Kiyaks Deutschstunde: Nachdenken über Sahra W. und den anderen

 
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Kiyaks Deutschstunde
19.07.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Nachdenken über Sahra W. und den anderen
 
Eigentlich wäre die Linke eine sehr sympathische Partei. Aber da sind leider das Agitatorendeutsch, das Genöl und das Schlaubitum. Achje.
VON MELY KIYAK

Gute Nachricht vorweg: Die Linke ist Deutschlands einzige Partei, die die Arbeitsmarktreformen unter der Schröder-Regierung bis zum heutigen Tag unermüdlich kritisiert. Seit fast zwei Jahrzehnten tun dies Leute wie Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und der andere, mit dem die Wagenknecht gerade in den Wahlkampf zieht. Der Große aus Rostock, der wie Klaus Ernst aussieht, aber mit Brille, Name gerade nicht auf dem Schirm, sorry.
 
Viele haben es vielleicht schon vergessen, aber das, was wir heute den Niedriglohnsektor nennen und die Ausbeutung der Leiharbeiter, hieß, als dieser Staat von Männern wie Florian Gerster und Peter Hartz regiert wurde: "atmender Arbeitsmarkt".
 
In der Managerwelt ist das ein alter Hut. Man etikettiert eine negative Nachricht in eine positive um und überbringt sie nach Applaus heischend, als hätte man der Belegschaft gerade einen Blumenstrauß mit Riesenschleife überreicht. Das Absenken der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau nannte man: "Das Verstärken der eigenen Bemühungen nach längerer Arbeitslosigkeit." Ganz hübsch, nicht wahr? Verstärken klingt gleich wie Empowerment. So wurde der deutsche Sozialstaat wie eine schlecht laufende Firma behandelt, indem man wundersame Formulierungen dafür erfand, dass die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt und gleichzeitig die Bezugsdauer verkürzt wurde. Flexibilität ist auch so eine Erfindung.
 
Deutsch aus DDR-Beständen?
 
So gesehen ist es wirklich alles richtig, was Die Linke im Bezug auf die wachsende Armut der arbeitenden Bevölkerung sagt, die nicht in der Lage ist, Zahnersatz zu bezahlen oder ihren Kindern die Fahrschule zu spendieren. Lauter Alltäglichkeiten, die in einer Industrienation eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müssten. Innerhalb von 20 Jahren ist es in Deutschland völlig normal geworden, keinen Arbeitsvertrag mehr zu bekommen. Einen stinknormalen Arbeitsvertrag. Ohne Befristung. Mit Urlaubsanspruch. Ausgleich für Überstunden. Einen ganz normalen Arbeitsvertrag halt.
 
Und trotzdem ist man von der Partei total genervt! Von ihrem Auftritt, ihrer Sprache, dem ganzen Look. Allein dieses Rot mit den eingesetzten Bauchbinden in Schwarzweiß und der Agitatorensprache. "Erdoğandiktatur", um nur ein Beispiel zu nennen. Wieso kann es nicht "Erdoğans Diktatur" heißen? Warum "Riesterwahnsinn"? Warum soll die Rentenerhöhung für Spitzenverdiener "abgeflacht" werden? Und überhaupt, die Reichen! Och menno. Wer redet denn so? Ist das noch Deutsch aus alten DDR-Beständen?
 
Allen voran Sahra Wagenknecht, die mit durchgedrücktem Rücken in jeder Talkshow sitzt und egal ob es um Bankenregulierung, Steuersätze oder sonstige Politarchitektur geht, immer erst mal ein "Frau Merkel" abfeuert. Nie ist die Bundesregierung an etwas schuld oder die Koalitionsparteien oder die Union oder die Bundeskanzlerin, sondern immer "Frau Merkel". So kennt man es eigentlich nur von AfD und Pegida.
 
Und dieser andere, der mit der großen Brille – verflixt, wie heißt er noch –, sein Name klingt so ähnlich wie Dietmar Bär, sagte zur Abstimmung über die Ehe für alle, dass das ein Grund sei zum Feiern, aber die "umfassende" Akzeptanz der Homosexuellen sei noch nicht gegeben und der Kampf für "wirkliche" Gleichstellung müsse weitergeführt werden. Natürlich könnte man die Adjektive auch weglassen, aber das ist es nicht.
 
