Männer, Fell und Flausch Auf Instagram adaptieren Bartträger die Posen selfiesüchtiger Schönheitsköniginnen. Tiere sind auch oft im Bild. Frauen nie. Symptom einer postpatriarchalen Gesellschaft? VON MARLEN HOBRACK |
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| | Er will offenbar nur streicheln – oder gestreichelt werden: der slowakische Instagrammer Tibor Pusch © tiborpusch.official/Instagram |
Ein Mann küsst zärtlich die Stirn eines Pferdes, dessen Fellfarbe seiner Barthaarfarbe erstaunlich ähnelt: Es ist ein kräftiges Rostrot, das vor dem blauen Himmel leuchtet. Sattgrün und feucht glänzen die Wiesen im Hintergrund. Der Schweif des Pferdes weht, wie das hüftlange Haupthaar des Mannes, sanft im Wind.
Was wie eine alternative Szene aus dem Pferdeflüsterer oder eine Ausgabe der Wendy für große Mädchen wirken mag, ist tatsächlich ein Foto auf einem Instagram-Account. Der so zärtliche Mann heißt Tibor Pusch und bezeichnet sich selbst als "slowakischer Wikinger" und Naturliebhaber. Ach ja, außerdem töpfert er. Er könnte aber ebenso gut in einer dieser skandinavischen Viking-Metal-Bands einen axtförmigen Bass schwingen oder der Harfe ein paar warme Töne entlocken. Etwas deplatziert in dieser sanften Ich-Erzählung wirkt sein speerförmiges Piercing, das ihm unterhalb der Lippe aus dem Gesicht ragt, locker vier Zentimeter ist es lang. Der Stachel im Gesicht, soviel lehrt uns wohl die Psychoanalyse, ist phallisches Symbol und Abwehrmaßnahme zugleich. Keine Frau kann diesen Mann bestürmen oder küssen, obwohl sein üppiges Gesichts- und Kopfhaar sie dazu verführen mag, ihre Finger in seinem Haar zu vergraben.
Die Bilder auf seinem Account senden also eine seltsam hybride Botschaft: Dieser Wikingertyp wirkt, als wolle er jeden Moment auf ein Langschiff springen und – sagen wir – den amerikanischen Kontinent erobern. Dort angekommen, würde er allerdings nur die lokalen Rinder streicheln. Oder eben Welpen. Das ist auf Fotos nicht nur ungeheuer ästhetisch und instagramkompatibel. Es generiert auch Zehntausende Likes und Emojis, denen Herzen aus den Augen springen.
Die Mischung aus Härte und Zartheit, vermeintlicher Natürlichkeit und Naturverbundenheit ist nicht nur das haarige Gegenbild zur eher homoerotischen Ikonografie des Tankwart-Erotikkalenders, dessen Hauptzielgruppe vermutlich nicht Frauen sind. Diese Instagram-Bilder richten sich, so wirken sie jedenfalls, an wahlweise pubertierende Mädchen oder an Hausfrauen um die Fünfzig, die sich beim Blick auf ihren vielleicht bierbäuchigen Partner fragen, ob es nicht doch noch mehr geben könnte da draußen. Vielleicht so einen Wikingertypen, der einen im häuslichen Hof überfällt und dann – aber ach, ich schweife ab!
Sie verstellen sich etwas zu sehr
So ganz taugen die Bart und Welpen tragenden Männer von Instagram ohnehin nicht zum Sexobjekt. Ihre Duckfaces und stilisierten Posen beim Spiegelselfie unterlaufen den urigen und kernigen Eindruck. Im Adaptieren der weiblichen Klischeeposen – den Oberkörper zur Taillenverschlankung leicht eingedreht, unterwürfig in die erhöhte Kamera blickend – geht jede sexuelle Wirkung des behaarten Astralkörpers verloren.
Nun könnte man einwenden: Auch ein sanfter Mann kann sexy sein. Und was ist so schlimm am Gender-Bending? Nur betreiben diese Männer gar kein echtes Gender-Bending, oder anders: Sie verstellen sich, geschlechterstereotypisch betrachtet, etwas zu sehr. Es ist ein wenig wie bei einer Dragqueen: Deren Stilvorbild sind auch nicht brave mütterliche Hausfrauen, sondern die klassischen Filmdiven der Vierzigerjahre. Die waren allesamt androgyne Ikonen und bisweilen echte Walküren – man denke an die Dietrich oder Zarah Leander.
