Überbezahlte Kanzler | 3½ Fragen an Johanna Möllerström | Dr. acad. Sommer: Die Verwaltung hasst mich! | Real Scientists

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
guten Morgen aus Ex-G20-Town. Von den Hubschrauberrotoren und Polizeisirenen klingeln uns hier noch die Ohren. Ablenkung verspricht der Lektüretipp von Johanna Möllerström von der HU Berlin in den Dreieinhalb Fragen. Und wer diese Woche einen Termin mit einer Kollegin aus der Univerwaltung anstehen hat, beherzige doch bitte die Ratschläge von unserem Dr. acad. Sommer, aka Uli Rockenbauch.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Berlin, Berlin
Bei uns türmen sich Nachrichten aus der Berliner Wissenschaftspolitik. 1. Das Institut für Islamische Theologie, das an der Humboldt Universität entstehen soll, wird von CDU für seinen Beirat kritisiert, weil dort keine liberalen Islamverbände vertreten seien; der integrationspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, wandte sich in einem offenen Brief an Wissenschaftssenator Michael Müller (hier der Brief, via Tagesspiegel). Staatssekretär Steffen Krach wies die Kritik im DLF zurück, über eine Erweiterung des Beirats könne man noch reden. 2. Causa BIG: Erwin Böttinger wurde jetzt, nach seiner Kündigung, zügig von seinem Posten hinwegkomplimentiert – es übernimmt, als Leiter auf Zeit, MDC-Chef Martin Lohse (Tagesspiegel) 3. Im Wettbewerb „Innovative Hochschule“ ist die Hauptstadt – genauer: sechs Fachhochschulen – leer ausgegangen. 4. Die Berliner Unis, die sich auch für die ExStra zusammengeschlossen haben, trainieren derweil ihre Verbundsmuckis – und haben kollektiv ihre Elsevier-Verträge gekündigt (Berliner Zeitung). – Bilanz, wie öfters in Berlin: Durchwachsen.
  
 
 
UK: Überbezahlte Rektoren?
Wie hoch das Gehalt von Hochschulpräsidenten und -kanzlerinnen sein sollte, darüber ließe sich redlich streiten. (In Deutschland würden wohl viele sagen: Die Bezahlung ist, im Vergleich zur freien Wirtschaft, ein Witz.) Jo Johnson, UK-Bildungsminister, hat dazu jetzt eine sehr dezidierte Meinung vorgetragen; beim "Festival of Higher Education" an der Universität Buckingham sagte er: „It is hard at a time when students want to see evidence of value for money to have these concerns about the rate [of increase] of vice-chancellors’ pay“, und: „I do think vice-chancellors are paid too much, and it does not do much for the morale of their workforce.“ Konkret nannte er Christopher Snowden, Präsident der Universität Southampton, der ein Jahresgehalt von 350.000 Pfund erhält – und sich kurz zuvor in der Times kritisch über das neue Teaching Excellence Framework geäußert hatte. Ein Sprecher des Universitätsverbands Russel Group kommentierte im Telegraph: „Vice-Chancellor pay is decided by official remuneration committees, which include expert representatives from outside of the sector. They understand the importance of attracting and retaining experienced individuals who are capable of managing complex global institutions.“ Times Higher Education bezeichnete den Angriff als „highly unusual move“.
  
 
 
Norwegen: Evaluation der Geisteswissenschaften
Erstmals seit 30 Jahren wurden in Norwegen die Geisteswissenschaften evaluiert. Zwei Jahre lang wurden 2300 Wissenschaftler, 97 Forschergruppen in 36 Institutionen untersucht; zudem wurden Regierungsempfehlungen formuliert. Das Ergebnis: Die Norwegischen Humanities machen einen guten Job und seien international anerkannt. Der „publication output“ sei allerdings noch ausbaufähig, und die Forschung sollte sich noch stärker über norwegische Themenfelder hinaus orientieren. 
  
