Fünf vor 8:00: Die Krise nicht Trump überlassen - Die Morgenkolumne heute von Michael Thumann

 
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 FÜNF VOR 8:00
09.06.2017
 
 
 
 


 
Die Krise nicht Trump überlassen
 
Am Golf tobt ein Kampf der Erzkonservativen aus Saudi-Arabien und Katar mit dem Potenzial für eine Weltkrise. Deutschland sollte vermitteln – und nicht Partei ergreifen.
VON MICHAEL THUMANN

Im Bruderstreit zwischen Saudi-Arabien und Katar wissen einige deutsche Politiker offenbar schon genau, wer Recht hat. Den Vorwurf der Saudis, Katar unterstütze Terroristen, haben Volker Kauder von der CDU und Claudia Roth von den Grünen weiterverbreitet. Sie fordern nun, die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an Katar 2022 zu überprüfen. Haben unsere Weltpolitiker wirklich keine anderen Sorgen?
 
Am Golf braut sich eine Weltkrise zusammen. Nach dem Besuch von US-Präsident Donald Trump verhält sich Saudi-Arabien wie gedopt und will den ewigen Rivalen Iran um jeden Preis in die Schranken weisen. Und eine Methode, das zu tun, ist arabische Staaten abzustrafen, die mit dem Iran kungeln. Die Blockade Katars durch mehrere arabische Staaten unter saudischer Führung ist ein Weg dahin. Riad beschuldigt sowohl Katar wie Iran des Terrorismus. Nach dem Terroranschlag in Teheran vom Mittwoch zeigt Iran jetzt zurück auf Saudi-Arabien.
 
Die eskalierende Krise fordert dreierlei: Erstens die Lage verstehen. Zweitens schlichten. Drittens keinen Unfug zur Unzeit fordern.  
 
Saudi-Arabien und Katar – das ist eine alte schwierige Beziehungskiste. Beide Staaten beziehen ihre Haupteinnahmen aus Rohstoffen, beide nutzen den Golf als Hauptexportroute, beide sind stockkonservativ, in beiden werden Arbeitskräfte aus Drittländern teilweise schlecht behandelt. Es sind die Unterschiede, die zu Konflikten führen.
 
Ein schwer zu bändigender Paradiesvogel
 
Saudi-Arabien ist ein Land mit großer Bevölkerung und kann mit den Ölrenten längst nicht mehr alle befriedigen. Der Kleinstaat Katar mit geringer Einwohnerzahl hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Die Saudis schotten ihr Land ab, es gibt kaum westliche Touristen, die Visumhürden sind hoch, allein das Pilgertum wird gefördert. Katars Hauptstadt Doha ist ein Treffpunkt für viele – westliche Geschäftsleute, nahöstliche Islamisten, Journalisten, Künstler und Sportler. Die Ausrichtung der Fußball-WM 2022 ist kein Zufall. Als eine der jungen Arenen der Welt richtet Katar seit Jahren große Sportereignisse aus.   
 
Unter den konservativen Golfstaaten ist Katar ein schwer zu bändigender Paradiesvogel. Es ist das plaudernde Caféhaus am Golf, es leistet sich den Satellitensender Al-Dschasira, dessen westlich organisierte Berichterstattung die Königshäuser der anderen Golf-Staaten ärgert, vor allem seit er im Arabischen Frühling 2011 auf Seiten der Aufständischen stand. Saudi-Arabien stand an der Spitze der Autokraten gegen den Aufstand.   
 
Hier tobt ein ideologischer Kampf der Erzkonservativen. Die Saudis pflegen ihr Wahhabitentum, die Kataris fördern die Muslimbrüder. Ägyptische Muslimbrüder und Hamas-Chefs fanden in Doha Zuflucht. Riad sponsert in Syrien die eine Front von militanten Islamisten, Doha die andere. Für den Vorhalt, der Emir von Katar finanziere die IS-Dschihadisten, gibt es genau so wenig klare Belege wie für die Behauptung, Saudi-Arabiens Regierung sei ein Terrorsponsor. Eigentlich werfen sich das alle nahöstlichen Regierungen gegenseitig vor, inklusive Iran. Islamistische Milizen fördern sie alle.  
 
Das Verhältnis zur schiitischen Vormacht hat Saudis und Kataris endgültig entzweit. Die Saudis sehen in Teheran den teuflischen Feind, Katar teilt sich mit Iran ein riesiges Gasfeld und setzt auf Vorsicht und Kompromisse mit dem unheimlichen Nachbarn. Riad ist neuerdings Fan der manichäischen Weltsicht von Trump, Katar sucht am Golf den Ausgleich – und spitzt in Syrien zu.   
 
In die Blockade der Golfstaaten gegen Katar mischen sich nun Dritte ein: Trump mit seinen aufheizenden Tweets. Iran mit seiner apokalyptischen Feindschaft zu Saudi-Arabien. Und die mit dem Emir verbündete Türkei schickt Truppen nach Katar. Es sind also alle Ingredienzen eines möglichen dritten Golfkrieges vorhanden, unter Beteiligung eines Nato-Mitglieds. Der amerikanische Golf-Spezialist Simon Henderson vom Washington Institute for Near East Policy vergleicht die Lage schon mit Sarajevo 1914.  
 
In Deutschland tun manche so, als läge Katar irgendwo am Ende der Welt. Dabei ist es um die Ecke. Eine militärische Auseinandersetzung am Golf würde die Weltwirtschaft ruinieren und die Nachbarschaft Europas weiter zerrütten – mit allen Folgen. Diese Lage erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und europäisches, ja auch deutsches Engagement. Saudi-Arabien sollte in seiner Blockade nicht ermuntert, sondern vom Baum heruntergeholt werden. Die Forderung nach einem Boykott der WM 2022 in Katar bewirkt derzeit genau das Gegenteil. Deutsche Politiker dürfen den Konflikt nicht weiter anheizen. Stattdessen sollten sie dringend zusammen mit Paris und London für Kompromisse werben. Es gibt dafür viele Ideen.
 
Dem Brandbeschleuniger Trump darf man die Schlichtung nicht überlassen
 
 


 
WEITERFÜHRENDE LINKS
NEW YORK TIMES  President Trump Picks Sides, Not Diplomacy, in the Gulf
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG  "Iraner werden mit dem Finger auf Saudis zeigen"
CNN  Unraveling the Qatar crisis: Sunni, Shia, Saudi, Iranian -- and Trump



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Fünf vor 8:00 ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Theo Sommer, Alice Bota, Matthias Naß, Martin Klingst und Jochen Bittner.