10 nach 8: Marlen Hobrack über Sachsen

 
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24.07.2017
 
 
 
 
10 nach 8


Dresden schämt sich
 
Wir Sachsen sind kommunikativ benachteiligt, und das liegt nicht nur an unserem Dialekt. Jetzt widmet sich auch die heimische Forschung dem Schmähen und Geschmähtwerden.
VON MARLEN HOBRACK

Das Schaufenster eines Schnäppchenmarkts im sächsischen Riesa © Ralf Hirschberger/dpa
 
Das Schaufenster eines Schnäppchenmarkts im sächsischen Riesa © Ralf Hirschberger/dpa
 
 

Es heißt, dass in Sachsen die schönsten Mädchen wachsen. Ob dem so ist, lässt sich empirisch vermutlich nicht nachweisen; wir dürfen die Behauptung für ein Gerücht halten, das von sächsischen Mädchen gestreut wurde. Sollte es aber tatsächlich so sein, hat der liebe Gott, oder vielmehr die Dialektevolution dafür gesorgt, dass die schönsten Mädchen die furchtbarste Mundart pflegen. Das nennt man dann ausgleichende Gerechtigkeit. Der sächsische Dialekt wird regelmäßig zum unbeliebtesten in Deutschland gewählt. Ein nichtsächsischer Freund bezeichnete ihn kürzlich als bestes Verhütungsmittel. Ich möchte da einwenden, dass schwäbisch ooch ni krade säxy ist. 

Ob es die Vertauschung von B und P, G und K-Lauten ist, die anderen so missfällt, lässt sich hier nicht aufklären. In jedem Fall korrespondiert die dialektale Fremdheit mit der menschlichen Fremdheit: Man versteht uns Sachsen einfach nicht. 

Ich als Sächsin spreche meistens Hochdeutsch – ein Kinderspiel, weil das Deutsch dort, wo ich herkomme, aus Bautzen, dialektal so rein ist wie Hannoveranisch. Wenn ich also einen klaren Satz herausbekomme, der obendrein ohne das Wort "Volksverräter" auskommt, loben mich nichtsächsische Menschen gern mit den Worten: "Aus Sachsen? Das hört man ja gar nicht!" Das ist in etwa so, wie wenn jemand mit dunkler Hautfarbe, der hierzulande geboren wurde, für sein gutes Deutsch gelobt wird. Freilich in deutlich artikulierten, in etwas herablassendem Tonfall vorgetragenen Worten. Guter Fremder!
Eine Zeit lang durfte ich immer dann für Zeitungen schreiben, wenn es etwas über Dresden oder Bautzen zu berichten gab. Wenn die Sachsen sich öffentlich beispielsweise wieder besonders dumpf und ignorant gebärdeten. Solche Texte sind Qual und Freude zugleich: Wir Sachsen haben es ja nicht anders verdient, als uns schimpfen und schelten zu lassen, dafür, dass wir Pegida so schamlos haben gewähren lassen, für die Vorfälle in Freital und anderswo.

Nennen Sie mich eine Masochistin, aber ich habe mir mehr als einmal den Kopf darüber zermartert, was mit uns denn nicht stimmt, dann zum Beispiel, wenn eine Horde von unterbeschäftigten Best Agern die Einweihung von Kunstwerken im öffentlichen Raum mit Hasstiraden auf Politiker niederbrüllt. Wenn die so geschmähten Politiker (in sächsischer Hasssprache kurz: das "Pack") trotzdem versuchen, mit den schmähenden Bürgern ein bereinigendes Gespräch zu führen, wird dasselbe meist abgebrochen, denn "ihr hört doch sowieso nicht zu".

In Sachsen sieht sich Niklas Luhmanns Satz, wonach Kommunikation unwahrscheinlich ist, tagtäglich bestätigt. Als kommunikativ Benachteiligte stehen wir Sachsen ziemlich oft am öffentlichen Pranger. In der Folge fühlen wir uns nicht nur missverstanden, sondern auch geschmäht. So innig ist das Verhältnis der Sachsen zum Sich-beleidigt-Fühlen, dass die TU Dresden eigens einen interdisziplinären Sonderforschungsbereich zum Schmähen und Geschmähtwerden eingerichtet hat. Der SFB Invektivität (stellen Sie sich das Wort mal mit sächsischem Dialekt intoniert vor!) beforscht natürlich nicht die sächsische Seele und ihre sadomasochistische Schmähbereitschaft, sondern die Rolle des Schmähens und Beleidigens in Gesellschaft, Kultur und Politik quer durch die Epochen.

