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Meine Tante lebt in Italien und hat schreckliche Angst vor Dieben. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass sie bei ihr ein- und ausgehen, Dokumente stehlen und gelegentlich auch die Milch austrinken. Manchmal nehmen sie auch kleine Löffel mit. Wenn ich Tantchen frage, wer denn kleine Löffel mitnimmt statt echter Kostbarkeiten, antwortet sie selbstsicher: „Na, wer kleine Löffel braucht!“ Was soll man dazu sagen? Sie ist 97 Jahre alt, und wahrscheinlich hat sie alles Recht der Welt, an Diebe zu glauben. Man hat sie als Jüdin aller möglichen Dinge beraubt, jetzt im Alter spielt sie das Thema nochmals durch. Mir fällt es zugegebenermaßen schwer, an die Diebe zu glauben. Ich versuche, die Tante eines Besseren zu belehren, sie reagiert empört. Das führt regelmäßig zu Streitereien, obwohl mir meine Therapeutin schon vor Langem beigebracht hat, dass man gegen einen Wahn nichts machen könne. Wahn sei irreparabel, ich solle mich in Gleichmut üben. Gleichmut, ich? Die Situation ist vertrackt. Nun hat die Tante ohne mein Wissen eine Überwachungskamera einbauen lassen. Ich würde dann schon sehen, wer alles bei ihr einbricht und sie bestiehlt. Dann würde ich ihr endlich glauben müssen! Ich war sofort alarmiert. Eine Kamera? Wo? Und seit wann? Das eben sei das Problem, beichtete die Tante, sie wisse nicht mehr so genau, wann sie die Kamera habe einbauen lassen, nur dass sie 30 Euro am Tag kosten würde, wisse sie noch. „30 Euro am Tag? Dafür kann man einen Maserati mieten!“, schrie ich. Gestern Nachmittag marschierten wir in der prallen Hitze zu dem Detektiv, den sie beauftragt hatte. Investigazioni Venete. Signor Antonio war früher Maresciallo dei Carabinieri, so etwas wie Polizeiwachtmeister, und ist jetzt mit 57 Jahren in Pension. Polizeiarbeit sei in Italien sehr aufreibend, erklärte er uns, deshalb die frühe Rente. Auf dem Überwachungsvideo war nichts zu sehen, außer der Tante, die hin- und herspazierte, den Hund fütterte oder zur Toilette ging. Trotzdem waren beide der festen Überzeugung, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die ersten Verbrecher auf dem Bild erscheinen würden. Italien sei voller Verbrechen, die Wahrscheinlichkeit also sehr, sehr groß. Und Verbrecher lassen sich gerne filmen, fügte der Ex-Carabinieri hinzu, man müsse nur in die Politik schauen oder zur Camorra. Sei nicht Der Pate von Francis Ford Coppola sogar ein Dreiteiler? Man müsse die Kamera noch ein paar Wochen installiert lassen … Tante, Don Vito Corleone, Dreiteiler …, ich hatte den Eindruck, dass hier mächtig was durcheinanderging. Und der einzige Verbrecher in der Runde war ja wohl Antonio, der über Wochen eine alte ängstliche Dame mit 30 Euro pro Tag abzockte. Wir stritten. Tante hielt sich raus, aber ich warf Antonio alles Mögliche vor, er verteidigte sich vehement. Die Tante habe ihn eingestellt, was könne er da machen? Währenddessen lief im Hintergrund das aufgenommene Videomaterial weiter. Die Tante machte ein Nickerchen, sie spielte mit dem Hund, schaute die Nachrichten.
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