Kiyaks Deutschstunde: Nachdenken über Angela M.

 
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Kiyaks Deutschstunde
15.06.2017
 
 
 
 
Was meinen Politiker, wenn sie sagen, was sie sagen? Und: Was meinen sie wirklich? Mely Kiyak sagt’s Ihnen!


Nachdenken über Angela M.
 
Über die Bundeskanzlerin kursieren kaum Witze und nichts Privates. Wer sie hasst, tut dies oft mit Respekt. Aber ist sie wirklich eine Frau ohne Eigenschaften?
VON MELY KIYAK

Es gibt das Teebeutelset "Berliner Teaparty" mit ihr (bei Amazon derzeit nicht erhältlich). Damit kann man sie in einen Becher heißes Wasser hängen. Und es gibt eine knallrote "Angie Citruspresse" für 14,50 Euro (ein Produkt aus dem Haus Inkognito, laut Selbstbeschreibung handelt es mit "Kunst, Humor und Satire"). Ansonsten sind keinerlei Merchandising Artikel mit Angela Merkel bekannt, der in Europa am längsten regierenden Staatschefin.
 
Margaret Thatcher, genau wie Merkel eine Naturwissenschaftlerin, brachte es als Vorsitzende der Konservativen und Premierministerin in England innerhalb kürzester Zeit zu Kultstatus. Es kursierten jede Menge Anekdoten und Witze über sie, man widmete ihr hasserfüllte Songs und verschonte auch ihren Ehemann Denis nicht.
 
Zahllose deutsche Kabarettisten beschränkten sich darauf, Angela Merkels Körper zu diffamieren, statt ihre Politik zu denunzieren. Urban Priol ließ erst die Schultern nach vorne fallen, platzierte ruckartig den Kopf dazwischen und als Krönung der politischen Satire folgte ein entenhafter Watschelgang mit seitlich abgespreizten Händen. Voilà, eine simple, aber massenbelustigungstaugliche uckermärkische Version von Daisy Duck.
 
Fast jeder Politiker im Rang einer Angela Merkel (viele gibt es nicht) werden mit ein, zwei Eigenschaften ikonisch. Thatcher: die eiserne Lady mit Handtasche, Schäuble: der Sparfuchs, Obama: smart, Sarkozy: ein herumflitzender Filou, Kohl: gemütlich, Trump: dumm und gefährlich. Aber Angela Merkel? Sie bleibt die Frau ohne Eigenschaften.
 
Doch es umgibt sie eine Aura, die mit wenigen Worten kaum zu umschreiben ist. Immer wieder anerkennend herausgehoben wird ihre Disziplin. Nie sieht man sie schwächeln oder stolpern. Seltene Momente des Wegnickens hebt sie sich für den Bundestag auf. Auf dem internationalen Parkett bleibt sie wach.
 
Auch besitzt Merkel die außerordentliche Gabe, Respektlosigkeiten und Versuche der Erniedrigung weder zu kontern, noch zu kommentieren. Egal, ob es sich um George Bushs überraschende Massageattacke handelte oder um Seehofers Breiteierigkeit, mit der er ihr eine Standpauke hält, als handele es sich um seine Tochter, die eine Schramme in seinen Wagen gefahren hat. Ihren eisernen Nerven und ihrer Geduld ist es zu verdanken, dass die betreffenden Männer die Erfahrungen machen durften, dass sie es sind, die anschließend armselig aussehen.
 
Während man so darüber nachdenkt, welches Frauenbild sie wohl vermittelt und was man als Geschlechtsgenossin von ihr lernen könnte, fällt auf, wie konsequent sie ihr Privatleben, ihre Ehe, ihr Verhältnis zu ihren Stiefkindern und Geschwistern aus der Öffentlichkeit heraushält.
 
Merkels kluge Weigerung
 
Von jedem anderen Politiker las man Zitate der Mutter, die der Bild-Zeitung ein Interview gab, oder erfuhr von schlimmen, traurigen, rührenden Geschichten, die Geschwister kolportierten.
 
Man kann sich kaum vorstellen, dass Angela Merkel im Falle einer Krebserkrankung in eine Talkshow ginge, um davon zu erzählen. Oder vor einem Mikrofon bekannt geben würde, dass sie ihrem Mann Joachim eine Niere spenden und deshalb demnächst eine Runde ausfallen werde.
 
Merkel befolgt den Grundsatz, den man jeder Publizistin in Versalien fett gedruckt auf den Weg geben möchte: Wenn du dir die Möglichkeit erarbeitet hast, öffentlich zu sprechen und zu wirken, dann verzichte konsequent auf Bekenntnisse, die deinen Körper, deine Sexualität, deine Ernährungsweise, Kindererziehung oder Partnerschaft betreffen! An diesem simplen Grundsatz sind von Christina Köhler bis Ursula von der Leyen nahezu alle Frauen mit Mandat gescheitert. Selbst die Männer halten es an irgendeinem kritischen Punkt ihrer Karriere nicht aus und gehen mit privaten Einblicken an die Öffentlichkeit. Es gibt in Deutschland überhaupt sehr wenige Menschen, die trotz immenser Prominenz sich und ihr privates Umfeld im Griff haben und dadurch unnahbar bleiben. Harald Schmidt, Jogi Löw, Angela Merkel – viele sind es wirklich nicht.
 