Heilige Dreifaltigkeit aus Heimat, Patriotismus und Nation

Und das ist schon deshalb spannend, weil die emotionale Dimension, die als irrational gilt, in Politikwissenschaften und Geschichtsforschung für gewöhnlich ausgeklammert wird. Wobei die Geschichtswissenschaftler der TU Dresden das Thema schon vor einer Weile für sich entdeckt haben und in Seminaren u. a. "Gefühlsgeschichtliche Einblicke in die Stasigeschichte" lieferten. Versuchte man bisher, die Empfangsbereitschaft der Sachsen für die Hassreden von Pegida, AfD und Co. mit Gefühlen oder gar Massenpsychologie zu erklären, wurde man rasch als Küchen- oder Volkspsychologe gescholten. Dabei geht es gar nicht anders, als die dunkelsten Ecken der sächsischen Seele auszuleuchten, nur so kann man ja die Frage stellen, worin das mit wütend-zittriger Stimme vorgetragene "Um uns kümmert sich doch och keener" wurzelt. Das sächsische Aschenbrödelchen jedenfalls sieht sich geschmäht und gesellschaftlich isoliert.

Vielleicht auch deshalb finanzierte der Bund mit stattlichen 37 Millionen Euro das "Institut für gesellschaftlichen Zusammenhalt" in Dresden; da menschelt es ja schon im Titel, und Zusammenhalt ist gut für die Seele. Wer da was zusammenhält, ist noch nicht ganz klar. Ob und inwieweit der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt daran beteiligt sein wird, ist noch nicht ganz klar, aber allein die namentliche Nähe zu seinem Verein Zentrum für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration dürfte mehr als ein Zufall sein. 

Bundesfinanziertes "Pegida-Institut"

Trotz fehlender Konzeption hat der Bundestag die Finanzierung geschmeidig durchgewunken. Das Dresdner Institut erhält ein Sechstel der bewilligten Gelder aus dem Ende 2016 verabschiedeten Bundespaket für Bildung und Forschung. Zum Vergleich: Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin erhält aus demselben 240-Millionen-Paket drei Millionen Euro Gründungsfinanzierung. Obendrein stammt die Gründungsidee für das Dresdner Institut von Michael Kretschmer, dem Generalsekretär der sächsischen CDU.

Die taz und der Tagesspiegel bezeichneten das Institut dann auch als "konservativen Thinktank"; unter Dresdner Journalistenkollegen ist man etwas direkter und tauft es kurzerhand "Pegida-Institut". Was natürlich unfair ist, schließlich will man nicht nur Pegida verstehen, sondern gleich das ganze Volk. Schwarze Volksversteher rund um Michael Kretschmer verfassten, unterstützt von Werner Patzelt, sogleich einen Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur, in dem es heißt: "Die gemeinsame Verwurzelung in liebgewonnener Heimat, gelebter Patriotismus, gesicherte Freiheit und Demokratie sowie die Aufrechterhaltung der Solidargemeinschaft der Nation bieten Schutz in einer globalisierten Welt und halten auch in schwierigen Zeiten Staat und Gesellschaft stabil." Die heilige Dreifaltigkeit aus Heimat, Patriotismus und Nation könnte so vielleicht auch in einem AfD-Positionspapier stehen. Aber genug der Schmähungen.

Obwohl, wie funktioniert so eine Schmähung eigentlich? Hier hilft uns der Sonderforschungsbereich zur Invektivität auf die Sprünge. Eine Beleidigung ist nur dann wirklich machtvoll, wenn ein Dritter den Akt zwischen Beleidiger und Beleidigtem beobachtet, kommentiert und bezeugt. Ich vereinfache das mal: Wenn ich im Wald stehe, einen Sachsen beleidige und es keiner hört, habe ich ihn dann wirklich beleidigt? Der Sonderforschungsbereich versucht außerdem, "die zentrale Rolle, die die mit polemogenem Potential operierende Kommunikation für Gesellschaften einnimmt, erstmals umfassend in den Fokus der Forschung zu stellen". Was das heißt? Wer polemisiert, gewinnt! Wenn Sie sich zum Beispiel über diesen Text geärgert haben, habe ich schon gewonnen.

Marlen Hobrack studiert im Masterstudiengang Kultur- und Medienwissenschaften, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hat. Derzeit schreibt sie an einem Social-Media-Roman. Sie lebt mit ihrem Sohn in Dresden und ist Gastautorin bei "10 nach 8".


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