| Ein bisschen Alltag im Schanzenviertel Zerbrochene Scheiben, rußgeschwärzte Wände, zerschlagenes Mobiliar, Plünderungen: Was da schiefgelaufen war, sah man nach den Ausschreitungen des G20-Gipfels bei viele Läden am Schulterblatt. Doch während in den meisten Cafés und Geschäften langsam der Alltag wieder einkehrt, bleibt die Haspa-Filiale noch für Monate dicht – es ist zu viel kaputt. Nach einem Anwohnergespräch am Dienstag sei zwar klar: »Wir machen weiter, wir sind mit der Schanze durch Dick und Dünn gegangen«, so Haspa-Sprecher André Grunert. Die Einladung zum Nachbarschaftstreff sei nötig gewesen, um Fragen und Wünsche der Kunden zu klären, so Grunert – und weil der Bedarf an Austausch eben groß sei: »Viele Anwohner sind noch immer verwirrt und entsetzt, zeigen aber auch große Anteilnahme.« Bis zur Wiedereröffnung, die sich noch Monate hinziehen soll, werde improvisiert: So würden Kundengespräche schon mal in die Bäckerei um die Ecke verlegt. Bei den geplünderten Rewe-Märkten am Schulterblatt und an der Altonaer Straße kommt man inzwischen auf Schäden von insgesamt zwei Millionen Euro. Und während letztere Filiale nächste Woche schon wieder öffnen soll, bleibt der Rewe-Markt am Schulterblatt erst mal auf unbestimmte Zeit geschlossen. Budni am Schulterblatt dagegen öffnete schon am Sonnabend wieder. Erst mal provisorisch, auf einem Drittel der Fläche sollen vor allem Lebensmittel verkauft werden, sagte Sprecherin Wiebke Spannuth.
»Der lange Arm von Erdoğan«? Es ist ein schwerwiegender Verdacht: Beim G20-Gipfel hat das Bundespresseamt in Absprache mit dem BKA 32 Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen – weil »zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse« aufgetaucht seien, wie Regierungssprecher Steffen Seibert später erklärte. Medienberichten zufolge haben mehrere der betroffenen Kollegen von unter anderem »Spiegel Online«, »Weser Kurier« und »taz« zuvor Ärger mit der türkischen Regierung gehabt, waren etwa bei Recherchen kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden. Einen Einfluss ausländischer Dienste bestreitet Seibert. Der in Hamburg lebende türkischstämmige Journalist Adil Yigit vom Online-Magazin »Avrupa Postasi«, der auch für die »taz« schreibt, will das nicht so recht glauben – auch er durfte bei G20 nicht berichten. Elbvertiefung: Herr Yigit, Sie waren für das G20-Medienzentrum in den Hamburger Messehallen akkreditiert – durften dann aber trotzdem nicht rein. Warum nicht? Adil Yigit: Das wüsste ich auch gern. Am Freitag, dem ersten Gipfeltag, gab es am Einlass noch keine Probleme. Ich habe Pressekonferenzen besucht und erste Berichte über den G20-Gipfel verfasst. Doch als ich am Samstag gegen 14 Uhr wieder die Messehallen betreten wollte, haben zwei Polizisten meinen Akkreditierungsausweis unter die Lupe genommen und meine Daten mit einer zweiseitigen Liste abgeglichen. Dann sagten sie nur: »Tut uns leid, Ihnen wurde die Akkreditierung entzogen.« Es hieß, das BKA habe »Sicherheitsbedenken«. Mit der Liste sind die Beamten nicht gerade diskret umgegangen – ich konnte die Namen darauf deutlich lesen. EV: Journalistenverbände und Datenschützer üben bereits scharfe Kritik am lapidaren Umgang mit der »schwarzen Liste«. Glauben Sie denn der Begründung des BKA? Yigit: Nein, ich vermute, dass der türkische Geheimdienst Einfluss genommen hat. Am Donnerstag habe ich vor dem Atlantic-Hotel Fotos vom türkischen Staatspräsidenten Erdoğan gemacht, dabei auch den Geheimdienst-Chef Hakan Fidan fotografiert und über den Staatsbesuch berichtet. Es ist möglich, dass türkische Geheimdienstler dies bemerkt und die Info an deutsche Kollegen weitergegeben haben. Am Samstagmorgen wurde außerdem ein Online-Artikel von mir veröffentlicht, in dem ich die Berichterstattung der Bild-Zeitung zu den G20-Protesten kritisiert habe. Etwas anderes habe ich in der Zwischenzeit nicht getan, hier könnte also ein Zusammenhang bestehen. EV: Die Bundesregierung wies den Vorwurf zurück, ausländische Sicherheitsdienste könnten ihre Finger im Spiel gehabt haben. Yigit: Das glaube ich sehr wohl. Vor dem G20- Gipfel hatte ich, wie alle 5000 Journalisten, schon eine intensive Sicherheitsprüfung durchlaufen. Bei den betroffenen Kollegen ist es ähnlich: Zwei befreundete Fotojournalisten hatten vor wenigen Monaten über kurdische Kämpfer in Kobane berichtet, auch ihnen wurde überraschend die Akkreditierung entzogen. Dass ich der türkischen Regierung ein Dorn im Auge bin, bekomme ich auch in Hamburg seit Langem zu spüren: Das türkische Konsulat hat mir Hausverbot erteilt. Weil ich über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei berichte, wurde ich von Regierungsvertretern und Erdoğan-Anhängern mehrfach öffentlich beschimpft. EV: Wie geht es nun für Sie weiter? Yigit: Ich verlange Aufklärung, beteilige mich daher an einer Sammelklage der Deutschen Journalisten-Union von ver.di gegen das Bundespresseamt. Es wäre ein Skandal, wenn der lange Arm Erdoğans hier in Deutschland die Pressefreiheit einschränkt. Auch die Grünen forderten gestern Aufklärung darüber, wer warum auf die Liste gelangt sei. |
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