Zittern um die Wissenschaftssschranke | Männer über 60 | 3 ½ Fragen an Dr. Eva Lorentzen | Standpunkt Jan-Martin Wiarda: Diverse Exzellenz

 
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Liebe Leserinnen und Leser,
diese Woche ist Endspurt im Bundestag. Schafft es das neue Urheberrecht vor den Wahlen noch durchs Parlament? Weniger dringend, aber mindestens so wichtig: die Frage der Diversität in der Wissenschaft. Die Münsteraner Wissenschaftsmanagerin Eva Lorentzen fordert dazu im Fragebogen einen Kulturwandel im gesamten Bildungssystem, und Jan-Martin Wiarda erklärt in seinem Standpunkt, warum Diversität eine Garantie gegen Mittelmäßigkeit ist.
   
 
 
   
 
   
   
 
Das ist wichtig
 
 
   
 
  
Zittern um die Wissenschaftsschranke
Erleben Kopierer an Deutschlands Hochschulen ein Revival? Es sieht danach aus. In der schwarz-roten Koalition ist die geplante Urheberrechtsnovelle mittlerweile so umstritten, dass sie nächste Woche vielleicht gar nicht in den Bundestag kommt. Die Reform soll unter anderem digitale Lehrangebote und Semesterapparate an Hochschulen erleichtern. Die allerletzte Chance für den Gesetzesbeschluss besteht am Freitag. Danach geht der Bundestag in die Sommerpause. Im Herbst wird gewählt. Und so könnte in Sachen Urheberrecht und Wissenschaftsschranke bald wieder alles auf Anfang stehen. HRK-Präsident Horst Hippler erhöhte vergangenen Freitag vorsorglich noch einmal den Druck auf die Parlamentarier und drohte mit der Abschaltung digitaler Lehrangebote. Wie sehr sich die Debatte verhakt hat, zeigen die knappen Antworten von Christian Lange, Staatssekretär im Justizministerium, in der jüngsten Fragestunde des Bundestags. Ein Videomitschnitt findet sich hier, und im O-Ton nachzulesen sind sie ab Seite 17 im Sitzungsprotokoll.
  
 
 
Männer über 60
Mögen junge Talente in Forschung und Lehre auch gesucht sein, im Hochschulmanagement sind immer noch andere gefragt: ältere, weiße Männer mit Erfahrung. Wie eine Studie des American Council on Education zeigt, stieg das Durchschnittsalter von US-Hochschulpräsidenten in den vergangenen fünf Jahren sogar wieder von 60,7 auf 61,7 Jahre. Weniger als ein Drittel (30,1 Prozent) der Hochschulen werden von Frauen geführt und lediglich 16,8 Prozent aller Unichefs sind nicht weiß. Diversität sieht anders aus. Warum sie unbedingt nötig ist, erklärt der Hochschulforscher Jason Lane in einem lesenswerten Essay: „Universities have become some of the most important anchor institutions in our communities. Who leads them and how they are led can have a lasting impact not just on the institutions themselves, but on the surrounding communities and our entire nation.”
  
 
 
Kontinuität bei Max-Planck
Für Erfahrung an der Verwaltungsspitze hat sich auch die Münchner Max-Planck-Gesellschaft entschieden und Rüdiger Willems als Generalsekretär bestätigt. Der 60-jährige Jurist leitet die Generalverwaltung mit ihren 550 Beschäftigten kommissarisch, seitdem Ludwig Kronthaler im Februar an die Berliner Humboldt-Universität gewechselt war. Von 2006 an war Rüdiger Willems stellvertretender Generalsekretär. Wie die Verwaltung des bundesdeutschen Forschungsflaggschiffs mit seinem jährlichen Gesamtetat von rund 1,8 Milliarden Euro zu funktionieren hat, machte Willems bereits deutlich: wissenschaftsfreundlich, pragmatisch und – Achtung! – korrekt.
  
 
 
Bundesgericht stärkt akademische Selbstverwaltung
Im Rechtsstreit um den Entzug ihres Doktortitels ist die Politikberaterin Margarita Mathiopoulos nunmehr in dritter Instanz gescheitert (Tagesspiegel, LegalTribuneOnline). Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigte nicht nur die Entscheidung der Universität Bonn aus dem Jahr 2012, Mathiopoulos den akademischen Grad wegen Täuschung abzuerkennen (Az.: BVerwG 6 C 3/16). In ihrer Urteilsbegründung unterstreichen die Richter zudem die akademische Selbstverwaltung und mit ihr das Recht der Universitäten, wissenschaftliches Fehlverhalten zu sanktionieren (Juraforum).
  