Es zieht sich durch den gesamten Auftritt der Wagenknecht und dem Dietmar Beiersdorfer aus Rostock, diese Syntax aus Genöl und Schlaubitum, die einfach keine Lust macht, hinzuhören. Es ist, als würden sie beim Sprechen immer ein lahmes Kriegsbein hinter sich herziehen. Veteranensprache für Genossen, deren Namen hinten auf -kowski enden. Rhetorik wie frisch aus dem VEB Kombinat Volkskörperdeutsch.    
 
Eiserne Brudertreue zu Russland
 
Will man das inhaltliche Profil einer Oppositionspartei genau untersuchen, hilft ein Blick in die Liste der Kleinen Anfragen im Bundestag. Erstaunt lässt sich feststellen, dass die Linke 45 Prozent mehr Anfragen als die Grünen stellen. Der Spiegel hat in seinem Datenlese-Blog aufgelistet, mit welchen Themen Die Linke in der aktuellen Legislatur die Regierung zu Stellungnahmen zwingt: 1.327 Dokumente (!) handeln von Verteidigung, Rüstung, Rechtsextremismus, Migration, Flüchtlingen, Kriminalität und Polizei. Es sind exakt die gleichen Themen, die die Öffentlichkeit seit Jahren beschäftigen. Die Grünen stellen übrigens fast ausschließlich Anfragen zum Themenkomplex Umwelt und Verkehr. Damit hat man eigentlich auch schon den Unterschied der beiden linken Parteien ausgewertet.
 
Trotzdem können die Linken von ihrem Profil null profitieren. Denn es ist eben doch nicht alles so eindeutig. Zwar sind sie die Partei, in der Frauen wie Petra Pau und Katharina König verlässlich alle NSU-Untersuchungsausschüsse aktiv begleitet und gewissenhaft Akten auswerten. Aber Die Linke ist auch die Partei, die im Ukraine-Konflikt gespalten ist und in der immer ein Hauch eiserne Brudertreue zu Russland mitschwingt.
 
Wenn Sahra Wagenknecht als frisch gekürte Spitzenkandidatin ihrer Partei im russischen Propagandasender Russia Today "Frau Merkel" als "folgsame Anhängerin" Amerikas bezeichnet, dann fragt man sich, wessen folgsame Anhängerin die Wagenknecht eigentlich ist. Und was kommt als nächstes? Ein Interview im türkischen Propagandasender? Ach Quatsch, geht ja nicht. Dialog mit Putin ja, mit der "Erdoğandiktatur" nein. Warum eigentlich? Existiert in, sagen wir, Putinrussland Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Pressefreiheit? Man wird das nicht verstehen, weil man das nicht verstehen kann und auch nicht verstehen muss. So ist das mit Ideologien.
 
Hallo, Genosse Gedächtnis
 
Und das muss man dem anderen, dem mit der Brille, dem Riexinger, quatsch, das war der nochandere, dem Ramelow, genau, wirklich lassen, so einen Blödsinn macht der nicht. Der spricht zwar umständlich und sehr langsam, aber der sagt nix, was man blöd findet. Apropos nix. Rix hieß er! Hieß er doch, oder?
 
Vielleicht kriegen die Linken die Kurve. Mit Sahra Wagenknecht aber eher nicht. Die hat schon alles Mögliche versucht. Von rechts reden und links meinen bis rechts reden und rechts meinen wie auch links meinen und rechts kleiden – sie zieht einfach nicht. Außer vielleicht bei einer Handvoll versprengter SED-Mumien und jenen Herrschaften, die nachmittags in der Begegnungsstätte Volkssolidarität "ein Däss’schen heeßen" trinken.
 
Im Moment beobachtet man ein ganz starkes Bestreben, neue Wählerschichten zu gewinnen, indem man sich in der Linken verstärkt in die Flüchtlingspolitik einmischt und auch kapitalismuskritische Gruppen einzubinden versucht. Katja Kipping und Jan van Aken bewirken im Auftritt mehr als die Wagenknecht und der, wie heißt denn der bloß, verdammichnocheinmal!? Kennen Sie das? Wenn man sich auf nichts anderes mehr konzentrieren kann, weil man von Genosse Gedächtnis beloochn und betroochn wird?


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