| | | | | Keine »Polizeigewalt« – dafür neue Verletztenzahlen
Hat es im Zuge der G20-Proteste wirklich keine Polizeigewalt gegeben? Innensenator Andy Grote (SPD) bekräftigte gestern im Innenausschuss diese Aussage von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) – und schloss gleichzeitig ein Hintertürchen auf. »Niemand nimmt für sich in Anspruch, dass die ganze Zeit von allen Beteiligten nur fehlerfrei gehandelt wurde«, sagte Grote zu Beginn der Sondersitzung, die zur Aufarbeitung drängender Fragen zu Krawallen und Polizeieinsätzen gedacht war. Den Begriff »Polizeigewalt« weise er aber dennoch entschieden zurück: Damit sei nicht das Verhalten einzelner Polizisten gemeint, sondern das Auftreten der Polizei als Institution an sich. »Polizeigewalt« sei ein diffamierender Kampfbegriff, um Gewalt gegen Polizisten (oder gegen die Polizei, hier differenzierte der Innensenator nicht explizit) zu legitimieren. Damit dürfte Scholz aus dem Schneider sein, wenn im Zuge juristischer Ermittlungen doch einzelnen Beamten Schuld zugesprochen werden sollte – »vereinzelte Polizistengewalt« hat er schließlich nicht abgestritten. Ansonsten verlief die Ausschusssitzung in den Augen der Opposition eher enttäuschend: Rund anderthalb Stunden lang hatten Innensenator und Polizeiführung weitgehend bekannte Schilderungen referiert, bis Dennis Gladiator von der CDU der Kragen platzte. »Es macht keinen Sinn, heute vertieft in die Befragung einzusteigen, wenn das vonseiten des Senats hier nicht erwünscht ist«, resümierte er und drohte mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, was die Linke, die diesen gleich nach dem Gipfel gefordert hatte, zufrieden zur Kenntnis nahm. Ein interessantes Detail am Rande: Die Zahl der verletzten Polizisten liegt laut Einsatzleiter Hartmut Dudde nicht bei den zuletzt genannten 592, auch nicht bei den zuvor genannten 476, sondern nun bei mehr als 700 verletzten Beamten; inklusive denen, die nicht vorsätzlich verletzt wurden. Mehr als 100 kamen offenbar gar nicht durch Fremdeinwirkung zu Schaden, fügte Dudde hinzu. Wieso die Polizei die Situation der Beamten am Schulterblatt nicht von Anfang an klar schilderte, sondern immer wieder neue, dramatischere Versionen bekannt gibt, wurde jedoch nicht abschließend beantwortet.
Geht doch!
Es ist noch nicht vorbei mit dem Protest auf Hamburgs Straßen. »Gegen die autoritäre Formierung der Gesellschaft« richtete sich gestern Abend die Demo »Gipfel der Hetze«. Falls Sie sich nun fragen, wer genau da von wem autoritär formiert wurde oder gar sich selbst formierte: Die Protestierenden verbaten es sich, als Gegner des G20-Gipfels, als Linke oder als Nonkonformisten pauschal zu Staatsfeinden verurteilt zu werden. Und tatsächlich lieferten sie aktuell dafür keinen Anhaltspunkt: Vom Start am Hachmannplatz an blieb der Protest bunt und fröhlich, wie einer unserer Demobeobachter schilderte. Sprechchöre wie »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen« an der Kreuzung Sievekingplatz / Feldstraße waren eine verbale Solidaritätserklärung an die in der Nähe eingesperrten Verdächtigen, und der Demo voran schritt kein schwarzer Block, sondern allenfalls ein Blöckchen, bunt gekleidet und nur in Einzelfällen mit Sonnenbrillen im Gesicht. Vor der Roten Flora knallte es dann, nur einmal: Eine Konfettikanone. Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt äußerte sich ebenfalls deeskalierend: »Wir stehen für eine emanzipatorische Politik, die nicht Unbeteiligte in der Nachbarschaft in Angst und Schrecken versetzen soll«, sagte er bei der Abschlusskundgebung im Schulterblatt. Man könne aber auch die Nachbarn verstehen, die angesichts der Gewalt am G20-Freitag kritische Fragen stellten. »Wir wollen uns von niemandem distanzieren, wir wollen niemanden staatlicher Repression preisgeben. Aber wir müssen, wenn wir politisch glaubwürdig sein wollen, auch über Fehler in unserer eigenen Politik streiten – immer mit dem Ziel, dass wir eine bessere Gesellschaft wollen.« Applaus aus der Menge, Musik aus den Boxen, um 21.27 Uhr – kurz vor dem ersten Donner und Blitzschlag – wurde die Demo für beendet erklärt und die Menge zerstreute sich ohne Weiteres. Das tat gut.
