Die neuen Päpstinnen Instagram- und YouTube-Stars wie Dagi Bee zeigen: Jeder kann berühmt werden. Für junge Mädchen ist dieser Hype gefährlich. Denn es trendet nur, wer "hot" ist. VON ANNA FASTABEND |
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| | YouTube-Stars wie Dagi Bee (rechts) haben mehr Fans als so manches Popidol. Hier mit der Schauspielerin Sophia Thomalla © Henning Kaiser/dpa |
Ihre Uhrzeit ist die goldene Stunde, weil dann die schönsten Porträtfotos entstehen, ihre Plätze sind die, die am besten zu ihren Outfits passen, ihre Freunde sollten in jedem Fall fotogen sein. Die Influencerinnen haben auf Instagram, bei YouTube und in anderen sozialen Netzwerken die Herrschaft übernommen. Eine der selbst ernannten Stilpäpstinnen ist die 22-jährige Caroline Daur. Sie präsentiert sich bei Instagram in unterschiedlichen Designer-Outfits. Dabei folgen ihr mehr als eine Million Menschen. Auch die gleichaltrige YouTuberin Dagi Bee (Dagmara Nicole Ochmanczyk) ist ein Instagram-Star. Sie wurde damit bekannt, dass sie bei YouTube Mode- und Schminktipps gibt. Dort folgen ihr 3,5 Millionen, bei Instagram sind es 4,8 Millionen. Wenn sie zur Autogrammstunde einlädt, entstehen regelmäßig Massenaufläufe, wenn sie mit ihrer Modekollektion auf Deutschlandtournee ist, sind die Tickets sofort ausverkauft. Verglichen mit Kim Kardashian, die bei Instragram hundert Millionen Follower hat, sind die beiden deutschen Influencerinnen natürlich kleine Lichter am Himmel der Social-Media-Stars. Dennoch stehen sie beispielhaft für eine neue Generation von Vorbildern, die erfolgreich das Mädchen von nebenan verkörpern – das sie in Wahrheit aber längst nicht mehr oder vielleicht nie gewesen sind. Daur, hellblaue Augen, blond gefärbte Haare, studiert Betriebswirtschaftslehre. Ochmanczyk, einnehmendes Lächeln, trägt ihre Haare mal blond, mal rosa, wollte ursprünglich Industriekauffrau werden. Heute führen beide ein Leben, wie es früher Topmodels, Popstars und Schauspielerinnen vorbehalten war. Eine moderne Version von Aschenputtel mit Designerkleidern und Luxusreisen nach Amsterdam, Paris und Las Vegas. Mit zum Geschäft gehört, dass sie dabei fast immer für Produkte werben. Dafür werden sie von den Unternehmen fürstlich bezahlt: Schätzungen zufolge verdient Daur mit Instagram im Jahr rund 1 Million Euro, berichtet das manager magazin. Auch Ochmanczyk kann mehr als gut von ihrer Netzberühmtheit leben. So ein toller Look! Dass es Daur und Ochmanczyk ins Rampenlicht geschafft haben, liegt an den Möglichkeiten des Internets. Früher bestimmten ausschließlich Medienunternehmen, wer interessant genug war, einem breiten Publikum präsentiert zu werden. Mit den neuen Technologien aber etablierten sich Softwarelösungen, die auch Laien problemlos benutzen können, erinnert Medienwissenschaftler Ramón Reichert in seinem Buch Amateure im Netz (Transcript-Verlag, 2008) an die veränderte Mediennutzung seit dem Web 2.0. Aus passiven Konsumenten sind multimedial versierte Meister der Selbstinszenierung geworden, schreibt er. Auf einem Instagram-Foto posiert Daur in eng anliegendem Body und Minirock auf einem palmenumwachsenen Balkon in Barcelona. Das Foto erhält innerhalb von 23 Stunden mehr als 47.000 Likes. Neben ihr steht Cindy Kimberly. Sie wurde übrigens dadurch bekannt, dass Sänger Justin Bieber ein Foto von ihr postete, weil er wissen wollte, wer sich hinter der hübschen Unbekannten verbirgt – heute hat sie 2,8 Millionen Follower. Und natürlich stehen unter dem Bild die üblichen Kommentare: "Du Schönheit, so ein toller Look." – "Du bist mein Vorbild!" Doch warum haben Daur und Ochmanczyk plötzlich eine so große Anhängerschaft? Wieso gibt laut einer aktuellen Studie von Bitkom mehr als jede*r dritte Jugendliche einen YouTube-Star als Idol an, noch vor Schauspielern und Fußballern? Laut Albert Banduras Sozial-kognitiver Lerntheorie werden vor allem diejenigen als Vorbilder ausgewählt, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem selbst haben und denen man nacheifern kann. Und das geht bei einem Social-Media-Star natürlich einfacher als bei einem unerreichbar schönen Model oder einem talentierten Wunderkind. Mädchen seien während ihrer Pubertät besonders leicht durch die sozialen Medien zu beeinflussen, erklärt Psychologin Catarina Katzer in Cyberpsychologie (DTV-Verlagsgesellschaft, 2016). "Laut einer Untersuchung nehmen sich 85 Prozent der magersüchtigen jungen Mädchen dünne TV- und Internetschönheiten zum Vorbild", schreibt sie. Beliebtheitswettbewerb unter digitalen Selbstdarstellern Und was mein Vorbild kann, das kann ich schon lange, denken sich viele Teenager, von denen tatsächlich immer mehr "YouTube-Star" als ihren Traumberuf angeben. Und damit befinden sie sich in einer erbarmungslosen Mitmachfalle. Mehr als eine Milliarde Nutzer weltweit sind – laut dem Unternehmen selbst – aktuell bei YouTube aktiv, rund 700 Millionen nutzen Instagram. Menschen