Außenpolitik, Diplomatie, das sind Spielfelder, die in Karikaturen hin und wieder als Schachbretter dargestellt werden. Alles kalte Berechnung. Oder? Vergessen wir nicht, dass gerade Schach ein emotionales Spiel ist. Der Spieler empfindet nicht nur starke Gefühle, sondern er wirkt auch auf die Psyche des Gegners ein, um diesen zu bestimmten Zügen zu bewegen. Für die Außenpolitik gilt dies erst recht. Die formale Spieltheorie beschreibt sie nur zur Hälfte; die Beteiligten sind niemals nur rationale Akteure.
Jeder Staatsbesuch bezeugt das. Pomp und Gepränge und alle anderen protokollarischen Zeichen lassen sich durchaus rein rational lesen, und doch werden Emotionen wachgerufen: im Lande des Besuchers, dem des Besuchten sowie wie unter den Beteiligten des ganzen Tschingdarassambums selbst. Und mögen die Küsschen unter den Staatsmännern und -frauen auch falsch sein, ihr Nahkampf im Händeschütteln und dergleichen mehr kann körperlich real sein – siehe
Donald Trump – und ist dann auch emotional (
"He loves to hold my hand": Trump über Emmanuel Macron).
Das gilt für die übrige Außenpolitik nicht anders. Wirtschaftsbeziehungen oder gemeinsame Militäreinsätze können Vertrauen schaffen, Städtepartnerschaften Sympathie erzeugen, Paraden Eindruck schinden, Sanktionen das eigene Lager zusammenschweißen sowie im Lande des Gegners Unzufriedenheit schüren. Und Krieg, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, ist erst recht ein hochgradig emotionales Geschehen.
Wechselspiel von Druck und Anreiz Außenpolitik ist also auch Gefühlssache. Was aber, wenn die Emotionen zu Motiven werden, und nicht bloß Zielscheibe politischer Aktionen bleiben? Eine von Emotionen bestimmte Außenpolitik, was bedeutet das?
Es gibt außenpolitische Gefühlsentscheidungen, die durchaus positive Aspekte haben. Etwa dann, wenn moralische Empörung im Spiel ist. Sie kann einem Land Stärke verleihen und seine Bereitschaft wecken, Opfer zu bringen.
Winston Churchills historische Entscheidung, Nazideutschland zu jedem Preis zu bekämpfen, war gewiss nicht bloß Kalkül.
Aber solche Situationen sind Ausnahmen. Der Normalfall eines außenpolitischen Problems ist die Kollision von Interessen (das können auch unterschiedlich verstandene Normen sein), die durch ein Wechselspiel von Druck und Anreiz bewältigt werden soll – und dafür muss man die Position der anderen Seite nachvollziehen können (ohne sie teilen zu müssen). Diesen hypothetischen Seitenwechsel kann die moralische Empörung aber blockieren. So war es in den sterilen Jahren vor dem Beginn der Neuen Ostpolitik.
Das Für und Wider der Sanktionspolitik lässt sich ebenfalls in diesem Zusammenhang besser verstehen. Sanktionen tragen ein emotionales Moment, wenn sie als Bestrafung verstanden werden, es gibt keine Strafe ohne emotionale Befriedigung des Strafenden. Die aber kann zum Selbstzweck werden.
Ein Diplomat ärgert sich nie Beispiel Kuba: Die Sanktionspolitik der USA sichert innenpolitische Mehrheiten, nämlich wegen der älteren Exilkubaner, denen es keineswegs bloß um Wiedererlangung konfiszierten Eigentums geht sondern vorrangig um Revanche. Der rationale Zweck der Sanktionen, nämlich das Kalkül der auf der Insel Herrschenden zu verändern, wird seit Jahrzehnten verfehlt. Dem Regime ist es immer wieder gelungen, die Unzufriedenheit der Kubaner auch gegen die USA zu lenken. Die größere Gefahr für den partei-militärischen Komplex geht nicht von der Blockade aus, sondern von der allmählichen Durchdringung der kubanischen Gesellschaft mit dem American Way of Life.
Ähnlich in Nordkorea. Es ist nicht mehr so, dass die dort herrschende Militärclique die Bevölkerung gegen Einflüsse von außen blickdicht abschotten könnte, vielmehr kursieren USB-Sticks, CDs und anderen Datenträger im Lande, mithilfe derer südkoreanischer Soap-Operas, chinesische Nachrichtensendungen und manches mehr die Bürger Nordkoreas erreichen. In einem ausgezeichneten, soeben erschienenen Artikel schreibt der amerikanische Außenpolitiker Tom Malinowski, es sei letztlich wahrscheinlicher, dass sich das Regime wandele und die beiden Koreas sich schließlich vereinigten, als dass jemand der
Führungsclique die Atomwaffe entreißen werde. Klar, das wird dauern. Aber man bedenke die Alternativen. Und bewahre kühlen Kopf, anstatt allzu emotional zu werden.
Aber Iran? Haben in diesem Fall die Sanktionen nicht gewirkt? Doch, natürlich. Aber eben auch deshalb, weil sie mit dem Angebot eines Deals gekoppelt waren. Sie waren nicht mehr, wie einst, Rache für die Botschaftsbesetzung von 1979, sondern zielten höchst überlegt darauf, das Kalkül der Mullahs zu verändern. Mit Erfolg. Bis auf Weiteres. Falls nicht die alten Emotionen auf beiden Seiten wieder durchschlagen, genauer: falls nicht das Spiel mit revanchistischen Emotionen von Teilen der Bevölkerung von Neuem beginnt.
Mit anderen Worten: Sanktionspolitik kann, muss aber nicht zum Erfolg führen. Denn jeder Fall liegt anders. Gefühle verallgemeinern, Vernunft unterscheidet. Polen zum Beispiel ist nicht die Türkei, Ungarn ist nicht Russland. Es gibt Grundsätze, die man um seiner selbst willen nicht aufgeben darf, und doch bleibt Außenpolitik eine empirische Kunst. Gefühle haben Platz in ihr, aber sie dürfen das Kalkül nicht überdeterminieren. Sagen wir es mit Talleyrand: Ein Diplomat ärgert sich nie. Er macht sich Notizen.