»Toll, dass die Kinder nicht mehr auf der Straße stehen«
Vor einem Jahr haben wir mit Ulrike Kloiber, Leiterin der Kita und des GBS (Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen) im Bildungshaus Lurup, über ihre Erfahrungen mit der Ferienbetreuung von Kindern gesprochen. Im Bildungshaus Lurup werden Kleinkinder und Grundschüler, die als »sozial höchstmöglich belastet« eingeordnet wurden, ganztägig betreut. Dazu zählen auch viele Kinder mit Flucht- und Migrationshintergrund. Fazit des Gesprächs im Jahr 2016: »Wir hatten schon Kinder, die wegen der Ferien geweint haben«, sagte Kloiber. Diese Kinder verbrächten die freie Zeit zu Hause vor dem Fernseher, sagte sie, manche kämen und hingen auf dem Schulhof herum. Das größte Problem war das Geld: Die Betreuung kostete. »Wir dürfen die Kinder nicht betreuen, wenn die Eltern das nicht gebucht haben. Und die Eltern können das oft nicht bezahlen«, so Ulrike Kloiber damals. Zum Start der Sommerferien 2017 fragten wir bei ihr nach: Was hat sich seitdem getan? Elbvertiefung: Frau Kloiber, hat sich die Lage seit dem letztem Jahr verbessert? Ulrike Kloiber: Hamburg hat sich echt gemacht, im Gegensatz zum letzten Jahr ist die Ferienbetreuung jetzt umsonst für alle, die sich das sonst nicht leisten könnten, das ist großartig. Diese Ansage kam im März, dann hatte man bis Ende April Zeit, sich für das Sommerferienprogramm anzumelden, das bei uns in der Regel von 8 bis 18 Uhr stattfindet. Schon bei uns nehmen 10 bis 15 Kinder mehr teil als im letzten Jahr. Für die Herbstferien lief die Anmeldefrist Ende Mai aus, und wir haben doppelt so viele Anmeldungen wie im Vorjahr – da waren es 50 Kinder, dieses Jahr kommen 100. EV: Also ist das Betreuungsproblem jetzt gelöst? Kloiber: Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Die Kollegen, die während der Schulzeit da sind, müssen auch noch die Ferienbetreuung abdecken, obwohl sie eigentlich auch mal Urlaub machen möchten – das ist ein Randproblem, das wir noch nicht gelöst haben. Dazu kommt, dass wir die Ferienbetreuung für ein Gymnasium mitleisten. Ich sage immer: Nicht schreien, bevor es wehtut. Es ist toll, dass die Kinder nicht mehr auf der Straße stehen. EV: Was müsste sich bei der Betreuung noch ändern? Kloiber: Die Kinder, die hier leben, haben alle keinen großen Bildungshintergrund, und die Armut ist relativ hoch, deswegen ist es umso schöner, wenn sich viele anmelden. Aber auch wenn es umsonst ist, sitzen viele Kinder lieber mit Toastbrot zu Hause vorm Fernseher oder kommen nicht, weil sie nicht früh aufstehen wollen. Deswegen muss auch die Qualität verbessert werden: Wir brauchen Ferienprogramme mit speziellen Themen und Projekten. Wenn man ein Programm auflegt, das die Kinder inhaltlich wirklich reizt, dann drängen die ihre Eltern, sie anzumelden. Im Herbst bieten wir z. B. eine Zauberschule an, da wollen die Kinder auf jeden Fall mitmachen. EV: Warum ist eine Ferienbetreuung so wichtig für die Kinder? Kloiber: Die Bildungsstände gehen in den Ferien rapide bergab, das ist ein Drama. Eigentlich müssten alle Schulstandorte mehr Programme anbieten, damit die Kinder nicht verblöden. Wir haben auch Flüchtlingskinder, die noch nie mit Buchstaben gearbeitet haben, und für die ist es wichtig, dass sie nicht sechs Wochen lang im Container bleiben. Wenn die nicht permanent mit Bildung und Kultur umspült werden, fangen wir bei einigen wieder bei null an. Der Wissensverlust ist so groß, da kann man fast ein halbes Jahr wiederholen. EV: Im Rahmen der Ferienpass-Aktionen gibt es in Hamburg zahlreiche Veranstaltungen für geflüchtete und arme Kinder, die fast oder komplett kostenlos sind, helfen die weiter? Kloiber: Das bringt nichts, denn die kommen da gar nicht an. So ein Angebot setzt ein Elternhaus voraus, das sich mit den Kindern hinsetzt, Veranstaltungen aussucht, die Kinder begleitet oder hinbringt, dazu braucht es Interesse der Eltern und Sprachkenntnisse, um das Angebot lesen zu können, und Fahrkarten. Die Schulen, die Klassen mit Flüchtlingskindern haben, bräuchten spezielle Angebote oder Paten, die die Kinder begleiten, sonst funktioniert das nicht. |
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