Das heißt, in diesen Frauen schimmerte das Element von Männlichkeit auf, das von Dragqueens geschickt persifliert wird. Alles, was dann als "genuin weiblich" hinzukommt – vor allem Make-up und Frisur – wird so grotesk überzeichnet, dass es sich selbst schon wieder als Maske kenntlich macht. Mit anderen Worten: Der Drag ist ein Zeichenspiel, bei dem es nicht darum geht, dass ein Mann zur Frau wird, sondern dass in der Maske eines Mannes die Frau als Zeichen aufscheint und zugleich verzerrt wird.
Und so ist es nun auch bei diesen Instagram-Männern: In ihren entengesichtigen Selfies scheint das Zerrbild der narzisstischen Frau auf, die sich im x-ten Selfie in der immergleichen Pose ihrer Schönheit und der Treue ihrer Follower versichert. Und obgleich der Narzissmus traditionell Frauen zugeschrieben wird, ist er eben nicht zu verwechseln mit Weiblichkeit oder dem Habitus der Frau.
Zudem zeigen die Bilder vieler Instagram-Männer etwas, das der Soziologe Erving Goffman mit Blick auf Frauen in Werbebildern als "feminine" Berührung bezeichnete. Es ist eine Form von ritualisierter Berührung, ein zartes Handauflegen anstelle eines festen Griffs. Da legen sich manikürte Hände auf treue tierische Begleiter – beliebt sind Huskies, weil sie, wie der berührende Mann, wild und sanft zugleich sind. Nur eines fehlt in den Bildern vollständig: die Frau.
Die Faceworker
Ein Mann, der so tierlieb und wild ist, muss sich nicht mit heißen Girls umgeben, um seine Männlichkeit zu unterstreichen. Er will sie anscheinend aber auch nicht emotional oder gar sexuell beglücken. Die Frau hat er einfach durchgestrichen. Als Objekt des Begehrens fällt sie aus, stattdessen wird das eigene Begehren im Selfie gespiegelt und rekuriert damit gleich doppelt auf sich selbst: Einmal im Blick, den der Mann im Spiegel auf sich richtet. Und ein zweites Mal durch die Reaktion der Betrachter auf das gepostete Selfie. Das soll dann auch gar nicht mehr das Begehren der Frau erzeugen – es hätte im narzisstischen Mann ohnehin kein Zielobjekt. Vielmehr erzeugt diese doppelte Spiegelung einen geschlossenen Resonanzraum, in dem es dem verunsicherten Mann um Selbstvergewisserung geht. Er ist ein Schutzraum, der die Frau – die eigentliche Quelle der Verunsicherung mit ihren Forderungen an den neuen modernen, womöglich feministischen Mann – kurzerhand ausschließt.
Gar nicht zufällig schaukeln diese Männer permanent menschliche oder tierische Babys. Als könne der Instagram-Resonanzraum zuletzt gar den Mann selbst befruchten, kommt er kurzerhand wie die Jungfrau zum Kinde. Potenz hoch zwei mit Phallus und Baby ist das. Beinahe schließt sich hier der Kreis zum Transmann, der als Frau geboren wurde, als solche aber nicht leben möchte, bisweilen doch Kinder bekommt, dann aber nicht als deren Mutter bezeichnet werden will.
Die Armee der bärtigen und hübsch inszenierten Instagram-Männer betreibt eine seltsame Form des Faceworks, das die Verunsicherung des Mannes auf ganz deutliche Art zeigt. Facework beschreibt, wiederum im Sinne Goffmans, eine Form der Selbstdarstellung. Man kann sein Gesicht wahren, oder es verlieren. Es gibt positives Facework, das also das Selbstbild, das wir von uns geschaffen haben, unterstreicht und stärkt. Und es gibt negatives Facework, das vor allem dazu dient, dem anderen nicht zu nahe zu treten, sodass er nicht sein Gesicht verliert.
