Wer wirklich will, der schafft es nach oben – das ist das Versprechen jeder Leistungsgesellschaft. Natürlich weiß man, dass es nicht immer stimmt, dass die Wirklichkeit nicht rosarot ist und dass bei jeder Erfolgsgeschichte auch ein bisschen Glück dazu gehört. Grundsätzlich aber beruht das Vertrauen in Leistungsgesellschaften darauf, dass die Formel zumindest im Groben zutrifft. Die Leistungsgesellschaft vermittelt das Gefühl, dass es wenigstens halbwegs gerecht zugeht.
Was aber, wenn diese Formel ausgerechnet in den westlichen Gesellschaften falsch ist?
Ob eine Gesellschaft durchlässig ist, kann man ganz unterschiedlich messen, beispielsweise daran, dass Kinder mehr verdienen als ihre Eltern, dass sie gebildeter sind oder prestigeträchtigere Jobs haben. Doch egal, wie man misst: In immer mehr Studien zeigt sich, dass die
Aufstiegsmöglichkeiten in vielen westlichen Demokratien längst nicht mehr so gut sind wie noch vor 30 Jahren. Vergleichsweise gut schneiden noch die nordischen Länder ab. Deutschland liegt im Mittelfeld. Besonders krass ist die Situation in Großbritannien, Frankreich und den USA – ausgerechnet dem Land, das so stolz ist auf seinen "vom Tellerwäscher zum Millionär"-Mythos.
Forscht man nach den Gründen, stößt man immer wieder auf die Bildung. In
England schafft es an die Elite-Unis immer häufiger nur noch der Nachwuchs derjenigen,
die selbst schon dort waren. In Frankreich war Ex-Präsident Nicolas Sarkozy einer der wenigen Spitzenpolitiker, der nicht aus einer angesehenen Familie kam und an der
Elite-Uni ENA studiert hatte. In den USA können sich viele ärmere Studenten
die horrenden Studiengebühren nicht leisen. In Deutschland sinkt die Zahl der
Kinder aus Arbeiterfamilien, die studieren.
Es wird also, so das traurige Fazit, auch im Westen immer wichtiger, bei der Geburt das richtige Los zu ziehen. Noch regt das niemanden wirklich auf. Doch was, wenn sich herumspräche, dass die Kinder aus Berlin-Marzahn es sowieso nie nach Dahlem schaffen? Und die aus Hamburg-Harburg nie nach Eppendorf? Die Folge wäre nicht nur im Land bitter: Wenn zu viele Bürger merken,
dass es nicht reicht, sich nur ordentlich anzustrengen, sinkt die Leistungsbereitschaft. Die braucht ein Land mit so wenig Rohstoffen aber dringend.
Und noch eine Folge wäre bitter: Sollte sich die Leistungsgesellschaft tatsächlich als Fake entpuppen, bekäme das Bild des Westens auch im Rest der Welt deutliche Kratzer. Schließlich gehört zum Bild und Selbstbild des Westens nicht nur die Achtung der Menschenrechte, sondern auch die der Leistung. Beides unterscheidet den Westen von den vielen Autokratien und Diktaturen, in denen vor allem Abstammung und Beziehungen zählen. In denen die, die oben sind, auch oben bleiben. Und die, die unten sind, keine Chance haben, egal wie sehr sie schuften.
Es wird also höchste Zeit, den alten Slogan von der Leistung, die sich lohnen muss, wieder mit Leben zu füllen. Und über Bildung für alle zu reden. Ernsthaft. Könnte eigentlich ein Wahlkampfthema sein, oder?