Angela Merkels 100 Prozent
 
Merkels ständige Weigerung sich in die Kategorie Feministin einordnen zu lassen ist klug. Feminismus ist eine politische Bewegung, die von Aktivistinnen ausgeht. Eine Politikerin sollte nicht wie eine Aktivistin fordern, sondern Politik betreiben. Schließlich ist sie an der Macht. Genauso unsinnig wäre es ihr eine Bekenntnis als Antirassistin, Umweltschützerin oder Demokratin abzuverlangen. Im Moment ihres Amtseides hat sie sich zu alledem bereits bekannt. Zwar muss man Rechenschaft für sämtliche Versäumnisse einklagen – da gibt es  viele – trotzdem ist sie die Frau, die ihre Berufstätigkeit, national und international, stets mit Männerüberschuss ausübt. Feministen fordern die Hälfte der Macht in Schlüsselpositionen. Angela Merkel hat sie zu 100 Prozent.
 
Im Lauf der Jahre hat sie übrigens beide Geschlechter gefördert. Und sie hat, wo sie es nötig fand, auch gefeuert. Die öffentliche Abkehr von ihrem Förderer Helmut Kohl liest sich im Nachhinein wie die Beschreibung ihrer eigenen Emanzipation. In einem großen Beitrag für die FAZ – es war die Zeit des Parteispendenskandals – empfahl sie ihrer Partei, ohne Kohl weiterzumachen. Man müsse sich "wie in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen". Bis heute ist Merkel über jeden Intrigen-, Lügen- oder Korruptionsverdacht erhaben. Ob sie tatsächlich tadellos ist, weiß man nicht, aber sie hat den Ruf der korrekten und verlässlichen Deutschen. Trotz ihrer verheerenden Asyl- und Flüchtlingspolitik weiß man, dass bei rechtsradikalen und rechtsextremen Parolen bei ihr Schluss ist. Sie spricht dann ihre berühmten Ausrufezeichensätze. Sie kennen mich! Wir schaffen das! Folgen Sie denen nicht!
 
Bei Erpressung wird sie ebenfalls bockig. Drohendem Stimmenverlust und Druck durch die eigenen Leute, gibt sie nicht nach. Ihre Weigerung, das Wort "Obergrenze" in den Mund zu nehmen, mag politische Überzeugung sein, aber intuitiv spürt sie sicherlich auch, dass sie demontiert wäre, wenn sie nur ein einziges Mal den Seehofers oder Bosbachs nachgeben würde, die es nicht lassen können, sie immer wieder öffentlich zu einer bestimmten Politik zwingen zu wollen. Was Merkel als Sturköpfigkeit nachgesagt wird, ist in Wirklichkeit der einzig wirksame Trick mächtiger Frauen: Einfach abwarten! Gesichtszüge unter Kontrolle! Und dann zusehen, wie die Jungs, die irgendwann nämlich auch nicht mehr weiterwissen, wie eine Dose neongelber Kindergeburtstagsslimey an ihr herunter schmieren.
 
Eine weitere Überlebensstrategie: Nicht weinen! Auch hier gibt es wunderbare Beispiele aus dem Lehrbuch der verflossenen Macht. Wer einmal weint, wird nie gewählt. Von Heide Simonis über Susanne Gaschke bis Frauke Petry und Peer Steinbrück, die Liste der Exempel ist lang. Merkel hat das wirklich perfektioniert, Niederlagen und Krisen auch mimisch zu meistern.
 
Alles in allem betrachtet hat man den Verdacht, dass es weniger Angela Merkels Politik ist, die ihre Kanzlerschaft ins Unendliche zieht, als vielmehr ihre Persönlichkeit, die sie vor Spott genauso bewahrt wie vor Kultstatus. Wer sie hasst, tut es mit gewissem Respekt. Wer sie bewundert, legt dabei Wert auf politische Distanz. Sie ist farblos, aber präsent. Ihre Hosenanzüge sind gelb, lila oder grün und trotzdem fällt sie auf Gruppenfotos nicht auf. Sie ist unergründlich und geheimnisvoll, obwohl mittlerweile alle Kinder in Europa wissen, dass sie Deutschland regiert, weil die mit Merkels Gesicht in den Abendnachrichten vor Augen groß geworden sind. Wie es wohl ohne sie wäre? Wird? Geworden wäre?
 
Nächste Woche: Nachdenken über Martin S.


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