 
 
Leadership for Syria – an der Uni Konstanz
Einen Begriff für das Gegenteil eines „Brain Drain“ gibt es noch nicht. Wohl aber ein Programm, das genau das versucht. „Leadership for Syria“ heißt es, aufgelegt haben es Auswärtiges Amt und DAAD. Das Ziel: Führungskräfte in Syrien ausbilden, damit sie ihr Land nach dem Krieg wieder aufbauen können. An der Universität Konstanz findet in diesem Rahmen ein Begleitprogramm statt. Die SZ war dabei – toller Longread!
  
 
 
Post- was?
Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und Herausgeber der „Blätter“, hat sich am Dies Academicus der Uni Duisburg-Essen dem Thema der Stunde angenommen: „Wissenschaftsfreiheit in postfaktischen Zeiten“. Unbehagen an den Supertermini "Fake News" und "postfaktisch" hört man derzeit allerorten (weil: übertrieben, irreführend, ahistorisch) – los wird man sie deswegen noch lange nicht. Leggewie: „Das Schwinden von Gewissheiten wird vor allem mit dem Eintritt in paranoide und propagandistische Relativierungen verbunden, die wiederum mit dem Modebegriff ‚Fake‘ oder ‚postfaktischen‘ Wahrheiten umschrieben werden. Es ist nicht angebracht, danach nun gleich ein ganzes Zeitalter zu taufen, aber das Phänomen verdient gleichwohl eine kulturwissenschaftlich angeleitete Zeitdiagnose.“ Hier gibt es den gesamten Vortrag als pdf.
  
 
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
36 Milliarden Dollar

Summe, die durch internationale Studierende in die Wirtschaft der USA fließt 

 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Prof. Johanna Möllerström, PhD

Professorin für Angewandte Mikroökonomie am DIW Berlin und an der Humboldt Universität zu Berlin
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Als Neuankömmling in Deutschland und in der deutschen Wissenschaftswelt fällt mir auf, wie viel das Land noch in Sachen Gleichheit zwischen den Geschlechtern aufzuholen hat. Es ist für mich umso interessanter, weil Genderthemen zu meinen Forschungsbereichen in der experimentellen Ökonomie gehören. Ich habe den Eindruck, dass an der Spitze der akademischen Einrichtungen und in der Politik viel guter Wille da ist, dass die eingesetzten Instrumente aber nicht unbedingt die wirksamsten sind. Zum Beispiel richten implizite (und teilweise sogar explizite) Frauenquoten in wissenschaftlichen Einrichtungen, wie sie vielerorts eingesetzt oder angedacht werden, meiner Meinung nach mehr Schaden an, als sie bringen. Ich denke, sie wirken sich negativ auf das Selbstbewusstsein von jungen Frauen aus, die so den Eindruck gewinnen, sie wären aufgrund ihres Geschlechts eingestellt oder befördert worden. Es gibt viele konkretere Sachen, die man angehen kann, z.B. im Bereich der Verträglichkeit von Familie und Beruf. Das würde der Chancengleichheit dienen und der Produktivität von Frauen… und Männern!

Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Sehr viele! Nicht zuletzt im Bereich Gender. Letztendlich geht die Ungleichheit hier auf Einzelentscheidungen von Personen zurück, die aus welchen Gründen auch immer nicht den Weg einschlagen, der für sie oder für die Gesellschaft – oder für beide – der Beste wäre. Ihnen die Möglichkeit zu geben, die beste oder zumindest eine bessere Entscheidung zu treffen, muss gar nicht viel Geld kosten. Bessere Information, Stärkung des Selbstbewusstseins und ein besserer Rahmen für die Entscheidungsfindung würden schon helfen.

Lektüre muss sein. Welche?
Ich bin immer wieder beeindruckt von allem, was Anne Applebaum schreibt und es hilft mir, einen klareren Blick zu bekommen. Ich liebe ihre Kolumne in der Washington Post. Sie ist auch ein prima Rollenmodel für alle, die eine Topkarriere und Familie unter einen Hut bringen wollen.