 
 
Israel-Gegner brüllen Knesset-Abgeordnete an Humboldt-Uni nieder
Die Holocaust-Überlebende Deborah Weinstein und die Knesset-Abgeordnete Aliza Lavie sind bei einem Podiumsgespräch an der Berliner Humboldt-Universität von Israel-Gegnern niedergebrüllt worden (rbb, Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Welt). Organisiert worden war die Veranstaltung von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Der Vorfall, der sich bereits am vergangenen Dienstag zugetragen hat, wird von der Universität „aufs Schärfste“ verurteilt – und schlägt international Wellen: “It is unthinkable that a lecture about Israel from Zionist Israeli and pro-Israel voices can be disrupted by violence in a German university”, erklärte der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, der Jerusalem Post.
  
   
 
 
   
 
   
   
 
Die Zahl
 
 
   
15

Universitäten sind seit dem gescheiterten Militärputsch vor einem Jahr in der Türkei geschlossen worden. Damit verliert das Land fast 10 Prozent seiner Hochschulen
 
   
 
 
   
 
   
   
 
3½  Fragen an…
 
 
   
Dr. Eva Lorentzen

Wissenschaftsmanagerin an der Universität Münster
Eine Erkenntnis, zu der Sie jüngst kamen?
Bemühungen zur Steigerung des Frauenanteils an Leitungspositionen in der Wissenschaft müssen bereits in frühester Kindheit ansetzen, um tatsächlich Erfolge zeitigen zu können. Wir müssen Mädchen von Kindesbeinen an vermitteln, dass sie ALLES lernen können, was sie möchten – von der Algebra bis zur Verfahrenstechnik, wofür sich beispielsweise Technik als obligates Schulfach anbietet. Der lange Weg zur Gleichberechtigung beginnt in der Familie, in der Kindertagesstätte, spätestens in der Grundschule. Bei der Aufnahme eines Hochschulstudiums sind die Weichen bereits gestellt.
 
Welches wissenschaftspolitische Problem lässt sich ohne Geld lösen?
Siehe Antwort 1 – Um Fragen zu Gender und Diversität zu lösen, braucht es einem grundlegenden Kulturwandel im gesamten Bildungssystem. Eher konservative Gesellschaften wie die deutsche scheinen dafür mehr Zeit zu benötigen als anfängliche Erfolge suggeriert haben.
 
Lektüre muss sein. Welche?
„The only woman in the room“ von Eileen Pollack – ein Schlüssel zum Verständnis der Unterrepräsentation von Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen; „Bildung statt Bologna!“ von Dieter Lenzen – durchaus provokante Thesen, über die es nachzudenken lohnt; „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“ von Jorge Bucay – ein hervorragender Ratgeber in allen Lebensfragen; und die Short Stories von Alice Munroe, der wunderbaren Sprache wegen.
 
Und sonst so?
If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together!
   
   
 
 
   
 
   
   
 
Standpunkt
 
 
   