hätten schon immer das Bedürfnis gehabt, sich in Szene zu setzen, erklärt der New-Media-Experte Christian Stiegler im Sammelband New Media Culture (Transcript Verlag, 2015): "Aber durch das Internet geschieht vieles davon in leicht zugänglichen sozialen Netzwerken, in denen Bestätigung, Ablehnung und Verbreitung der eigenen Inszenierung eine große Rolle spielen." Dabei sei ein regelrechter Beliebtheitswettbewerb unter den digitalen Selbstdarstellern entbrannt, stellt Psychologin Katzer fest. Ein Wettbewerb, den Mädchen und Frauen wieder mal nur durch die Verkörperung des heteronormativen Schönheitsideals gewinnen können. Je attraktiver sie sind, desto mehr Herzen, Likes und Smileys fliegen ihnen zu. Ihr Aussehen ist so unauflöslich mit sozialer Anerkennung verknüpft, dass es kein Wunder ist, wenn der Job des Models nach wie vor zu den beliebtesten Berufen gehört, wie eine aktuelle Studie der Universität Siegen herausfand. Der virtuelle Schönheitswettbewerb aber ist härter als alles bisher Dagewesene. Bei YouTube und Instagram befindet sich das wirkliche Mädchen von nebenan in direkter Konkurrenz zu ihrem großen Vorbild. Dort steht das amateurhafte Video oder Selfie plötzlich neben einem professionellen Produkt, was ja gerade – und das ist das Perfide daran – oft genug von sich behauptet, amateurhaft zu sein. Dies hängt die Messlatte, was Aussehen und Lebensstil betrifft, extrem hoch. Neue Markenklamotten müssen her, und warum nicht die, die Daur oder Ochmanczyk bei ihrem letzten Post getragen haben? Hinzu kommen Fotobearbeitungs-Apps, mit denen Teenagerinnen die perfekte Version ihrer selbst produzieren. Eine Version, die sich oft zum Verwechseln ähnlich sieht: schlank, zurechtgemacht und sexy. Stundenlange Schminkorgien In ihrem Buch American Girls: Social Media and the Secret Lives of Teenagers (Knopf-Verlag, 2016) beschreibt Nancy Jo Sales die immense Belastung weiblicher Teenager, sich ständig von ihrer attraktivsten Seite zeigen zu müssen. Bei ihnen spielt es laut der US-amerikanischen Autorin immer noch eine viel größere Rolle, ob sie "hot" sind, als bei männlichen. Daran sind nicht nur die Jungen schuld, auch Mädchen bewerten oft unerbittlich. Für ihr Buch hatte Sales mehr als 200 US-amerikanische Mädchen zwischen 13 und 19 Jahren nach ihrem Verhältnis zu den sozialen Medien befragt. Zu welch schrecklichen Konsequenzen die Vergötterung eines virtuellen Idols führen kann, erzählen aktuell zwei künstlerische Arbeiten: Im Roman Sympathie von Olivia Sudjic (Kein & Aber, 2017) fühlt sich Alice von der digitalen Identität einer japanischen Schriftstellerin magisch angezogen und gerät in eine tiefe Krise, als die ihren Instagram-Account plötzlich auf privat umstellt. Im Film Ingrid goes West von Matt Spicer, der auf dem diesjährigen Sundance Film Festival lief und im August in den USA in die Kinos kommt, verfolgt und attackiert eine psychisch labile Protagonistin ihre Instagram-Bekanntschaften. Die permanente Beschäftigung mit dem perfekten Vorbild kann zu Minderwertigkeitskomplexen, Stimmungsschwankungen und Depressionen führen. Und zu zwanghafter Selbstoptimierung, bei der exzessiv Sport getrieben, strenge Diäten gehalten und stundenlange Schminkorgien veranstaltet werden. Erhält der eigene Post dann viele Likes, entsteht eine Euphorie, die abhängig macht. Doch gibt es ein Mittel gegen Schönheitswahn und Selbstdarstellungssucht? Am meisten würde natürlich nützen, wenn Frauen nicht mehr ständig nach ihrem Äußeren beurteilt werden. Bis dahin hilft, am eigenen Selbstbewusstsein zu arbeiten, viel Zeit außerhalb von sozialen Netzwerken zu verbringen und sich mit unterschiedlichen Frauenbildern zu beschäftigen. Und die werden momentan immer sichtbarer: Lena Dunham zum Beispiel, Emma Watson, Stefanie Sargnagel und viele mehr. Die findet man auch bei Instagram. Anna Fastabend ist freie Autorin und schreibt für die "SZ" und den "Freitag". Sie hat unter anderem am Literaturinstitut Hildesheim studiert und macht gerade einen weiterbildenden Master in Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8". Sie wollen der Diskussion unter dem Text folgen? Hier geht es zum Kommentarbereich. |
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Frauen schreiben jetzt auch abends. Montags, mittwochs, freitags. Immer um 10 nach 8. Wir, die Redaktion von 10 nach 8, sind ein vielseitiges und wandelbares Autorinnen-Kollektiv. Wir finden, dass unsere Gesellschaft mehr weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit braucht.
Wir denken, dass diese Stimmen divers sein sollten. Wir vertreten keine Ideologie und sind nicht einer Meinung. Aber wir halten Feminismus für wichtig, weil Gerechtigkeit in der Gesellschaft uns alle angeht. Wir möchten uns mit unseren LeserInnen austauschen. Und mit unseren Gastautorinnen. Auf dieser Seite sammeln wir alle Texte, die 10 nach 8 erscheinen. |
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