhalten – sogar die öffentliche und mediale Debatte darum werden auf der Fassade dokumentiert. Eben diese Debatte demonstriert eindrücklich, wie gewaltvoll Sprache sein kann.
Gerade Personen in verantwortlicher Position sollten sensibel mit Sprache umgehen. Eine Verrohung ihrer Sprache spiegelt sich schnell in der Debattenkultur wider, wie die sozialen Medien und die Kommentarspalten der Medien zeigen. Im Vorfeld der Fassaden-Entscheidung gab es unter anderem bei der Podiumsdiskussion „Kunst und die Macht der Worte“ die Chance, sich einzubringen. Frau Grütters hat diese Chance nicht genutzt. Ihr Wahlkreis ist Marzahn-Hellersdorf – Sitz der Alice Salomon Hochschule Berlin.

Prof. Dr. Uwe Bettig ist Rektor der Alice Salomon Hochschule Berlin
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
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Von der Schweiz lernen, heißt richtig feiern lernen: An der Hochschule für Technik in Windisch bekommen Studierende in diesem Semester zwei ECTS-Punkte, wenn sie sich an der Organisation des FH-Festes beteiligen. Cool!
Quelle und Foto: 20min.ch / MSL Eventtechnik GmbH
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
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