   
von Jan-Martin Wiarda
Diverse Exzellenz
Da reden seit mindestens zehn Jahren alle über Diversität und wie wichtig sie ist für die Zukunft der Wissenschaft, und was sagen Hochschulrektoren? Nur knapp jede/r dritte ist der Meinung, dass Diversität für die Qualität der Forschung von besonderer Bedeutung ist. So berichtet es das Hochschul-Barometer, eine jährliche Umfrage des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.
Moment, werden jetzt viele Hochschulchefs protestieren, stimmt doch gar nicht! Wir finden Vielfalt wichtig, und tatsächlich geben 83 Prozent der befragten Hochschulleitungen an, dass Diversität in Lehre und Studium „große Beachtung“ finde. Ja, aber eben nur da. Und das ist das Problem. Denn so, wie in den vergangenen zehn Jahren der Begriff „Diversität“ Karriere gemacht hat, wurde ein zweites Wort an die Spitze hochschulpolitischer Debatten katapultiert: „Exzellenz“. Und gemeint ist damit eigentlich immer Exzellenz in der Forschung.
„Diversität“ in der Lehre, „Exzellenz“ in der Forschung. Die Wahrheit ist, dass viele Rektoren eines noch immer nicht verstanden haben: Exzellenz ohne Diversität, das geht gar nicht. Solange die Mehrheit der Lehrstühle in Deutschland (und anderswo) von weißen Männern über 45 besetzt ist, die noch dazu einen deutschen Pass haben, werden nicht die besten ausgewählt, denn das wäre schon im Sinne der Gaußschen Normalverteilung unmöglich. Zum Zuge kommen die Naheliegendsten. Wenn man so möchte, ist aber genau das der Kern von Diversität: Nehmt nicht die, die immer da waren, sondern die mit dem größten Potenzial.  
Dass das mit der Diversität in der Lehre besser klappt, ist erfreulich – und zeigt zugleich, dass Rektoren und Präsidenten Diversität eben nicht als einen Weg zu Exzellenz begreifen. Sondern als einen Beitrag zur Sozialpolitik, etwas, das man der Gesellschaft schuldig ist. Tut man halt. In der Lehre belohnt die Politik die Ausweitung der Studierendenzahlen, Stichwort Hochschulpakt, ja auch kräftig. Aber, denken viele Profs und ihre Chefs (ihre mehrheitliche Demographie siehe oben): Wenigstens in der Forschung können wir noch nach Exzellenz gehen. Und das heißt für sie: ihresgleichen berufen. 
Wir können lange über Geld reden, das deutschen Hochschulen fehlt, um zur Weltspitze aufzuschließen. Auch zu Recht. Ganz sicher aber werden sie den Sprung nach ganz vorn nicht schaffen, bis nicht auch der letzte Rektor begriffen hat: Diversität ist eine Frage des Anstandes. Vor allem aber ist Diversität der beste Garant gegen Mittelmäßigkeit.
Die nächste Gelegenheit, es besser zu machen, steht an: das Tenure-Track-Programm. Klar kann man den Wettbewerb nutzen, um ein flammendes Plädoyer für Personalentwicklung einzureichen und in Wirklichkeit ein paar vorgezogene Berufungen durchzudrücken. Oder man beginnt sie, die Suche nach den nicht Naheliegenden. Sie mag anstrengender sein zunächst. Aber noch anstrengender ist auf Dauer das Fehlen ungeahnter Perspektiven.
   
   
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Diese Woche in der ZEIT
 
 
   
   
Mach’s gut! Wilhelm von Humboldt wird 250. Zeit, sich von seinem Bildungsideal zu verabschieden und die Universitäten neu zu erfinden

Die Vergötterung Wilhelm von Humboldt wird seit je missverstanden. Kritische Bilanz eines Mythos Und jetzt? Was Neues! Humboldt ist tot! Sieben Ideen, wie die Universität der Zukunft aussehen könnte »Es wurde gevögelt, dass es rauchte« Günter Prinz war Chefredakteur der »Bild«-Zeitung in den bewegten Jahren nach 1968. Ein Gespräch über Doppelmoral, Terror – und linke Studenten, die er für verrückt hielt Mein Vater, der Sympathisant aus Vietnam Plötzlich revolutionär. Wie mein Vater in Westdeutschland sich neu politisierte Der lange Weg nach Digitalien Nur ein Prozent der Schüler nutzt Computer im Unterricht

Zur aktuellen Ausgabe
   
 
 
 
   
 
   
   
 
c.t.
 
 
   
 
Schwimmen für die Wissenschaft:  Über 575 Flusskilometer und 19 Etappen erstreckt sich die Elbschwimmstaffel, die vergangenen Samstag in Bad Schandau gestartet ist und am 12. Juli in Geesthacht endet. Die große Siegerin der Mitmach-Aktion im laufenden Wissenschaftsjahr Meere und Ozeane ist die Elbe, ihr Wasser und ihre Ufer.  Während die Staffel schwimmt, geht die Wissenschaft der Elb-Ökologie auf den Grund.  Wie erfahren Sie hier

Quelle: www.wissenschaftsjahr.de
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
Einen erfrischenden Start in die Woche wünscht

Ihr CHANCEN-Team

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