Und sonst so?
Yoga.
   
   
 
 
   
 
 
   
 
   
   
 
Dr. acad. Sommer
 
 
   
   
In unserer Hochschulverwaltung arbeitet ein Mitarbeiter, an dem ich regelmäßig verzweifle. Er legt mir lauter Steine in den Weg, verweist auf tausend Regeln, die ich einhalten muss. Nie wird einfach mal etwas möglich gemacht – immer heißt es: „Das geht nicht.“ Totaler Bürokratiehorror! Wie kann ich ihn nur dazu bringen, mir mal entgegenzukommen? Es geht schließlich um meine Forschung!
 
Liebe/r X,
wenn es Standard-Vorgänge sind, an denen Sie regelmäßig scheitern, dann sollten Sie das direkt ansprechen. Jede Hochschulverwaltung ist in der Pflicht, ihre Rolle als Dienstleister auszufüllen. Wenn also alltägliche Abläufe nicht reibungslos funktionieren, dann dürfen Sie auch einfordern, gemeinsam auf Fehlersuche zu gehen. 
Wenn Sie allerdings schreiben „Nie wird mal etwas möglich gemacht“ – dann steckt darin vielleicht auch die Einsicht, dass das, was Sie wollen, eigentlich nicht möglich ist? Machen Sie sich bewusst, dass die Verwaltung drei Interessenlagen gleichzeitig beachten muss: die des einzelnen Wissenschaftlers, die der Hochschule, und das Regelwerk drumherum. Und was man Ihnen erlaubt, muss man allen erlauben. Zusätzliche Asymmetrie erhält die Situation dadurch, dass Sie die „tausend Regeln“ ja zunächst nicht kennen – der Verwaltungsmitarbeiter schon. Das birgt natürlich böse Überraschungen für Sie. In dem Begriff „Steine in den Weg legen“ steckt jedoch der Vorwurf, dass die Steine ohne ihn gar nicht in Ihrem Weg lägen. Aber hat er Sie vielleicht nur auf die (zugegebenermaßen lästigen) Steine hingewiesen? Forschungseinrichtungen in Deutschland unterliegen tatsächlich einem sehr engen Korsett aus Vorschriften und Gesetzen – und kaum eine davon hat sich Ihre Verwaltung selbst ausgedacht.
Können Sie trotzdem das Verhältnis zu Ihrem Kollegen etwas verbessern? Na sicher!
Wertschätzung, Wertschätzung, Wertschätzung. Ein „Danke“ von Zeit zu Zeit wirkt Wunder.
Lernen Sie den Kollegen besser einzuordnen, d.h. seinen Hintergrund, seine Aufgaben und die Rolle seiner Abteilung in der Verwaltung.
Fragen Sie ihn bei Ihrem nächsten Projekt bereits in der Planungsphase, was Sie beachten müssen. Er muss erkennen können, dass Sie die Spielregeln tatsächlich einhalten möchten.
Akzeptieren Sie die Tatsache, dass er von Recht, Finanzen und Verwaltung schlichtweg mehr Ahnung hat als Sie. Signalisieren Sie ihm, dass Sie ihn brauchen, um Lösungen zu finden.
Seien Sie bereit, dazuzulernen. Wenn Ihnen Zusammenhänge nicht klar sind, fragen Sie eben nach. (Größtes Risiko: Womöglich können Sie manche Regelungen irgendwann sogar nachvollziehen…)
Ein Tipp zum Schluss: Die meisten Verwaltungsmitarbeiter nehmen sich gerne eine Stunde Zeit, wenn Sie ganz offen fragen: „Ich möchte das Thema XY besser verstehen. Können Sie mir dazu mal einen Überblick geben?“ Ein solches Gespräch lohnt sich immer.


Dr. Uli Rockenbauch ist Persönlicher Referent der Geschäftsführerin der Helmholtz-Gemeinschaft und berät die Scientific Community im ZEIT CHANCEN Brief als "Dr. acad. Sommer".
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
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