Fünf vor 8:00: Wir sind doch nicht bescheuert - Die Morgenkolumne heute von Gero von Randow

 
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FÜNF VOR 8:00
13.07.2017
 
 
 
   
 
Wir sind doch nicht bescheuert
 
Die Gewalt in Hamburg hatte mit links nichts zu tun. Aber auch gar nichts. Sagen die Linken. Und was ist nun links?
VON GERO VON RANDOW
 
   
 
 
   
 
   
Was ist links? Was ist nicht links? "Gewalttäter sind nicht links, sondern kriminell", twitterte Ralf Stegner (SPD) nach den G20-Krawallen in Hamburg, und Dietmar Bartsch von der Linkspartei behauptete im ZDF-Interview: "Das hat mit links nichts, aber auch gar nichts zu tun." Denn: "Links steht für Gerechtigkeit und Solidarität." So sagten und schrieben es auch viele andere, nun ja, Linke.
 
Kann man verstehen. Wer möchte ein und demselben politischen Lager zugerechnet werden wie die Täter von Hamburg. Doch derlei Äußerungen sind ziemlich voraussetzungsreich. Ihre Logik lässt sich so beschreiben:
 
Erstens: links ist gut (zum Beispiel solidarisch).
Zweitens: Krawall ist schlecht (zum Beispiel unsolidarisch).
Drittens also: Krawall ist nicht links.
 
Das ist, wie man so sagt, eine essentialistische Betrachtungsweise. Mit diesem Ausdruck ist gemeint, dass jemand das Linkssein für etwas hält, das ein für alle Mal bestimmte Eigenschaften hat, und wenn ein X diese Eigenschaften nicht aufweist, dann ist das X kein Linkssein. Sondern irgend etwas anderes. (Was eigentlich? Angeblich etwas Unpolitisches, Verbrechen oder so, alles, bloß nichts Linkes.)

Doch das Linkssein, oder die Linke, ist ein historisches Phänomen, wandelt sich mit Zeit und Ort, ist immer auch definiert durch den Gegensatz zu seinem Anderen: zur Rechten, zum Rechtssein. Und wenn man da einmal mitgeht durch Zeit und Ort, dann fallen eine ganze Menge Gewalttäter auf, Steinewerfer, Erpresser, Bankräuber und was nicht alles, die historisch gesehen sehr wohl links waren oder sind. Die durchaus hochkriminellen, anarchistischen Banden im Frankreich des frühen 20. Jahrhunderts etwa, oder der junge Stalin, ein Kleinkrimineller und Gewalttäter, der zum Umkreis der radikalen Linken in Tiflis zählte. Oder Andreas Baader. Man kann noch weiter gehen und sich Diktaturen ansehen, die historisch durchaus zum linken Kosmos gehören, ob es einem nun gefällt oder nicht, wie etwa das Pol-Pot-Regime.
 
Natürlich kann man links sein und das alles entsetzlich finden, es ist sogar zu hoffen, dass Linke das entsetzlich finden. Aber wenn sie so tun, als gäbe es da keinerlei Zusammenhänge, dann ist das eine Ersatzhandlung für etwas, das sie stattdessen tun sollten: Nein, nicht sich distanzieren, das ist ja albern, warum sollte die SPD beispielsweise sich von Mao Zedong distanzieren, aber Linke müssen sich mit diesem Aspekt ihrer Geschichte auseinandersetzen. Eben weil es auch zu ihrer Geschichte gehört: Wie kommt es, dass jemand sich zur Linken zählt und unmenschlich handelt? Kann nie schaden, über solche Sachen nachzudenken. Oder darüber, dass ansonsten ganz zivilisierte Leute Revolutionslieder singen wie den Chanson Ça ira, der aus der Zeit der französischen Revolution von 1789 stammt und in dem es "Die Aristokraten an die Laterne!" heißt. Lynchjustiz. Klar, für die gute Sache.
 
Nicht links, weil bescheuert?
 
Und man komme mir nicht mit der feinen Unterscheidung, das Anzünden von Autos et cetera könne deswegen nicht links sein, weil es die Falschen treffe. Als wenn Gewalt von links, ob in bestimmten historischen Situationen berechtigt oder nicht, stets penible Rücksicht auf das Eigentum oder auch nur auf Leib und Leben Unbeteiligter genommen hätte, etwa während des Pariser Mais von 1968. Oder während der anarchistischen Attentatswelle im zaristischen Russland gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Will jemand behaupten, die sei nicht links gewesen?
 
Dann lese ich, so was wie in Hamburg könne nicht links sein, weil es "bescheuert" sei (diesen Vogel hat Martin Schulz abgeschossen). Als wenn es sich da um einen antagonistischen Widerspruch handeln würde. Okay, Scherz. Aber das hier ist ernst: Nicht die taktische Sinnlosigkeit der Krawalle sollte ein Problem für Linke sein, sondern der Bruch des Gewaltmonopols in einem Rechtsstaat. Ja, auch in einem Rechtsstaat mit Macken.
 
Fragen wir einmal andersherum. Der NSU-Terror, wahrlich nicht zu vergleichen mit Hamburg, wahrlich ganz woanders auf der Skala des Verbrechens liegend, war er rechts? Schon, oder? Na klar, sagt da der Linke – wer rechts, also so richtig rechts ist, spricht anderen die Menschenwürde ab. Linke tun so was nicht.
 
Einmal selbstkritisch nachdenken
 
Oder vielleicht doch? Was ist mit dem verbreiteten Kürzel ACAB, radical chic, das für "All Cops Are Bastards" steht, dessen deutsche Parallele die Rede von den "Bullenschweinen" ist? Ist zwar schon lange her, dass radikale Linke Polizisten erschossen (1987, Startbahn West), aber "der Schoß ist fruchtbar noch", wenn ich so manche Verlautbarungen vor dem G20-Gipfel lese. Nicht links? Na komm. Menschenverachtend, und links.
 
Stoff zum Nachdenken. Zum selbstkritischen Nachdenken der Linken über die Linke, über ihr Verhältnis zu ihren Gegnern und über die Grenzen des Konflikts. Darüber, dass die Entgrenzung des Konflikts ein Rezept aus der Hölle ist. Welcome.
 
Mir sind Linke lieb und teuer, die über so etwas nachdenken, auch wenn es weh tut. Ich kenne solche Leute, ich lese allerdings wenig von ihnen. Gerne gebe ich ihnen auch in anderen Dingen recht, wenngleich nicht in allen. Von ihnen kann man lernen.
 
Noch etwas zur These "nicht links". Wer sie verficht, spricht ähnlich wie jene, die behaupten, islamistische Hasspredigten hätten nichts mit dem Islam zu tun.
 
Um gleich noch ein Fass aufzumachen.
 
   
 
   
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