Möglichst lang, dicht und dick
Beim Facework des modernen und bisweilen verunsicherten Mannes spielt nun der Bart eine ganz wichtige Rolle. Zunächst ist er nur äußeres Zeichen, während Facework eher Handlungen und einen symbolischen Tauschhandel meint. Aber natürlich hat der Bart auch Zeichencharakter, ist er doch die vermeintlich männlichste Behaarungsform. Wie ja überhaupt wildwachsendes Haar mit dem Männerkörper assoziiert wird, und die behaarte Frau nach wie vor ein Schreckbild ist. Der Bart muss daher möglichst lang, dicht und dick sein. Er ist, auch das sieht man auf Instagram, gerade auch älteren Männern, deren Haupthaar schütter geworden oder gänzlich verloren gegangen ist, zum gehegten und gepflegten Ersatzobjekt geworden. Wer einmal einen Mann dabei beobachtet hat, wie er zärtlich und selbstvergessen den eigenen Kinnbewuchs krault, wird sich an eigene Kindertage und liebevolle Fürsorge für Teddybären erinnert fühlen.
Ich habe mir sagen lassen, dass Wildschweinbürste und Bartwachs eine Traumkombination sind, die struppiges Borstenhaar in wollig-weiches Gesichtsvlies zu verwandeln vermögen, das selbst Chrysomeles neidisch machen würde. Benötigt der bärtige Mann dagegen Pflegebeistand, wendet er sich an den Barbier seines Vertrauens. So ein moderner Barbierladen ist ein regelrechter Schutzraum für den allseits überforderten Mann. Hier kann er seine Sorgen und Nöte dem nach außen eisern schweigenden Scherenschwinger vortragen. So manche Klage über Geheimratsecken verhallt womöglich ungehört im Gebrumm von Haartrimmer und dem Getöse des Rasierers. Und trotzdem fühlt der Mann sich hier verstanden. Zwar stimmt es, dass in vielen Barbershops nur Männer Zutritt haben, was sie dem Anschein nach in die Nähe des klassischen Gentleman's Club rückt. Allerdings ist das natürlich keineswegs Ausweis für patriarchale Sehnsüchte, sondern vielmehr Indiz der Schutzbedürftigkeit und Verunsicherung.
Übrigens ist die tägliche, eigenhändige Glattrasur für den Mann ein kulturhistorisch betrachtet verhältnismäßig junges Phänomen. Seinen Ursprung hat es in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges. Weil nur auf glattrasierten Wangen die Gasmasken luftdicht schlossen, gab man damals Rasiersets an die Soldaten aus. Männer gewöhnten sich an die tägliche eigenhändige Nassrasur. Und blieben nach dem Krieg bei der – liebgewonnenen? – Routine. Vielleicht wollten sie auch nur allzeit bereit sein fürs nächste Gefecht. Zwar ersetzte der Nadelstreifenanzug nach dem Krieg den Tarnfleck, aber die Glattrasur blieb Teil der männlichen Uniform.
Erst im Rentenalter, in der Babypause oder während eines Sabbaticals dürfen sich auch die Macher von heute – man denke an Kai Diekmann – behaarungstechnisch gehen lassen. Vielleicht ist der Vollbart ein gesichtsbezogenes Laissez-faire des dauergestressten Mannes des 21. Jahrhunderts. Im Gegensatz zur Rasur, die gestresste Männerhaut irritiert und rötet, bietet er einen Schutz gegen die Zumutungen der postpatriarchalen Welt, in der der Mann wahlweise als böser alter, weißer Mann oder verweichlichtes Muttersöhnchen verschrien ist. Kein Wunder, dass er die Frau nicht länger unterjochen, sondern lieber ganz loswerden will. Dank Sexroboter und künstlicher Gebärmutter wird sie ohnehin schon bald überflüssig sein. Schöne neue Welt? Jedenfalls fast so schön wie Welt der neuen Instagram-Männer. Marlen Hobrack studiert im Master-Studiengang Kultur- und Medienwissenschaften, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hat. Derzeit schreibt sie an einem Social-Media-Roman. Sie lebt mit ihrem Sohn in Dresden und ist Gastautorin bei "10 nach 8".
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