Freitext: Rainer Merkel: Hauptstadt zu verschenken

 
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09.01.2018
 
 
 
 
Freitext


 
Hauptstadt zu verschenken
 
Der Konsum, der Bauboom, das Dröhnen im Himmel, und hinter der Tür scharrt der Krieg: ein Spaziergang durch Beirut, auf der Straße der Verschwörungstheoretiker.
VON RAINER MERKEL

 
© Sally Hayde / Reuters
 
Was würde Tania wohl zu Jerusalem sagen? Ist das auch Wasis Schuld? Noch vor einem Monat waren wir in Beirut auf dem Weg zum Café Younes und fragten uns: „Was ist eigentlich mit Wasi, unserem saudi-arabischen Freund?“ Wir liefen die Hamra Road entlang, die Straße der Verschwörungstheoretiker. Die Frage tauchte zum ersten Mal auf, als Tony uns von dem neuen Bauprojekt seiner Familie in Hazmieh erzählte, und ob sie vielleicht jetzt statt der vier Stockwerke doch zehn bauen sollten und wie sie das genehmigt bekommen. (Sein Vater hat fast sein ganzes Geld in diesen Neubau investiert und je höher sie bauen können, desto mehr Geld kommt dabei für ihn heraus.) Tania machte unter der Hand die Bemerkung, sie könnten doch Wasi fragen, schließlich sei der in der Baubranche tätig. Der könnte das bestimmt regeln. So wie man eben jetzt denkt, dass Saudi-Arabien alles mögliche „regelt“. Und Freunde haben sie auch überall, selbst in Israel, wie man so hört. Tania hatte mal wieder ihre zynisch-idealistische Phase.
 
Tania stammt eigentlich aus England, ist aber schon so lange in Beirut, dass aus ihr eine britisch-libanesische Misch-Existenz geworden ist, die mit allen Wassern gewaschen und, wie sich später auf dem Weg zum Café Younes zeigte, auch zu einer ausgefuchsten Verschwörungstheoretikerin herangereift ist. Was würde sie jetzt bloß sagen, nachdem Saad Hariri, der Ex-Premierminister, von anonymen Hijackern erst von Riad nach Paris verschleppt worden, dann angeblich „freiwillig“ nach Beirut zurückgekehrt und auf einmal wieder Premierminister geworden ist? Gab es da einen verschwörungstheoretisch relevanten Zusammenhang? Auch zwischen Riad und Jerusalem? Wasi aber meldete sich nicht. Wasi war untergetaucht. Und die Idee kam auf, ihm einfach mal eine E-Mail zu schreiben.
 
„Ich würde hier am liebsten auch mal raus, zumindest für zwei Wochen“, sagte Tania, während wir an einer Filiale von American Outfitters vorbeischlenderten, die Lichtexplosionen der Nike- und Adidas-Schaufenster noch in den Augenwinkeln. „Libanon mit seinem Anspruch, die Welt zu sein, das wird mir echt zu eng … Was wollt ihr Wasi denn schreiben?“ Wir hatten schon lange nichts mehr von ihm gehört. Sonst kam er alle paar Monate nach Beirut. Beirut, das ist für ihn eine Auszeit. Man könnte allerdings auch sagen: Beirut, das ist für ihn der kalkulierte, folgenlose und hemmungslose Exzess. Das war jedenfalls unser Verdacht. Hatte Wasi von all den Entwicklungen schon geahnt? Wusste er schon davon? (Die „Gefangennahme“ von Hariri, das alte, schon bekannte Gefühl, dass Beirut mal wieder vor dem „Untergang“ steht. Und plötzlich der Schock, der aber gleichzeitig etwas Beruhigendes hat. Keiner spricht mehr über Beirut, jetzt geht es nur noch um Jerusalem.) Es gibt ein Foto, das ihn neben einem hochrangigen Mitglied der saudi-arabischen Königsfamilie zeigt. Seinen hohen militärischen Posten, angeblich ist er früher „General“ gewesen, hat er zugunsten einer gut dotierten Beratertätigkeit in der Baubranche aufgegeben. Es ist schwer zu sagen, wie alt er ist. Er könnte 40 sein, aber auch 70. Seine Haare sind leicht getönt. Er lächelt wohlgemut, er macht immer einen gesunden Eindruck. Er kommt aus demselben Grund in den Libanon wie die Europäer. Um sich zu verjüngen, sich in den Spiegelungen und Projektionen, von denen der Libanon umstellt ist, zu verlieren. Er trinkt viel. Niemand kann mit ihm mithalten. Selbst Tony nicht.

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